Putins Gas-Blackout rückt näher
Ganz Europa blickt auf die Gasleitung Nord Stream 1. Die versorgt wichtige Teile Europas und vor allem Deutschland mit Gas aus Russland. Und in den kommenden Tagen beginnen dort Wartungsarbeiten.
Dann wird die Leitung abgedreht. Zwei Wochen - konkret vom 11. bis zum 25. Juli - sollen die Arbeiten dauern.
Wird sie auch wieder aufgedreht?
In Deutschland sieht SPD-Parteichef Lars Klingbeil jedenfalls eine schwere Zeit auf Deutschland zukommen. "Wir stehen vor dramatischen Monaten", sagte er am Montag in der RTL/ntv-Sendung "Frühstart".
"Gas für Industrie nicht rationieren"
Klingbeil rief die Bürger zum Energiesparen auf: "Wir müssen auch im privaten Bereich sparen." Ziel müsse sein, das Gas für die Industrie nicht zu rationieren.
"Dass wir dort nicht Industrieanlagen abklemmen müssen, denn das hätte dramatische Auswirkungen auch für den Arbeitsmarkt", sagt der SPD-Chef. "Diese Situation müssen wir vermeiden, und dazu können alle beitragen."
Hauptjob der Politik sei es, eine alternative Infrastruktur aufzubauen, um unabhängig vom russischen Gas zu werden und die Gasspeicher aufzufüllen. "Alle müssen sich jetzt bewegen", so Klingbeil. Es brauche nun einen gemeinsamen Weg durch diese "schwere Phase".
Dreht Putin wieder auf?
Mit Blick auf die anstehenden Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 sagte der SPD-Chef: "Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass Putin nach den Wartungsarbeiten den Gashahn nicht mehr aufdreht."
Dies hätte dramatische Folgen für Deutschland und Europa. Man muss bei Putin mit dem Schlimmsten rechnen.“ Deutschland würde mit seinen momentanen Gasreserven nach Einschätzung der Bundesnetzagentur nicht weit kommen.
"Sollten wir kein russisches Gas mehr bekommen und einen durchschnittlich warmen Winter erleben, dann reichen die im Moment eingespeicherten Mengen - einschließlich unserer Verpflichtungen, Gas in andere europäische Länder weiterzuleiten - für vielleicht ein bis zwei Monate", sagt die Bundesnetzagentur.
Besprechung in Österreich
Die Regierung in Österreich tagt am heutigen Dienstag wegen der Situation zur Gasversorgung. Zwar ist die Versorgungslage derzeit laut einhelliger Meinung nicht gefährdet, die Einspeicherung ging zuletzt aber langsamer als gewünscht voran.
Und das, obwohl die Lieferungen aus Russland stabil waren. Das russische Gas ist also am Knotenpunkt Baumgarten angekommen, aber nur zu einem kleineren Teil in den österreichischen Speichern gelandet.
Österreich ist Gas-Transitland
Denn Österreich ist bei Erdgas auch ein Transitland, unter anderem Italien bezieht einen Teil seines Bedarfs durch Österreich. Die Lieferungen aus Russland nach Europa haben auf allen Routen abgenommen.
Etwa wegen der Wartungsarbeiten an der Pipeline Turkstream und angeblichen technischen Schwierigkeiten bei der Nord Stream 1.
Da diese für Europa wichtigste Pipeline im Juli ebenfalls zu Wartungszwecken abgestellt wird, macht sich zunehmend Nervosität breit. In Europa beginnt ein Wettrennen ums Gas, die Preise steigen dadurch weiter.
Teure Alternative
Die österreichische OMV kompensiert die im Juni gesunkenen Liefermengen mit Zukäufen am Spotmarkt. Das ist allerdings relativ teuer.
Der Preis für eine Megawattstunde Erdgas liegt derzeit mit etwa 150 Euro knapp fünf Mal so hoch wie vor einem Jahr und ein Vielfaches über dem langjährigen Durchschnitt von 10 bis 25 Euro.
Hilferuf
In Deutschland ruft der Uniper-Konzern deswegen bereits um staatlichen Beistand. „Je weiter der Gaspreis steigt, desto teurer wird es, die gesetzlichen Speicherziele für den Oktober und den November zu erreichen“, sagte Klaus Müller, Chef der deutschen Bundesnetzagentur.
Das betrifft auch die strategische Reserve, die in Österreich auf Staatskosten angeschafft werden soll. Profitiert haben von Europas Bredouille bisher die Handelspartner im Westen.
USA profitiert
Die USA haben ihre Flüssiggaslieferungen nach Europa seit Beginn des Ukraine-Kriegs fast verdreifacht. Im Juni hat die EU erstmals mehr amerikanisches als russisches Gas importiert.
In Großbritannien hingegen zeichnet sich eine Wende ab. Das Land hat eigene Öl- und Gasreserven in der Nordsee und zuletzt vermehrt nach Kontinentaleuropa verkauft.
Diese Leitungen zu schließen wäre jetzt eine der ersten Maßnahmen im neuen britischen Gas-Notfallplan.
Streik in Norwegen
Aus der Nordsee kommen aber noch mehr schlechte Neuigkeiten: Die Öl- und Gasarbeiter in Norwegen fordern höhere Löhne zum Ausgleich der Inflation und drohen diese Woche mit Streiks.
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