SOS-Kinderdorf: Helmut Kutin, ein "Machttyp" alten Schlags
SOS-Kinderdorf-Gründer Gmeiner mit dem langjährigen Präsidenten Kutin.
"Drei Nächte im Trainingszentrum sind zugesagt."
Ein Satz aus einem eMail, der einen schlimmen Verdacht zutage gebracht hat: Helmut Kutin, früherer Präsident von SOS-Kinderdorf, dürfte einem Großspender mit pädophilen Neigungen Zugang zu Kindern in Nepal verschafft haben. Mit dieser Enthüllung ist vergangene Woche nach Gründer Hermann Gmeiner schon die zweite Lichtgestalt der Organisation, die sich seit mehr als 60 Jahren weltweit für Kinderschutz einsetzt, gefallen.
Einer, der Kutin so gut kannte wie sonst nur wenige, ist Axel Halbhuber, Leiter des Ressorts Reise beim KURIER. Er hat 2013 ein Buch über Kutin – eine „humanistische Figur“, wie er sagt – geschrieben. So sehe er ihn auch heute noch, erklärt er im „Milchbar“-Podcast.
Seine Sicht habe sich nicht verändert, weil er schon damals im Buch versucht habe, ein differenziertes Bild zu zeichnen: Kutin mitsamt seinen Fehlern, die darin begründet lägen, dass er meinte, immer alles unter Kontrolle zu haben, sagt Halbhuber. Sogar einen möglichen Kinderschänder? „Das war, glaube ich, sein größter Fehler.“
„Du kannst nie der Gründer sein“
Helmut Kutin wird 1941 als Sohn eines Rechtsanwalts in Bozen, Südtirol, geboren, er hat vier Geschwister. Daran, dass seine Schwester Gertrude 1946 als erstes Opfer von Serienmörder Guido Zingerle getötet wird, zerbricht die Familie. Mit 13 Jahren kommt er ins Kinderdorf in Imst.
Über seine Jugend dort ist nicht viel überliefert; aber im Alter von 26 Jahren ereilt ihn der Ruf von Kinderdorf-Gründer Gmeiner: „Du musst etwas zurückgeben.“ Kutin baut 1967 in Vietnam sein erstes Kinderdorf, rund 300 weitere sollten folgen.
Während Kutin auf der ganzen Welt die Herzen zuflogen, sei Gmeiner in den 80er-Jahren zunehmend von seiner Alkohol- und seiner Krebserkrankung gezeichnet gewesen und vereinsamt, erzählt Halbhuber. Die Beziehung der beiden war keine einfache.
Ein Satz, den Gmeiner einmal zu seinem Nachfolger gesagt haben soll, lässt tief blicken: „Du kannst alles werden – größer, beliebter, berühmter als ich –, aber du kannst nie der Gründer sein.“ 1985, ein Jahr, bevor er starb, übergab der Gründer trotzdem die Präsidentschaft an Kutin.
Halbhuber schildert im Podcast, wie dieser sich ab da in mehreren Schritten (übrigens ab 2008 gemeinsam mit Geschäftsführer Christian Moser, der nun ebenfalls in Ungnade gefallen ist) dafür eingesetzt habe, die Organisation zu öffnen, zu modernisieren.
Und doch fallen in seine Amtszeit eine Reihe von Fällen, die jetzt wieder hochkochen. Von Pädagogen, die Kindern Gewalt angetan haben – psychische, physische, sexuelle. Die nicht angezeigt wurden, und später mit makellosem Führungszeugnis in eine andere Einrichtung wechseln konnten. Von einem Großspender, der in Nepal Kinder sexuell missbraucht hat und weiter von der Kinderdorf-Führung hofiert wurde.
Und Gründer Gmeiner soll selbst Buben missbraucht haben. Diesem habe man übrigens nachgesagt, er sei als „Weiberer“ berüchtigt gewesen, erzählt Halbhuber; über eine etwaige pädophile Neigung habe er nie etwas gehört. Nur, dass er ein „schwieriger Charakter“ gewesen sei.
Diktatoren und Widerlinge
Aber auch Kutin sei ein „Machttyp“ alten Schlags gewesen. So erinnert sich Halbhuber an ein Gespräch, bei dem Kutin angedeutet habe, es gebe „ein Problem mit einem Großspender“ und er habe da „für Ordnung sorgen müssen“. Weiter sei er nicht ins Detail gegangen. „Was ich nicht glaube, ist, dass er in vollem Wissen ein Kind an einen Pädophilen ausgeliefert hätte“, sagt Halbhuber.
Seine Einschätzung: „Kutin ist schon mit den größten Diktatoren und Widerlingen dieser Welt an einem Tisch gesessen. Er war ein unfassbarer Pragmatiker und es gewohnt, die Dinge selbst zu lösen – quasi per Verordnung. Ich kann mir vorstellen, dass er diesem pädophilen Großspender den Kopf gewaschen und gedacht hat, das ist damit erledigt.“
Und auch Kutin, der im Vorjahr gestorben ist (den Nachruf von Axel Halbhuber lesen Sie hier), wäre heute wahrscheinlich wegen dieses Fehlers am Boden, glaubt sein Biograf – und betont, wer hier aber die wahren Opfer waren: die Kinder.
Wie es dazu kam, dass 2013 ein Bursch den Großspender in Niederösterreich besucht hat, kann er sich nicht erklären – und ist selbst über die bekannt gewordenen Fälle erschüttert. Das aufzuklären, ist Sache der Kommission um Irmgard Griss – und der Justiz.
Halbhubers Appell lautet, dabei nicht zu vergessen: Aktuell werden 1.800 Kinder und Jugendliche betreut, viele Mitarbeiter leisten dort jeden Tag „großartige Arbeit“. Neben der nötigen Aufarbeitung müsse das Ziel sein, zu überlegen: Wie können wir Kinder besser schützen? Nicht nur bei SOS-Kinderdorf.
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