Neue Vorwürfe um SOS-Kinderdorf: "Da zieht es mir eine Gänsehaut auf"
Tirols Ex-SPÖ Chef Gerhard Reheis war in der Zeit von 2001 bis 2013 zunächst Bürgermeister von Imst und dann Soziallandesrat.
In der Tiroler Bezirkshauptstadt Imst kommt man SOS Kinderdorf eigentlich nicht vorbei. Hier hat Hermann Gmeiner den Grundstein für die heute weltweit tätigte Organisation gelegt und ist hier auch begraben. Nach ihm ist eine Schule und eine Straße benannt.
Und bis vor wenigen Tagen, als Vorwürfe gegen Gmeiner wegen des Missbrauchs von Kindern bekannt wurden, saß er in Bronze gegossen auf einer Bank neben der Johanneskirche. Nun stürzt mit Gmeiners Ziehsohn und Nachfolger Helmut Kutin – einst selbst Kinderdorf-Kind in Imst, später Präsident der Organisation und im Vorjahr verstorben – der nächste Säulenheilige vom Sockel.
Schwerer Vorwurf
Er soll einem mutmaßlich pädophilen Großspender Zugang zu Burschen in Kinderdörfern ermöglicht haben und ihn trotz Kenntnis von Missbrauchshandlungen durch den Gönner weiter hofiert haben.
„Das wäre natürlich der Oberwahnsinn. Wenn er das gewusst hat und diesen Mann nicht der Gerichtsbarkeit übergeben hat, ist das ein No-Go“, sagt Gerhard Reheis. Der Ex-Chef der Tiroler SPÖ, heute 70 Jahre alt, war von 2001 bis 2008 Bürgermeister der Kinderdorf-Gründergemeinde Imst.
Er hatte aber auch in der Folge als Soziallandesrat (bis 2013) zahlreiche Berührungspunkte mit der Organisation und Kutin. „Ich hatte viele Gespräch mit ihm. Das erschüttert die ganze Beziehung, die ich zu ihm hatte“, zeigt sich Reheis fassungslos.
"Wie kann man so etwas zudecken?"
Er fragt sich auch in Hinblick auf die gesamte Organisation: „Wie kann man so etwas zudecken, weil man vielleicht das Geld von einem Großspender braucht?“
Als Landesrat war Reheis zuständig für die Aufarbeitung des Missbrauchs an Heimkindern in Tiroler Landeseinrichtungen in der Nachkriegszeit. „Ich habe mit diesen Betroffenen damals persönlich geredet. Ich weiß, was dort passiert ist. Deshalb zieht es mir eine Gänsehaut auf, wenn jemand Kinder missbraucht“, zeigt er sich betroffen.
Der SOS-Kinderdorf-Skandal schlägt auch im Heimatort des Ex-Politikers enorme Wellen: „Imst war immer sehr stolz darauf, dass die Stadt Gründergemeinde dieser weltumspannenden Bewegung ist. Die Bevölkerung ist erschüttert. Ich verspüre einen massiven Vertrauensverlust gegenüber SOS Kinderdorf.“
Unter den Teppich gekehrt
Besonders schwer wiegt für Reheis, „dass man das alles offenbar schon länger gewusst und unter den Teppich gekehrt hat.“
Dass nun immer neue Vorwürfe publik werden, überrascht den Tiroler, der selbst mit Kinderdorf-Kindern in die Schule gegangen ist, nicht. „Das war schon bei den Heimopfern so: Wenn jemand das Eis gebrochen hat, dann bricht der See auf. Wir werden sehen, was noch alles kommt.“
Für Reheis gilt es jetzt bei aller notwendigen Aufarbeitung auch, „sehr auf den Schutz der Schutzbedürftigen in diesen Einrichtungen zu achten“, um Stigmatisierung zu vermeiden. Man müsse zudem darauf achten, dass nicht ein Generalverdacht gegen alle Mitarbeiter von SOS-Kinderdorf entsteht.
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