Das passiert, wenn uns Putin das Gas abdreht
Österreich bezieht 80 Prozent seines Erdgases aus Russland. Würden die Lieferungen eingestellt, wären die Konsequenzen dramatisch. Der KURIER hat recherchiert, welche Reserven wir haben, welche Alternativen es gibt und was im Notfall geschieht.
Unsere Reserven
Sollte es auch in Österreich zu einem Lieferstopp kommen, ist die Versorgung vorläufig durch die eingespeicherten Gasmengen gewährleistet. Aktuell lagern in den österreichischen Speichern 16,8 Terawattstunden (TWh) Gas. Das entspricht einem Füllstand von knapp 18 Prozent.
Das ist mehr, als es klingt, denn Österreich hat gemessen am Verbrauch sehr große Speicher, die etwa einen Jahresbedarf fassen (90 TWh). Zum Vergleich: Deutschland hat Speicherstände von 34 Prozent, diese 80 TWh sind gemessen am etwa zehn Mal so hohen jährlichen Verbrauch aber weniger. Gemessen am durchschnittlichen Verbrauch in Frühling- und Sommermonaten reichen die Vorräte etwa drei bis vier Monate, so Carola Millgram, Leiterin der Abteilung Gas bei der Regulierungsbehörde E-Control zum KURIER.
Die zweite gute Nachricht ist: Die Speicher füllen sich bereits wieder, denn die Heizsaison ist großteils vorbei. Erdgas wird ganzjährig geliefert. Da der Verbrauch im Winter bis zu drei Mal so hoch ist, wie im Sommer, werden die Speicher über den Sommer gefüllt, ihre niedrigsten Füllstände erreichen sie im Frühling.
Um in Energiefragen möglichst wenig erpressbar zu sein, müssen die Speicher im Herbst also möglichst voll sein. Die Bundesregierung hat am Mittwoch ausgegeben, dass die Pegelstände bis zum Beginn des Winters 80 Prozent erreichen sollen. Das umzusetzen ist aber nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Energieunternehmen. Das Problem ist, dass es für diese bei den derzeit hohen Preisen unattraktiv ist, mehr Gas als notwendig einzuspeichern. Die Bundesregierung will zur Umsetzung bis zu 6,6 Milliarden Euro aus dem Budget bereitstellen. Wie das Geld genau eingesetzt werden soll, ist noch nicht bekannt.
Bereits beschlossen ist hingegen die Einführung einer strategischen Reserve, die mit 12,6 TWh etwa den Verbrauch eines kalten Wintermonats abdeckt. Im besten Fall wird diese nicht gebraucht, denn bisher liefert Gazprom die vereinbarten Mengen nach Österreich.
Unsere Alternativen
"Die Importe von Erdgas können nicht unmittelbar und kurzfristig substituiert werden", heißt es in der neuesten Studie der Österreichischen Energieagentur. Was die Antwort auf die Frage vorwegnimmt, was wir tun können, wenn morgen kein Gas mehr aus Russland strömt. Dann müsste das Not-Szenario aktiviert werden (siehe unten).
Wie das Gas nach Europa kommt
Was aber sind die "strategischen Handlungsoptionen" ohne Gasimporte aus Russland? Die Studie der Energieagentur sieht eine "Kombination von verbrauchs- und aufbringungsseitigen Maßnahmen" vor. Stark verkürzt wird vorgeschlagen: Von den derzeit rund 63 Terawattstunden Gas aus Russland könnte knapp die Hälfte (29 TWh) eingespart werden. Ein Drittel der Gesamtmenge (20 TWh) sollte sich Österreich aus anderen Ländern holen – genannt wird Norwegen – oder aus Nordafrika oder Arabien über italienische Flüssiggas-Terminals. Und 14 TWh sollten aus inländischer Produktion kommen, vor allem aus Biogas-Anlagen.
Der Teufel steckt natürlich im Detail: Binnen drei, vier Jahren die nötigen Gasmengen durch einen Zukauf am Weltmarkt zu ersetzen, sei "relativ leicht zu realisieren", meint etwa Energieexperte Walter Boltz. Es gebe Pipelines nach Italien, auch nach Deutschland, Slowenien und Kroatien. "Bei intensiven Bemühungen sollte es nicht so schwierig sein, diese Gasmengen am Weltmarkt zu beschaffen."
Einsparen sei da schon schwieriger, findet Boltz. Die Studie macht allerhand Vorschläge zum Sparen, etwa eine "beschleunigte Sanierung von Gebäuden", Gasthermentausch und Umstellung auf Erneuerbare in allen Bereichen. Und nicht zuletzt müsste die inländische Biogas-Produktion (aus der Vergärung von organischen Abfällen und Reststoffen bzw. aus der Vergasung von Reststoffen der Holzwirtschaft) laut dem Plan um exakt 6.328,6 Prozent von derzeit 0,14 TWh auf 10 TWh gesteigert werden.
Unterm Strich zeigt sich: Es wäre machbar, aber eine enorme Kraftanstrengung in allen Bereichen.
Unser Notfallplan
Was passiert, wenn – aus welchen Gründen auch immer – morgen die Gaslieferungen aus Russland nach Österreich eingestellt werden? Dieser Fall ist trotz des russischen Gaslieferstopps an Polen und Bulgarien dennoch für Österreich nicht sehr wahrscheinlich. Er liegt aber im Bereich des Möglichen, da Russlands Präsident Putin unberechenbar ist. Und die Auswirkungen wären dramatisch für das Land, auch wenn private Haushalte als Letztes betroffen wären, die Duschen also vorerst also warm blieben.
Für den Notfall gibt es in Österreich den Energielenkungsplan, der Haushalte und kritische Infrastruktur schützt, aber im Hinblick auf die Industrie zugleich Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit befürchten lässt, erklärte Energieministerin Leonore Gewessler am Mittwoch im Parlament. Immerhin 40 Prozent des österreichischen Gasverbrauchs entfallen auf die Industrie. Im Falle eines Lieferstopps würde die Versorgung von heimischen Industriebetrieben zurückgefahren werden. Das 2012 in Kraft getretene Energielenkungsgesetz räumt nämlich der Energieministerin einen weitreichenden Handlungsspielraum ein.
Der zweite große Bereich, der von einer Kontingentierung betroffen wäre und von der Versorgung ausgeschlossen würde, ist die Stromerzeugung. Österreichs Strom kommt zwar zu mittlerweile 80 Prozent aus grüner Produktion (Wasser, Wind, PV), dennoch wird ein wichtiger Rest in Gaskraftwerken erzeugt. Diese würden aber nur von der Gaszufuhr abgeschnitten, wenn die Stromproduktion etwa durch Importe ersetzt werden kann. Denn was niemand brauchen kann, wären neben einem Gaslieferstopp auch noch flächendeckende Blackouts. Und erst wenn gar kein Gas mehr in den Speichern vorhanden wäre, müssten in letzter Konsequenz auch private Kunden oder Krankenhäuser etc. ausgeschlossen werden.
Offen ist, wie gut sich im Notfall die EU-Staaten rasch gegenseitig mit Gasreserven aushelfen könnten. Der Transport wäre im europäischen Pipeline-Netz möglich.
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