Wolfgang Sobotka: "Ich schaue jeden Tag in den Spiegel“
Vor zwei Wochen wurde ein geheim aufgenommenes Gespräch publik, in dem der mittlerweile verstorbene Ex-Justizsektionschef Christian Pilnacek schwere Vorwürfe gegen Wolfgang Sobotka erhebt. SPÖ, FPÖ, Neos und Grüne fordern daraufhin den Rücktritt des Nationalratspräsidenten. Dieser bleibt und erklärt im Gespräch, warum.
KURIER: Wie geht es Ihnen als Präsident des Nationalrats, wenn Sie in einer Parlamentssitzung den Vorsitz haben und wissen, dass Opposition und Koalitionspartner Ihren Rücktritt fordern?
Wolfgang Sobotka: Wenn man lange in der Politik ist, dann weiß man derartige Forderungen richtig einzuschätzen. Wenn man mit den Betreffenden unter vier Augen spricht, relativiert sich so manches.
Im öffentlichen Diskurs wird vieles zugespitzter formuliert, als es ist. Angenehm war und ist es natürlich nicht, aber damit muss man umgehen lernen.
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Die FPÖ hat Ihnen Tafeln mit „Sobotka muss weg“ entgegengehalten…
Mit den Freiheitlichen habe ich nicht gesprochen. Wir erleben gerade eine politische Landschaft, in der wir zuerst hochgradig emotionalisieren, dann polarisieren, fragmentieren und am Ende radikalisieren. Nicht zuletzt deshalb, weil man sich insbesondere auf Social Media nicht anders Gehör verschafft.
Dass ich kantigere Aussagen tätige, das ist schon lange vorbei. Dass ich für viele ein Reibebaum bin, das ist ein Faktum. Ich habe immer meine Meinung gesagt, manches vielleicht überdeutlich angesprochen. Dadurch entsteht Widerstand und eine dem entsprechende Gegenposition. Ich erlebe seit Jahrzehnten, dass bei jedem Anwurf natürlich etwas picken bleibt.
Zurück zu Ihnen.
Lassen Sie mich noch eines zu Social Media sagen, weil es damit zu tun hat: Ich habe die Akademie der Wissenschaft gebeten, zu untersuchen: Was bedeuten Soziale Medien für unsere Demokratie? Der erste Vorbericht zeigt, dass nur 22 Prozent der User aktiv posten. Die anderen konsumieren „nur“. Wir sehen also, dass eine lautstarke Minderheit den Eindruck erweckt, sie wäre eine Mehrheit.
Lässt sich die Politik von Minderheiten treiben?
Das ist die entscheidende Frage. Denken Sie an die Demonstrationen für die Terrororganisation Hamas. Nicht die Mehrheit der Menschen geht auf die Straße, sondern eine Minderheit. Es geht darum, herauszufinden: Welche Reaktionen muss ich auf Social Media-Kanälen hervorrufen, damit die Menschen auf die Straßen gehen? Die Minderheit gibt den Takt vor. Und es ist auch eine Frage, welche Bedeutung Medien diesen Minderheiten geben.
Was machen wir Medien wichtiger, als es ist?
Das Bejubeln des Überfalls der Terrororganisation Hamas gleicht einer Täter-Opfer-Umkehr. Beim IS war es noch klar: Da gab es eine Koalition aller Bevölkerungsschichten und eine Einigkeit darüber, diesen Terror zu verurteilen. Das Ausmaß der Berichterstattung über die Pro-Hamas-Kundgebungen steht in keiner Relation zur Mehrheit der Bevölkerung, die anderer Meinung ist, die Information und Aufklärung will. Auch darin sehe ich meine Aufgabe.
Also: Zurück zu Ihnen. Der grüne Koalitionspartner rückt von Ihnen ab, legt den Rücktritt nahe. Das prallt alles an Ihnen ab?
Unterschiedliche politische Gruppierungen müssen unterschiedliche Positionen einnehmen und bedienen. Das muss man 10 oder 11 Monate vor einer Nationalratswahl auch einzuordnen wissen.
Sie stehen nicht zum ersten Mal derart in der Kritik. Bei den letzten Untersuchungsausschüssen gab es zahlreiche Rücktrittsaufforderungen. Haben Sie je darüber nachgedacht zu gehen – mit nunmehr 67 Jahren?
Das Alter spielt keine Rolle. Als Innenminister hatte ich gute Umfrage- und Vertrauenswerte, dann habe ich den Vorsitz bei U-Ausschüssen übernommen und die Opposition begann, mich gezielt in Misskredit zu bringen. Der Vorwurf, ich hätte im Ausschuss autokratisch entschieden, geht ins Leere. Ich habe immer so entschieden, wozu mir der Verfahrensrichter geraten hat. Ich bin der Letzte, der einen Fehler nicht eingesteht. Ich habe mich auch einmal entschuldigt.
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Wann haben Sie sich wofür bei wem entschuldigt?
Ich bin einmal gegenüber Jörg Leichtfried von der SPÖ lautstark geworden. Da war mein Verhalten nicht ordnungsgemäß. Ich stehe nicht an, eine Fehlentscheidung auch zurückzunehmen oder nochmals eine Schleife zu drehen und zu diskutieren. Aber da, wo Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprechen und keine Substanz haben, wie beim Dirty Campaigning –– da muss man zu seiner Haltung stehen.
Der geheime Mitschnitt eines Gesprächs von Christian Pilnacek ist für Sie Dirty Campaigning?
Ja, wir haben es mit einer gesellschaftspolitischen Entwicklung zu tun, die sich an hohen Repräsentanten der Republik abzuarbeiten versucht. Nach dem Motto: „Irgendwann muss doch endlich mal was dran sein.“ Ich warte noch immer auf ein Faktum, etwas Handfestes, über das man diskutieren kann.
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Gab es nie die Phase, in der Sie sich in den Spiegel geschaut und gefragt haben, warum Sie sich das antun?
Ich schaue mich jeden Tag im Spiegel an und frage mich: „Bin ich auf meiner Linie? Kann ich das verantworten, was ich politisch tue? Ist es für die Gesellschaft relevant?“ Das betrifft die den Kampf gegen den Antisemitismus und die Demokratiewerkstatt ebenso wie den Schutz der Minderheiten oder den Einfluss der Wissenschaft auf das Hohe Haus. All das sind auch meine Positionen, die ich angestoßen und umgesetzt habe.
Wie haben Sie von dem illegalen Mitschnitt erfahren?
Wie alle aus den Medien. Ich habe den Mitschnitt damals gelassen zur Kenntnis genommen und so halte ich es bis heute. Wenn ich etwas nicht gesagt habe, dann habe ich es nicht gesagt. Punkt! Es liegen genügend Aussagen unter Wahrheitspflicht im Untersuchungsausschuss von mir, ihm und anderen vor, die die Wahrheit belegen. Christian Pilnacek ist unter tragischen Umständen ums Leben gekommen. Ich hatte mit ihm als Menschen, der unter seiner Suspendierung gelitten hat, die auch ich als ungerechtfertigt und schmerzhaft empfunden habe, Mitleid.
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Sie waren einer der wenigen Politiker, die bei seinem Requiem waren. Teilen Sie die Worte von Pilnaceks Witwe: "Christian hat sich nicht das Leben genommen, es wurde ihm genommen“?
Absolut. Nach Viktor Frankl kann jeder Mensch entweder links oder rechts am Weg abbiegen. Christian Pilnacek ist leider bei der falschen Weggabelung abgebogen. Das tut mir sehr leid für ihn. Er war in Summe ein sehr toller Mensch, der in den vergangenen Jahren sehr mit sich gerungen hat. Man wird dem Toten nicht gerecht, indem man nur die Suspendierung in den Vordergrund rückt. Ich schätzte ihn viel zu sehr, als dass ich ihn für irgendetwas kritisieren möchte.
Nach Ihrem Dafürhalten waren Sie mit Pilnacek bekannt, befreundet?
Er war ein guter Bekannter, Freunde habe ich nur wenige. Ich kenne ihn seit meiner Zeit als Innenminister. Ich habe mich in letzter Zeit immer mal mit ihm getroffen, ihm zugehört.
Wie wichtig ist Ihnen Ihr Rückhalt in der Partei?
Sehr wichtig. Es ist die Home-Base, die jeder braucht. Ich bekomme viele positive Rückmeldungen, aber natürlich auch negative.
Können Sie nicht nachvollziehen, dass das Amt des Nationalratspräsidenten durch die Vorwürfe per se schon Schaden nimmt?
Das ist wie das Motto: „Haltet den Dieb“. Jemanden mit Schmutz zu bewerfen und dann zu sagen: „Du bist schmutzig“. Sechs Verfahren gegen mich sind eingestellt. Ich bin mir auch sicher, dass das noch ausstehende Verfahren eingestellt wird. Bei meinem letzten Verfahren musste ich zwei Jahre warten und wurde nicht mal dazu befragt.
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Bis zur Nationalratswahl dauert es noch ein Jahr. Was wollen Sie als Nationalratspräsident noch umsetzen?
Die Aufgabe des Präsidenten ist es, Themen aufzugreifen, die von nachhaltiger und langfristiger Bedeutung sind. Die Luftraumüberwachung ist beispielsweise keine Frage der Parteifarben, sondern eine Frage von Rot-Weiß-Rot. Auch die Frage der Sozialen Medien ist eine der Gesellschaft als Ganzes. Wir durften im Dezember den 500.000sten Besucher im Parlament begrüßen. Auch dafür trage ich die Mitverantwortung.
Werden Sie den Vorsitz der kommenden U-Ausschüsse übernehmen und werden die Ausschüsse live übertragen?
Ich habe immer die Meinung vertreten, dass die Verfahrensordnung reformiert gehört. Wenn das öffentliche Übertragen dazu beiträgt, dass alle ihr Verhalten anpassen, dann ist es gut. Verfahrensrichterin Ilse Huber ist nicht ohne Grund zur Erkenntnis gelangt, dass es bei Gerichtsverfahren, bei denen es um Straftäter geht, gesitteter zugeht als im U-Ausschuss. Ich bin der Letzte, der die öffentliche Übertragung nicht unterstützt.
Sie könnten es lautstark befürworten.
Das habe ich getan. Das Problem ist: Es ist immer erst das Interesse da, wenn es irgendwo Negativ-Schlagzeilen gibt. Ich bin der Rufer in der Wüste. Das war ich schon als Innenminister, als ich gesagt habe: „Wir haben eine migrantische Bevölkerung, die zu zwei Dritteln antisemitisch eingestellt ist“. Damals wollte das niemand hören – jetzt wundert sich jeder.
Sie werden den Vorsitz übernehmen?
Ich werde mich dem Gesetz entsprechend verhalten. Das habe ich immer getan.
Stichwort Nationalratswahl: Der ÖVP werden herbe Verluste attestiert. Wofür steht die ÖVP?
Ich sitze hier als Nationalratspräsident. Die ÖVP steht für Leistungsbereitschaft, Sicherheit und Familie. Die Grünen stehen für die Schaffung neuer Ressourcen für unseren Energiebedarf, die SPÖ steht für eine 32 Stunden-Woche und die FPÖ ist gegen die EU.
Anders: Wie soll oder will die ÖVP punkten?
Wir müssen klarer in der Botschaft werden. Sie werden als Partei immer gewählt für die Perspektive, die Vision für die Zukunft – nie für das, was sie gemacht haben in der Vergangenheit.
Wird Wolfgang Sobotka kandidieren?
Wir haben Dezember 2023, sind noch mit der Listenerstellung für die EU-Wahl beschäftigt und werden uns zu gegebener Zeit mit der Nationalratswahl beschäftigen.
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