Wir diskutieren über Gendern, jazzen Bargeld zum Zukunftsthema hoch und sind stolz auf Autos

Ein schöner Satz aus dem Reich des Managements lautet: „Culture eats strategy for breakfast.“ Wenn sich eine Kultur etabliert hat, kann man mit den besten neuen Ideen kaum dagegen an. Was in Firmen schwer wiegt, ist auf ein Land hochgerechnet ein Zukunftsversagen.
Das bieder brave Deutschland hat beschlossen, Cannabis für den Eigenbedarf freizugeben. Gewisse Mengen sollen künftig legal über eigene Einrichtungen erworben werden können. Man trägt hier der Realität Rechnung: Auf der Prioritätenliste der Polizei ist diese Art des Konsums in den vergangenen Jahrzehnten zu Recht nach unten gerutscht. Für die Konsumenten ändert sich wenig. Wer sich berauschen will, tat das bisher schon recht unbehelligt. Die kriminelle Schattenwirtschaft rund um den Drogenkauf verliert jedoch eine beträchtliche Einnahmequelle.
Trauen Sie sich das einmal in Österreich.
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Hier übt sich die Kanzlerpartei darin, mit dem Begriff „normal“ enge Leitplanken dafür zu setzen, was das Volk als verträglich empfindet. Wir diskutieren also seit Monaten über Gendern, jazzen Bargeld zu einem Zukunftsthema hoch und sind stolz darauf, eine Autofahrernation zu sein.
Österreich ist vieles. Zum Beispiel ein Land der Trinker. Die Repräsentanten der Spitzenpolitik stoßen dazu auf Zeltfesten an. Man fragt sich, was die Skandinavier am Leben hält, denn dort kann man nicht an jeder Ecke billig Alkohol erwerben (in Bars ist er nahezu unerschwinglich). Dafür kann man alles bargeldlos bezahlen. Für Österreicher klingt das wie Science-Fiction.
Wer glaubt, dass nur die ÖVP so retro unterwegs ist, werfe einen Blick auf Umweltfragen: Die EU-Kommission plante im Juli eine aus wissenschaftlicher Sicht längst überfällige Lockerung der Gentechnik in der Pflanzenproduktion. „Wir werden das nicht zulassen“, tönte es aus dem grünen Umweltministerium (gemeinsam mit dem schwarzen Landwirtschaftministerium) zurück.
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Atomkraft? In Zwentendorf steht das Denkmal der heimischen Leitplankenmentalität: Österreichs einziges AKW ging nie in Betrieb, nachdem eine Volksabstimmung dagegen ausging. Blöderweise war die Milliarden teure Anlage da schon fertig. Seither ist unsere DNA: Wir sind gegen das Atom. Dass wir grenznahe AKW nicht nur nicht verhindern können, sondern deren Kundschaft sind, tut dieser Überzeugung keinen Abbruch.
2012 träumte der damalige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) von EU-weiten Volksabstimmungen zu einem europaweiten Ausstieg aus der Atomkraft. Sein damaliger VP-Regierungskollege Nikolaus Berlakovich kündigte an, keinen Atomstrom mehr zu beziehen, sobald genug Erneuerbare geschaffen seien.
Legalisieren wir Realitätssinn!

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