SOS-Kinderdorf: Platter fühlt sich von Kutin „getäuscht und ausgenutzt“
Für Platter ist es "undenkbar, dass man einem pädophilen Menschen die Tür zu Kindern aufmacht".
Als im Vorjahr der langjährige ehemalige Präsident von SOS-Kinderdorf, Helmut Kutin, verstarb, trauerte Tirols Alt-Landeshauptmann Günther Platter noch um einen „ganz besonders guten Freund“, den er auf verschiedene Kontinente begleitet hatte.
Gemeinsam unterwegs war man auch 2010, als Platter eine Tiroler Delegation anführte, die zur Eröffnung des vom Land Tirol mit 600.000 Euro mitfinanzierten nepalesischen Kinderdorfs in Lumbini anreiste.
Ebenfalls anwesend soll jener Großspender aus Niederösterreich gewesen sein, der in der Folge immer wieder nach Nepal flog und dort Kinder missbraucht haben soll. Kutin soll den Mann, im Wissen um dessen Neigungen und Übergriffe, hofiert und ihm Zugang zu Kindern ermöglicht haben.
„Mir fehlen die Worte“
„Nach meiner Vorstellung ist es undenkbar, dass man einem pädophilen Menschen die Tür zu Kindern aufmacht. Mir fehlen die Worte. Gerade als Vater und Großvater von inzwischen fünf Enkelkindern macht mich das tief betroffen“, zeigte sich Platter am Dienstag gegenüber dem KURIER am Rande einer Ehrung im Landhaus in Innsbruck, bei der ihm der Ring des Landes Tirol verliehen wurde, erschüttert.
2011 zeichnete Platter als Landeshauptmann Kutin noch selbst mit dieser höchsten Ehrung des Landes aus, die der vermeintlichen Lichtgestalt von SOS-Kinderdorf nun aberkannt werden soll.
„Ich hatte von ihm das Bild eines Weltbürgers, das Bild eines unfassbar tollen Menschen, der vielen Kindern weltweit geholfen hat. Und jetzt habe ich ein zerstörtes Bild. Wenn sich die furchtbaren Vorwürfe bewahrheiten, fühle ich mich ein Stück weit getäuscht und ausgenutzt“, sagt der Polit-Pensionist nach den Enthüllungen der vergangenen Tage.
SOS-Kinderdorf will weder bestätigen noch dementieren, ob besagter Großspender bei der Eröffnung in Lumbini war – geschweige denn, ob er dabei zeitgleich mit der Tiroler Delegation vor Ort war. Auch zum finanziellen Beitrag zur Errichtung des Kinderdorfs durch den Mann gibt es keine Auskunft.
„Wir bitten um Verständnis, dass wir zu einzelnen (auch historischen) Personendaten ohne behördliche Grundlage keine Namen bestätigen können“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Alle relevanten Informationen würden aber der Reformkommission vollständig zur Verfügung gestellt.
2010 reiste Platter zur Eröffnung des vom Land mitfinanzierten Kinderdorfs in Lumbini
Für Platter ist die Erinnerung an Nepal geprägt von leuchtenden Kinderaugen und dem ersten Treffen mit dem von ihm und seiner Frau bereits Jahre zuvor unterstützten Patenkind, das mit Unterstützung von SOS-Kinderdorf inzwischen Ärztin sei.
Lange stolz auf den Gründer
„Das war für mich persönlich eine herzberührende Begegnung. Umso tiefer geht es bei mir persönlich hinein, dass so etwas passiert“, so der Alt-Landeshauptmann. An einen angeblichen Großspender kann er sich nicht erinnern.
In Trümmern liegt inzwischen auch das Bild von Hermann Gmeiner, der SOS-Kinderdorf in der Heimatregion von Platter im Tiroler Oberland gegründet hat. Er soll sich an mehreren Buben vergangen haben.
„Wer von Gmeiner gesprochen hat, hat in größter Hochachtung von ihm geredet. Man war stolz, dass er als angesehene Persönlichkeit Zugang zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Welt hatte. Nun bricht die Erinnerung an Hermann Gmeiner zusammen“, so der 71-Jährige, der von 2008 bis 2022 Landeshauptmann von Tirol war.
Zahlreiche Standorte betroffen
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Gemeinde in Österreich laut über Umbenennungen von nach dem 1986 verstorbenen Kinderdorf-Gründer benannten Schulen, Plätzen oder Straßen nachdenkt. Inzwischen gibt es fast kein Bundesland mehr, in dem nicht ein Standort der Organisation von Gewaltvorwürfen betroffen ist.
Zwei dieser Standorte – Imst und der zweitälteste, Nußdorf-Debant – befinden sich in Tirol. Allein in Tirol hat die Organisation an 33 Opfer Entschädigungen bezahlt. „Man kann solche Verbrechen nicht mit Geld kaschieren“, stellt Platter klar.
Die Bundesländer sind freilich für die Kontrolle der SOS-Kinderdörfer zuständig. Hat die öffentliche Hand der Organisation also einen zu großen Vertrauensvorschuss gegeben?
Lehren für die Politik
„Man hat keine Wahrnehmung gehabt, dass da irgendwas derart schieflaufen könnte. Natürlich auch aufgrund der Persönlichkeit von Kutin, zu der viele Menschen auf der Welt aufgesehen haben“, meint Platter. Man müsse sich aber nun genau überlegen, „was man tun kann, um solche schrecklichen Ereignisse zu vermeiden“.
Bleibt die Frage, ob SOS-Kinderdorf überhaupt eine Zukunft hat? Für Platter ist die Basis, „dass das alles sehr seriös aufgearbeitet wird. Das traue ich Dr. Irmgard Griss mit ihrer Kommission auf jeden Fall zu.“
Ansonsten sollte man schauen, „dass so eine große Organisation eine Zukunft hat“, findet der langjährige Spitzenpolitiker mit Blick auf die Kinder, die Hilfe brauchen. Klar sei aber: „Das Gesamte muss neu aufgestellt werden – personell und inhaltlich.“
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