SOS-Kinderdorf: Betriebsräte sollen für Kinderschutz einstehen
Nun gibt es auch Vorwürfe gegen den SOS-Kinderdorf-Standort in Osttirol (Symbolbild)
SOS-Kinderdorf Österreich hat seit Donnerstag einen neuen Aufsichtsrat. Und neben der Tatsache, dass zwei Mitglieder selbst einmal Kinderdorf-Kinder waren – Vorsitzender Friedrich Santner und Mitglied Martin Zernig – fällt noch eine weitere Neuerung ins Auge: Ein Vertreter des Betriebsrats soll in das sechsköpfige Kontrollgremium kooptiert werden, „um die Perspektive der Mitarbeitenden systematisch einzubinden“, wie in der Aussendung erklärt wird.
Was für viele Unternehmen in dieser Größe (rund 2.250 Mitarbeiter, Anm.) eine Selbstverständlichkeit ist, ist für SOS-Kinderdorf durchaus eine Errungenschaft – bedenkt man, dass es auf Ebene des Dachverbands noch vor wenigen Jahren einen heftigen Rechtsstreit zu dem Thema gab.
2018 hat sich der Betriebsrat von „SOS-Kinderdorf International“ mit elf Vertretern in den Aufsichtsrat hineinreklamiert – und wurde vom damaligen Präsidenten Siddhartha Kaul gleich vor die Tür gesetzt.
Auf dem Klagsweg bekam der Betriebsrat zunächst am Oberlandesgericht (OLG) Recht. In Österreich ist die Beteiligung von Personalvertretern gesetzlich vorgesehen. Auf zwei gewählte Aufsichtsratsmitglieder kommt ein Mitglied aus dem Betriebsrat, um die Interessen der Arbeitnehmer und jene des Unternehmens, das die Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, zu vertreten.
Drohende „Unterwanderung“
Gegen die OLG-Entscheidung zog Kauls Nachfolger Dereje Wordofa vor den Obersten Gerichtshof (OGH). Und das Höchstgericht urteilte 2022, dass der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat habe, weil SOS-Kinderdorf ein „Tendenzbetrieb“ sei.
Die Erklärung: Die Institution verfolge keine wirtschaftlichen, sondern überwiegend ideelle Ziele und habe den „geschützten Zweck“, karitative und erzieherische Arbeit zu leisten. Der „Tendenzschutz“, der beispielsweise für die Kirche gilt, soll verhindern, dass der Betriebsrat die Institution durch eine Drittelbeteiligung „mit gegnerischen Ideen unterwandert“.
Die Vorstellung, dass ausgerechnet die Personalvertretung die „ideellen Ziele“ der Kinderschutzorganisation „unterwandern“ könnte, wirkt angesichts der aktuellen Vorwürfe rund um SOS-Kinderdorf fast zynisch; war es doch die Spitze der Organisation, die jahrzehntelang Missstände vertuscht haben soll. Im Fokus steht etwa der langjährige Präsident Helmut Kutin.
Kinderschutz vor Markenschutz
Der Hintergrund der damaligen Bemühungen sei es gewesen, „die weltweite Gebarung des Verbands und seiner Mitgliedsvereine in die Moderne zu heben“, heißt es aus der Belegschaft zum KURIER. Kinderschutz müsse über den Interessen der Organisation stehen – dafür würden Fachexperten aus der Belegschaft, die Kündigungsschutz genießen, bürgen.
Die aktuellen Vorwürfe zeigen eher das Gegenteil: Anstatt Missbrauch zu melden, wurde er vertuscht. Der Schutz der Marke – schien wichtiger gewesen zu sein als der Schutz der Kinder.
Dass in den Aufsichtsrat des Österreich-Vereins nun ein Vertreter des Betriebsrats aufgenommen wird, begrüßt die Belegschaft des Dachverbands – auch auf eigener Ebene seien „erste Sondierungen in Richtung einer Beteiligung von Personalvertretern am Laufen“, seit sich der Aufsichtsrat („International Board“) im Sommer neu aufgestellt habe.
Vorsitzender ist der Italiener Domenico Parisi. Er ist – wie sein neuer Österreich-Kollege Friedrich Santner – ein einstiges Kinderdorf-Kind.
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