Wolfgang Sobotka, der schwarz-türkise Reibebaum
Wenn Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka der politisch aufgeheizten Stimmung rund um seine Person entfliehen will, dann stellt er sich in Waidhofen an der Ybbs ans Dirigentenpult und widmet sich mit dem Orchester seiner Heimatstadt nur noch der Musik. In solchen Momenten ist für den 67-jährigen ÖVP-Politiker das Parlament in Wien ganz weit weg.
Derzeit wird besonders viel Musik notwendig sein, um den Kopf freizubekommen. Seit die heimlichen Handy-Aufnahmen von Aussagen des verstorbenen Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek öffentlich geworden sind, muss der Niederösterreicher wieder einmal eine Welle von Rücktrittsaufforderungen abwehren. Nicht nur die Opposition, auch der grüne Regierungspartner legt ihm nahe, das Amt des Nationalratspräsidenten frei zu machen. Kanzler Karl Nehammer und dessen ÖVP-Bundesführung sind der letzte große Halt, damit er auch diesmal nicht von Bord gespült wird.
Sobotkas Erklärung vor dem Parlament, dass er nie bei Christian Pilnacek bezüglich Ermittlungen und Hausdurchsuchungen interveniert habe, dass der Sektionschef das in zwei U-Ausschüssen auch bestätigt habe, reicht nicht, um wieder in ein ruhiges Fahrwasser zu kommen. Für seine Gegner zählt mehr, was Pilnacek in der geselligen Runde in einem Wiener In-Lokal gesagt hat. Und das sind Beschwerden, dass er von der ÖVP und eben von Wolfgang Sobotka unter Druck gesetzt worden wäre.
Vielleicht würde die Diskussion anders verlaufen, wenn Sobotka in der Politik nicht so ein Reibebaum wäre. Es gibt keinen weiteren ÖVP-Politiker, der so polarisiert. Nicht nur jetzt, seit er an der Spitze des Parlaments steht. Das war auch in Niederösterreich schon so.
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Plakate gegen Sobotka
Der Mostviertler hatte in seinem Heimatbundesland hinter dem Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll die höchsten Bekanntheitswerte. Allerdings hielten sich positive bzw. negative Beurteilungen seiner Person fast die Waage. Das hat auch damit zu tun, wie er Politik gemacht hat. Sicherlich mit vollem Einsatz. Mitarbeiter von ihm berichteten immer wieder davon, dass manche Sitzungen um 22 oder gar 23 Uhr angesetzt worden waren. Aber nicht immer mit der feinen Klinge, wenn etwas nicht so funktionierte, wie er wollte.
Zwischen 2008 und 2013 versuchte die SPÖ unter dem damaligen Landesparteivorsitzenden Sepp Leitner, ihn aus der Landesregierung herauszuschießen. Dafür wurden im Hinblick auf die Veranlagungen der Wohnbaugelder sogar eigene Anti-Sobotka-Plakate gedruckt. Mit dem Satz aus einem Kabarettfilm: „I sogs glei, i wors neet“. Gleichzeitig wurden Gerüchte gestreut, dass Erwin Pröll seinen Stellvertreter aus der Landesregierung entfernen wird, weil er der Partei so schade.
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Pröll wies die Gerüchte zurück und Sobotka war danach fester im Sattel als davor. Da half ihm auch, dass er in seiner Partei mehr Rückhalt hatte, als es sich die Opposition in St. Pölten vorstellen konnte. Als sich Sobotka 2010 nach Spindelegger als Landesobmann des NÖAAB aufstellen ließ, erhielt er über 90 Prozent der Delegiertenstimmen. Damit hatte die Führung im Landhaus nicht gerechnet.
Und er hat in Niederösterreich seine Spuren hinterlassen: die Garten Tulln, die Zusammenführung der Gemeindespitäler, die Aktion „Natur im Garten“, viele Kunstvereine, um nur einiges aufzuzählen. Dafür erhielt er auch von Erwin Pröll Anerkennung. Der wusste, dass er Sobotka in der Landesregierung braucht, obwohl er immer ein eher gespaltenes Verhältnis zu ihm hatte.
Ich will meine Tätigkeit fortsetzen und das Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben.
Auf der Bundesebene angekommen, blieb ihm das Image des Reibebaums. Manche sprechen sogar von der schwarz-türkisen Reizfigur der Innenpolitik. Das liegt auch daran, dass er – wie einst in Niederösterreich – versuchte, auf allen Ebenen mitzumischen. Als Innenminister galt er als einer jener Drahtzieher im Hintergrund, die Sebastian Kurz ins Kanzleramt gehievt haben. Dieser wollte ihn nach der ersten Wahl sogar zum Generalsekretär der Partei machen, was an einem Veto aus Niederösterreich scheiterte. Sobotka selbst hätte der Schritt in die Parteizentrale nichts ausgemacht.
Sein Versuch, wenigstens als Nationalratspräsident ein neues Image aufzubauen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mit mehr Antisemitismus-Initiativen, mit dem Ausbau der Demokratiewerkstatt im Parlament, mit Diskussionsveranstaltungen im Hohen Haus etc., wollte er sich einen Ruf als überparteilicher Hausherr schaffen. Nicht einmal die Fertigstellung des Parlamentsumbaus half ihm. Diese Chance hatte er nicht, weil er – speziell von der Opposition – immer noch als schwarzer oder türkiser Parteipolitiker gesehen worden ist und gesehen wird. Sein emotionaler Ausbruch wegen einer Rede von Jörg Leichtfried dominierte die sozialen Netzwerke mehr als seine verschiedenen Grundsatzreden. Unbedachte Aussagen bei Interviews – etwa zur Wahrheitsverpflichtung im U-Ausschuss oder zu Inseraten der Novomatic für das ehemalige Alois-Mock-Institut – wurden mehr herangezogen als die Tatsache, dass von sechs Anzeigen gegen ihn bereits fünf zurückgelegt werden mussten. Seine Beliebtheitswerte sind jedenfalls im Keller.
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1982 startete die politische Laufbahn von Wolfgang Sobotka. Da zog er für die ÖVP in den Gemeinderat von Waidhofen an der Ybbs (NÖ) ein. Zehn Jahre späte wurde er Finanz-Stadtrat, von 1996 bis 1998 war er schließlich auch noch Bürgermeister der Statutarstadt.
In der Landes-ÖVP hatte Wolfgang Sobotka seit 1992 als Referent im Bildungsbereich mitgearbeitet. 1998 holte ihn der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll als Finanzlandesrat in seine Regierung nach St. Pölten. Im Jahr 2009 wurde er Landeshauptmannstellvertreter. Der Landesregierung gehörte er bis zum Jahr 2016 an. Von 2010 bis 2020 war er auch Landesobmann des NöAAB.
2016 wechselte Wolfgang Sobotka als Innenminister in die Bundesregierung unter Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Er löste dort die derzeitige Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ab. Nach der Wahl von Sebastian Kurz 2017 zum Kanzler einer türkis-blauen Regierung wurde Wolfgang Sobotka Nationalratspräsident. Dieses Amt übernahm er 2020 auch in der türkis-grünen Bundesregierung. Ob er bei der Nationalratswahl im September 2024 noch einmal kandidieren wird, dürfte noch nicht entschieden sein.
Problem U-Ausschuss
Da war dann noch seine Vorsitzführung im U-Ausschuss. Manche seiner Berater glauben, dass er weniger im Kreuzfeuer der Kritik stehen würde, wenn er die Hand davon gelassen hätte. Die ÖVP-Abgeordneten wiederum schätzen ihn dafür, weil er als Bollwerk gegen die Angriffe der Opposition gedient hätte. Dabei hatte er der Opposition angeboten, die Vorsitzefrage grundsätzlich neu zu regeln. Das wurde nicht aufgegriffen. Ein Sobotka im U-Ausschuss als eine Art Gegner bringe politisch mehr.
So entschlossen sich Nehammer und die Parteispitze jetzt hinter Wolfgang Sobotka gestellt haben, unumstritten ist er auch in der eigenen Partei nicht. Wobei es ihn besonders schmerzen dürfte, dass es gerade in St. Pölten einige Stimmen gibt, die nicht an ihm festhalten würden. Andererseits sind auch gerade dort seine fanatischsten Anhänger, Niederösterreich ist für ihn ja überhaupt eine politische Wunde, denn eigentlich wollte er 2017 Erwin Pröll als Landeshauptmann nachfolgen. Ehe er sich dem Willen der Partei beugte und nach Wien wechselte.
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