SOS-Kinderdorf: Wo die Länder bei der Neuaufstellung mitreden wollen
Die Vorfälle sollen sich am Standort Moosburg ereignet haben.
Rund sechs Wochen sind vergangen, seit sich das SOS-Kinderdorf im Kärntner Moosburg als Hort des jahrelangen massiven Missbrauchs von Kindern entpuppt hat. Die Wellen, die dieser Fall geschlagen hat, haben sich für die Organisation mittlerweile zu einem Tsunami entwickelt.
Über den beinahe wie einen Heiligen verehrten und 1986 verstorbenen SOS-Kinderdorf-Gründervater Hermann Gmeiner weiß man inzwischen, dass er sich in den 1950er- bis -80er-Jahren an zumindest acht Buben vergangenen haben soll.
Gmeiners Nachfolger als Kinderdorf-Präsident, der im Vorjahr verstorbene Helmut Kutin, steht wiederum nach Falter-Recherchen im Verdacht, einem pädophilen Großspender im Wissen um dessen Veranlagung Zugang zu Kindern ermöglicht zu haben und den Mann selbst nach dokumentierten Übergriffen geschützt zu haben.
Neuer Fall in NÖ
Kaum ein Tag vergeht zudem, an dem nicht weitere Missstände an diversen Standorten im ganzen Land bekannt werden. So gibt es laut KURIER-Informationen nun auch in Niederösterreich schwere Vorwürfe gegen eine Sozialpädagogin von SOS-Kinderdorf. Sie soll Kinder drangsaliert haben.
Unter anderem ist von kalten Duschen die Rede. Schützlinge, die beim Essen nicht still am Tisch saßen, mussten zur Strafe stehen. Die Frau wurde vom Dienst freigestellt.
„Dies ist keine Vorverurteilung. Es handelt sich um eine laufende Prüfung“, sagt ein Sprecher von SOS-Kinderdorf zu der Causa. Die mutmaßlich schauderhaften „Erziehungsmethoden“ haben die zuständige Abteilung des Landes zu einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft veranlasst.
Rund 120 Kinder werden in Niederösterreich von SOS-Kinderdorf betreut. In Hinterbrühl – hier war die freigestellte Pädagogin tätig – und Guntramsdorf gibt es zwei Hauptstandorte, dazu kommen mehrere Wohngruppen.
In ganz Österreich sind 1.768 Kinder und Jugendliche unter der Obhut von SOS-Kinderdorf in Einrichtungen dieses größten privaten Trägers der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht. Diese fällt in die Kompetenz der Bundesländer. Es besteht gewissermaßen eine wechselseitige Abhängigkeit.
Von Steuergeld abhängig
Aufgrund der Größe von SOS-Kinderdorf ist ein Zusperren von einem auf den anderen Tag kaum denkbar. Umgekehrt ist der Koloss auf Steuergeld angewiesen. Hier haben die Bundesländer, die nun auf volle Transparenz drängen, einen mächtigen Hebel, den sie ansetzen wollen. Man will bei der Neuaufstellung ein kräftiges Wort mitreden, ist zu hören.
Bisher lag der Fokus in der Debatte um das fragliche Überleben der Organisation auf den vermutlich einbrechenden Spendengeldern. Aber tatsächlich kommt das meiste Geld für den Betrieb von SOS-Kinderdorf von der öffentlichen Hand, die Taggelder für die Betreuung bezahlt.
„An und für sich ist das System damit ausfinanziert“, heißt es aus dem Sozialressort eines Bundeslandes.
Das Geld für den Betrieb der Organisation kommt vor allem aus öffentlichen Mitteln
Das größte Problem bei einem etwaigen Bruch mit dem großen Träger wäre, dass die Immobilien im Besitz von SOS-Kinderdorf stehen. Aber auch hier kann sich die Organisation nicht in Sicherheit wiegen. Einzelne Standorte seien aufgrund ihrer Größe ohnehin „nicht mehr State of the Art“, hört man.
Das gilt etwa für den Gründungsstandort Imst, wo mehrere Dutzend Kinder und Jugendliche betreut werden. Auch hier hatte, wie im Fall Moosburg, eine 2021 von SOS-Kinderdorf beauftragte Studie physische und psychische Gewalt aufgezeigt. Man trennte sich zwar von Führungskräften, das Dokument blieb aber unter Verschluss.
33 Opfer entschädigt
Kommenden Dienstag steht ein Gespräch der neuen Standortleitung und SOS-Kinderdorf-Geschäftsführerin Annemarie Schlack mit Tirols Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) an. Allein in Tirol hat die Organisation über die Jahrzehnte in 33 Fällen 370.000 Euro an Entschädigungen an Opfer bezahlt – darunter auch jene, an denen sich Gmeiner vergangen hat.
Pawlata dürfte dem Vernehmen nach darauf drängen, dass SOS-Kinderdorf dem Land die Namen der Betroffenen – zumindest jene der jüngeren Zeit – offenlegt. Man will auch sicherstellen, dass kein öffentliches Geld für Entschädigungen verwendet wurde.
Und das wohl nicht nur in Tirol. So hat auch Salzburgs Landesrat Wolfgang Fürweger (FPÖ), er ist aktuell Sprecher aller Kinder- und Jugendreferenten, klargestellt: „Es wird sicher kein zusätzliches Steuergeld geben, um irgendwelche Leichen der Vergangenheit zu begraben.“
„Es kann schnell gehen“
Der Druck aus den Ländern dürfte also enorm sein. Die beobachten offenkundig eine mögliche Entwicklung mit Argusaugen – nämlich, ob angesichts der fast täglichen Negativ-Schlagzeilen über SOS-Kinderdorf eine Absetzbewegung bei den Mitarbeitern der Organisation, die vielfach hervorragende Arbeit leisten, einsetzt.
„Wenn das passiert, kann es schnell gehen“, heißt es aus dem Büro eines für Soziales verantwortlichen Mitglied einer Landesregierung. Dann sei fraglich, ob SOS-Kinderdorf, dass sich bis Ende 2026 neu aufstellen will, das überlebt. Denn mit den Mitarbeitern steht und fällt die Betreuung der schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen.
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