Susanne Raab, ÖVP-Ministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien, verteidigt im KURIER-Sommergespräch die ORF-Gebühr für alle und glaubt, dass das entsprechende Gesetz in der jetzigen Form kommt. Warum Dänemark als Vorbild für Sozialleistungen bei Migranten dient, sie das deutsche Gesetz für Selbstbestimmung für absurd hält und für wen sie sich besonders einsetzen will.
Susanne Raab: Es geht überhaupt nicht um Abgrenzung. Ich bin mir ganz sicher, dass sich die Vorwürfe, die im Raum stehen, in Luft auflösen werden. Sebastian Kurz hat selbst gesagt, dass er sich darauf freut, im Rahmen eines Prozesses nun die Vorwürfe widerlegen zu können.
Der Prozessbeginn mit Mitte Oktober, rund um Budgetverhandlungen und vor EU- und Nationalratswahl, ist denkbar ungünstig.
Wie gesagt: Ich bin sicher, dass die Vorwürfe haltlos sind. Wir haben in den letzten Jahren viele Herausforderungen in unterschiedlichen Bereichen gehabt und es immer geschafft, uns auf die Regierungsarbeit zu konzentrieren, und so wird es auch jetzt sein.
Apropos Regierungsarbeit, Ihre eigene nämlich. Welche Zuschreibung trifft Sie am meisten: ORF-"Zwangsgebühren-Vollstreckerin", "Totengräberin" der Wiener Zeitung, wie Sie ORF-Late-Night-Reporter Peter Klien nannte, oder "Rabenmutter", weil sie nach drei Monaten Karenz ins Amt zurückkehrten?
Die Kritik, die am meisten trifft – da wird es jeder Mama und jedem Papa gleich gehen – ist, wenn jemand meint, man sei keine gute Mutter. Ich finde sowas total grenzüberschreitend.
Dass Sie die älteste Zeitung der Welt zugesperrt haben, beschäftigt Sie nicht?
Es ist einfach falsch! Die Wiener Zeitung gibt es in einer digitalen Form weiter und es ist ein sehr gutes Produkt. Und man muss schon auch immer dazu sagen, dass die Printausgabe der Wiener Zeitung 6.000 Abonnenten hatte und mehr 80-jährige Leser als unter 30-jährige. Es hat Mut gebraucht, etwas zu tun, aber ich halte es für falsch, sich in der Politik zu verstecken.
Österreichs Verleger und Privatsender rufen wegen des ORF-Gesetzes die EU-Wettbewerbsbehörde an, zudem wird gerade eine Sammelklage angestrengt. Kommt das ORF-Gesetz in der jetzigen Form?
Ja, selbstverständlich wird das Gesetz so kommen. Wir haben die GIS abgeschafft und eine neue, günstigere Gebühr eingeführt, weil es ein Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis gibt, das uns zu einem neuen Gesetz gezwungen hat. Meine Prämisse war, dass es für alle, die bisher die GIS gezahlt haben, bedeutend günstiger werden muss. Ich lasse mir die niedrige Gebühr von bisher 22,45 auf nun 15,30 Euro nicht klein reden.
Es sollen aber auch rund 400.000 Menschen zahlen, die das ORF-Angebot gar nicht nutzen. Das heißt, der ORF bekommt mehr Geld und das in einer Zeit, da immer mehr gestreamt wird.
Das stimmt so nicht!
Der ORF ist gezwungen, ein massives Sparprogramm zu fahren und 325 Millionen Euro einzusparen, Privilegien und Sonderzulagen werden abgeschafft. Und, der ORF muss mit dem Grundbudget auskommen und alle Kostensteigerungen wie höhere Personalkosten selbst finanzieren. Die Menschen in Österreich wollen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie im Übrigen jedes europäische Land, aber sie wollen den ORF kleiner, transparenter und sparsamer.
Orf.at soll künftig nur mehr 350 Meldungen pro Woche zeigen. Wie sollen im Gegenzug dazu, klassische Verlagshäuser Digital-Abonnenten gewinnen, wenn früher oder später die Meldung gratis auf orf.at zu lesen sein wird?
Ich weiß, private Medien sind durch die Digitalisierung des gesamten Medienmarktes in den letzten Jahren stark unter Druck gekommen, deshalb wurde die Medienförderung erhöht. Ich weiß auch, dass manche private Medien am liebsten den ORF abschaffen würden, doch ich setze mich für einen starken dualen Medienstandort ein. Und was orf.at betrifft, so wird die Seite transformiert hin zu mehr Bewegtbild und weniger Textangebot. Es geht auch darum das Angebot von jenem der Zeitungen stärker abzugrenzen als bisher. Die blaue Seite ganz abzuschaffen, kam für mich nicht infrage, weil es eine wichtige Informationsbezugsquelle in einer Demokratie ist.
Ist es denkbar, dass die Regierung mehr Geld in die Hand nehmen wird, um die Medienvielfalt in Österreich mittelfristig aufrecht zu erhalten?
Wir haben die gesamte Medienförderung in den vergangenen 1,5 Jahren versechsfacht. Aber: Der Staat kann die privatwirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens niemals ersetzen, sondern nur unterstützen. Wir vergeben diese Förderungen auch, weil wir davon überzeugt sind, dass mediale Vielfalt zur Basis der Demokratie gehört.
Ich kann zu 100 Prozent beipflichten, dass wir bei der Kinderbetreuung mehr Gas geben müssen. Wir haben bereits eine Milliarde Euro in die Hand genommen für den Ausbau, aber ich wünsche mir noch für diese Legislaturperiode mehr und kämpfe im Rahmen des Finanzausgleichs dafür.
Die ehemalige Spitzenbeamtin Susanne Raab (38) wird 2020 im Kabinett Sebastian Kurz II Ministerin für Frauen und Integration.
Durch den Rücktritt von Arbeitsministerin Christine Aschbacher und später durch jenen von Sebastian Kurz bzw. die Kanzlerwechsel von Alexander Schallenberg zu Karl Nehammer ist sie seit 2022 als ÖVP-Ministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien zuständig.
Die gebürtige Oberösterreicherin ist verheiratet und seit 2021 Mutter eines Sohnes.
Was ist Ihr Ziel?
Aus Wirtschaftssicht ist es legitim, Frauen nach dem Mutterschutz schnell wieder ins Erwerbsleben bringen zu wollen, aber meine Perspektive ist eine andere. Meine Vision ist, dass wir den Lebensrealitäten gerecht werden und sich Familien frei entscheiden können, ob und wie lange sie ihr Kind zu Hause betreuen. Und hier muss man auch differenzieren: So haben wir bereits heute bei den Zweijährigen eine Betreuungsquote von rund 60 Prozent.
Die Idee orientiert sich am dänischen Modell. Der Anspruch auf die volle Sozialhilfe ist in Dänemark erst gegeben, wenn man eine gewisse Anzahl von Jahren im Land gelebt und ein paar Monate gearbeitet hat. Unser Land soll nicht aufgrund der Sozialhilfe ein Magnet für Migranten sein, sondern aufgrund des Arbeitsmarktes und derzeit haben wir ein verkehrtes Verhältnis. 2022 gab es rund 21.000 positive Asylbescheide, aber nur 2.900 erstmalige Rot-weiß-Rot-Karten.
Ein gestaffeltes Sozialleistungssystem mit Wartefrist ist mit den Grünen undenkbar?!
Mit den Grünen ist so ein Modell schwer zu verhandeln, aber man darf als Politiker auch ein bisschen weiterdenken.
Ihre deutsche Amtskollegin Lisa Paus will das Selbstbestimmungsgesetz umsetzen. Es soll das Transsexuellengesetz ersetzen und die Möglichkeit bieten, das Geschlecht und den Vornamen ab dem 14. Lebensjahr ändern und ein Mal im Jahr wechseln zu können.
Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch nach seiner Façon leben soll. Aber ich halte es für absurd, wenn man dann so tut, als sei es das Normalste der Welt, jedes Jahr sein Geschlecht zu ändern. Das Gesetz würde auch bedeuten, dass in Frauenhäuser auch Männer aufgenommen werden. Das kann ich nicht befürworten!
Das Gesetz soll insbesondere vor Diskriminierung schützen.
In einer Demokratie gibt es Mehrheiten bei gleichzeitigem Schutz von Minderheiten. Wenn man aber generelle Regelungen an Ausnahmen orientiert, dann läuft man Gefahr, die Mehrheit der Menschen zu verlieren. Wenn etwa unser Gesundheitsminister sagt, es gibt keine schwangere Frau mehr, sondern nur mehr eine schwangere Person, dann will ich das nicht. Ich war eine schwangere Frau und jetzt bin ich Mutter. Ich glaube, dass diese Debatte generell sehr verkrampft geführt wird und an der Realität vorbeiführt.
Spielt die Gender- und Geschlechtsdebatte bei Ihrer Erziehung eine Rolle?
Nein, ich will aber, dass mein Sohn einen Zugang zu Gleichberechtigung hat und wir ihm ein gutes Vorbild einer gleichberechtigten Partnerschaft sind. Ich glaube, dass die öffentliche Debatte – vielfach auch, was das Gendern betrifft – in Alltagssituationen viel weniger die Bedeutung hat.
Ich kann nachvollziehen, dass man damit Aufmerksamkeit generieren will. Aber Frauenpolitik ist mehr als Gendern. Wenn man mit 30 keine Führungsfunktion mehr bekommt, weil man übermorgen ein Kind bekommen könnte, dann ist das ungerecht. Und wenn Du als Frau 40 Prozent weniger Pension bekommst, dann ist das ungerecht. Darum geht es mir. Die Gender-Debatte, wie sie derzeit geführt wird, ist verkrampft.
Die Bargeld-Debatte halten einige auch für verkrampft!
Diese Debatte bildet die ernst zu nehmenden Sorgen der Menschen ab. Zum Beispiel wird in Österreich zu 70 Prozent mit Bargeld gezahlt, in Finnland nur zu 19 Prozent. Bargeld gibt uns allen eine Sicherheit und ganz pragmatisch und praktisch: Wenn ich meinem Kind den Umgang mit Geld lernen will, dann werde ich ihm ein paar Euro für ein Eis in die Hand geben und nicht meine Bankomatkarte.
Kommentare