Reisen, Kultur, Wirtschaft: Wann werden wir wieder unbeschwert leben?
Am 25. Februar gab es die ersten offiziellen Covid-19-Fälle in Österreich: Zwei italienische Studenten wurden in Innsbruck positiv getestet.
Am 13. März verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz den Lockdown, dessen erste Schritte am 16. in Kraft traten. Sie wissen schon: Nur vier Gründe, das Haus zu verlassen etc.
In diesen 13 Wochen seither ist insgesamt so viel passiert wie noch nie zuvor in der Zweiten Republik. Corona ist Ibiza hoch zehn – und nicht wenige sind froh über die aus ihrer Sicht immerhin richtige zeitliche Abfolge.
Wir haben einen Schnellsiedekurs in Infektiologie bekommen und sind zu Ehrendoktoren der Statistik und Virenforschung geworden. Wir haben manche Regierungsmitglieder besser kennengelernt, als es uns vielleicht lieb war. Wir haben so viel gekocht und Restaurant-Verzicht betrieben wie ganze Generationen vor uns nicht. Wir haben gelernt, Masken aufzusetzen und immer noch nicht, unbeschwert darunter zu atmen.
Weitere Lockerungen
Und abseits dieser persönlichen Dinge wurde – noch viel schwerwiegender – die Wirtschaft an existenzielle Grenzen gebracht, wurden ganze Branchen nahezu zerstört, Verschwörungstheorien kultiviert und die Gesellschaft in Befürworter und Gegner der Regierungsmaßnahmen getrennt. Auch in dieser Hinsicht gilt: Corona ist Van der Bellen gegen Hofer zum Quadrat bzw. Wien gegen Bundesländer.
Nun gehen am Dienstag viele Grenzen wieder auf, die Maskenpflicht beschränkt sich auf Öffis und auf wenige Berufsgruppen, und man kann sogar Van-der-Bellen-mäßig bis nach Mitternacht im Lokal sitzen bleiben.
Alle Experten warnen jedoch: Die Bedrohung durch das Virus ist längst nicht vorbei. Daher fragen wir an dieser Stelle: Wann werden wir wieder unbeschwert leben? Wie lange hält der Wahnsinn, wenn auch gelockert, an?
Die New York Times fragte zuletzt 511 Epidemiologen, wie sie selbst mit manchen Tätigkeiten umgehen. 64 Prozent werden frühestens nach einem Jahr ein Sport- oder Kulturevent besuchen. 56 Prozent gehen in den nächsten drei Monaten noch nicht ins Restaurant. Nur 20 Prozent wollen im Sommer eine U-Bahn benützen. Und 6 Prozent nie wieder jemandem die Hand geben.
Wann werden wir wieder ohne Bedenken verreisen können?
Jetzt gleich. Bedenkenlos verreisen kann man ab sofort – in einigen Ländern erhalten Reisende sogar einen Bonus, meint Gregor Kadanka, Obmann des Fachverbands der Reisebüros. "So aufgeräumt, freundlich und leer war es noch nie", sagt er in Anspielung auf leere Adriastrände in Italien und Kroatien. Die Buchungssaison für den Sommer sei ausgefallen, wer bald in den Süden fahre, könne alleine über Sandstrände spazieren. Wer das erleben will, sollte aber nicht zu lange warten, da sich die Hotels sukzessive füllen werden.
Die Sicherheitsvorschriften sind laut Kadanka in anderen Ländern nicht anders als in Österreich – Hände waschen, Abstand halten, und, wo das nicht möglich ist, Maske tragen. Wer sein Ziel nicht mit dem Auto erreichen kann, sollte auch mit Flügen oder Zügen gut ankommen. Verkehrsunternehmen können über Modellrechnungen die Nachfrage einschätzen und Kapazitäten hochfahren, so Kadanka.
Wann wird es einen Impfstoff geben?
Vielleicht nie. In puncto Impfstoff blickt die Welt in eine vage Zukunft. An mehr als 100 Corona-Impfstoffen wird aktuell gebastelt. Wobei der Ausdruck "basteln" angesichts der Komplexität solcher Forschungen reichlich trivial erscheint. Impfstoffe müssen allerhöchste Sicherheitsstandards erfüllen. Bei Weitem nicht in einzige Hürde: Vieles dreht sich um die Frage, wie sich der menschliche Körper gegen SARS-CoV-2 wehrt und wie lange man nach einer durchgemachten Infektion immun ist. Erst, wenn das geklärt ist, kann ein passgenauer, wirksamer Impfstoff gefertigt werden.
Experten lassen sich nicht zu übereilten Prognosen hinreißen: Vor der zweiten Hälfte 2021 sei nicht mit einer Vakzine zu rechnen. Interessant: Impfentwicklungsprojekte gegen die Erreger SARS und MERS verliefen nach erster Aufregung einst im Sand. Zwar machen Politik und Wissenschaft gegen SARS-CoV-2 in weitaus größerem Stil mobil. Wie lange der Einsatz dieses Mal währt, ist ungewiss.
Ab Montag wird die Maskenpflicht massiv reduziert. Nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Gesundheitsbereich (Arzt, Spitäler, Apotheken) sowie bei Dienstleistern (etwa Friseuren), die den Abstand nicht einhalten können, herrscht weiterhin Maskenpflicht. In der Gastronomie muss das Personal Mund-Nasen-Schutz tragen, das gilt aber nicht für Gäste. Im Handel muss keine Maske mehr getragen werden. Generell empfiehlt die Bundesregierung, weiterhin Maske zu tragen, wenn es zu eng wird.
Gastronomie & Events: Ab 15. Juni wird die Sperrstunde für Gastronomiebetriebe von 23 auf 1 Uhr nachts verlegt. Größere, zusammengehörende Gruppen können gemeinsam ins Wirtshaus. Der Tischabstand von mindestens einem Meter zwischen Gästen, die nichts miteinander zu tun haben, muss bleiben.
Für Events kommen die Änderungen später: Seit 29. Mai sind Veranstaltungen bis 100 Personen erlaubt. Ab 1. Juli sind Veranstaltungen mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen in geschlossenen Räumen mit bis zu 250 Besuchern und im Freiluftbereich mit bis zu 500 Besuchern möglich. Ab 1. August werden diese Zahlen auf 500 Besucher in geschlossenen Räumen und 750 Besucher im Freiluftbereich erhöht. Weiters besteht ab 1. August die Möglichkeit, Veranstaltungen mit bis zu 1.000 Personen in geschlossenen Räumen und mit bis zu 1.250 Personen im Freiluftbereich durchzuführen. Voraussetzung: Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde muss sie bewilligen.
Reise und Reisefreiheit: Zu 31 Ländern werden die Beschränkungen in der Nacht von 15. auf 16. Juni aufgehoben. Dazu zählen alle EU- und EFTA-Staaten, mit vier großen Ausnahmen: Schweden, Großbritannien, Portugal und Spanien. Über die Lombardei verhängt das Außenministerium eine partielle Reisewarnung.
Flüge: Die AUA hebt nach fast 90 Tagen Grounding ab Montag wieder ab. Begonnen wird mit 36 Destinationen. Auf dem Flugplan stehen 17 Strecken in Deutschland sowie Zürich, Paris, Amsterdam, Brüssel, Tel Aviv und Ziele in Osteuropa und Griechenland. Zum Einsatz kommen 12 der insgesamt 80 Flugzeuge. Der Erstflug geht um 6:30 nach München.
Wann werden wir uns wieder abbusserln können?
Ein Handschlag zur Begrüßung, ein Bussi zum Abschied: Was Jahrhunderte lang Ausdruck von Höflichkeit oder Zuneigung war, galt in den vergangenen Monaten als schlimmer Fehltritt. Die Distanzregeln gehörten zum Kern des Plans gegen die Pandemie.
Jetzt aber, wo wir nach und nach zur Normalität zurückfinden, stehen wir uns unbeholfen gegenüber. Soll man jetzt? Oder ist es doch zu gefährlich? Die Frage ist also: Werden wir uns je wieder sorglos in die Arme schließen? Und wenn ja, wann? Zukunftsforscher Reinhold Popp meint: "Die Distanzregeln in unserem Kopf werden uns noch eine Zeit lang begleiten. Wir werden ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn wir uns die Hand geben oder uns umarmen." Aber verschwinden würden diese Gesten nicht. Der Mensch hänge an alten Gewohnheiten. Und es seien Zeichen der friedlichen Begegnung. "Wenn die große zweite Welle ausbleibt, werden wir noch in diesem Jahr alte Gewohnheiten pflegen."
Wie lange werden wir an der Wirtschaftskrise leiden?
Die Wirtschaftskrise wird uns einige Jahre begleiten, und das auch im Falle einer positiven Entwicklung im Kampf gegen die Corona-Pandemie, sagt Martin Kocher, Direktor des Instituts für Höhere Studien. Das hat mehrere Gründe: "Zum einen ist die ganze Welt betroffen, zum anderen geht der Konsum zurück, weil die Menschen verunsichert sind und sparen."
Das habe zur Folge, dass die Unternehmen weniger investierten. Letztlich seien Österreichs Exporte eingebrochen, da es anderen Ländern auch nicht besser gehe.
Laut Schätzungen wird die Wirtschaftskrise zwei bis vier Jahre dauern. Die Dauer hängt davon ab, wie lange die Epidemie anhält, wann es eine Impfung gibt und ob es zu einer zweiten Welle kommt. "Tatsächlich befinden wir uns aber schon wieder auf dem Weg heraus", sagt Kocher. Während des Lockdowns habe sich das österreichische Wirtschaftsleben um 30 Prozent reduziert, es gebe inzwischen wieder deutlich mehr Aktivität.
Wann wird das Homeoffice wieder abgeschafft?
Wahrscheinlich nie. Arbeiten von daheim? Hatte in Österreich bisher keinen guten Ruf. Seit Corona wissen wir, dass von Zuhause mindestens so viel wie im Büro gearbeitet wird und dass man für Videokonferenzen kein Fachstudium braucht. Der Video-Dienst Zoom verzeichnete im April 300 Millionen Teilnahmen an Videokonferenzen täglich. Experten glauben, dass mindestens noch bis Jahresende Office-Ausnahmezustand herrscht.
Umfragen zufolge wollen Zweidrittel der österreichischen Arbeitnehmer auch nach der Krise im Homeoffice arbeiten. Und das, obwohl es seine Tücken hat. 42 Prozent klagen, mit ihren privaten Geräten arbeiten zu müssen. Grundsätzlich könnte der fixe Arbeitsplatz zum Auslaufmodell werden. Dass das Büro ganz ausgedient hat, glaubt aber keiner. Denn Kommunikation braucht auf Dauer mehr als digitale Begegnung. Wahrscheinlich ist, dass wir einen Mix finden. Mal im Büro, mal daheim und gerne auch mit dem Laptop im Café.
Wann werden Festivals und Sportevents wieder stattfinden?
Vielleicht erst 2021. Ob Coachella oder Burning Man: So gut wie alle Großevents in den USA wurden heuer abgesagt, auch die New Yorker Philharmoniker spielen 2020 nicht mehr. Live Nation, der größte Konzertveranstalter der Welt, kündigte Konzerte ohne Fans oder mit reduzierter Kapazität an und sprach von voller Rückkehr erst im zweiten Halbjahr 2021.
In Österreich schickt etwa das Nova Rock Festival heuer den Fans den Rock ’n’ Roll per Videostream nach Hause. Das Donauinselfest tourt mit einem Bus durch Wien, die Wiener Festwochen haben sich für eine Minimal-Variante im Herbst entschieden, die Bregenzer Festspiele sind ganz abgesagt, die Salzburger Festspiele präsentieren ihr Jubiläumsprogramm verkürzt. In der Wiener Staatsoper startet der Kartenverkauf für September am 6. Juli. Aber darauf, etwa in der Stadthalle eng aneinandergedrängt bei einem Rockkonzert mitgrölen zu dürfen, werden wir noch warten müssen.
Wie lange noch bis wir wieder volle Theater haben?
Die Pandemie hat zu einem seit 1945 nie da gewesenen Stillstand im Kulturleben geführt. Die Künstler melden sich aus ihren Wohnzimmern oder aus leeren Theatern und Konzertsälen. Seit 29. Mai ist vieles wieder möglich. Indoor mit bis zu 100 Besuchern, ab 1. Juli mit bis zu 250 Besuchern. Ab 1. August sind dann Veranstaltungen bis 1.000 Besucher bei Vorliegen eines entsprechenden Sicherheitskonzepts der Veranstalter durchführbar. Das geht aber nur mit Sitzplätzen und Sicherheitsabstand.
Wie werden die Theater damit umgehen und wie wird es überhaupt weitergehen in Kulturland Österreich? Gibt es weitere Lockerungen und wie sieht der Kulturbetrieb im Herbst aus? Kommende Woche soll darüber bei der Regierungsklausur debattiert werden. Sollten sich die Infizierten-Zahlen so weiterentwickeln, könnten Kunst und Kultur sukzessive weiter geöffnet werden. Wann es Normalität gibt, kann derzeit keiner sagen.
Wann wird die Gastronomie wieder brummen?
Viele Nächte. Das wird noch dauern – so viel steht fest. Gastronomen, die ihre Lokale schon geöffnet haben dürfen – Wirte, Cafetiers – sprechen derzeit von mindestens 30 Prozent Umsatzeinbußen. Mancherorts sind es auch mehr. Weil die Gäste ausbleiben, habe viele ihre Öffnungszeiten eingeschränkt. Manche Cafés blieben an den Feiertagen zu – doppelte Löhne bei wenig Gästen, das geht sich momentan für viele nicht aus. Andere haben am Wochenende geschlossen. Aus ähnlichen Gründen. Bars sind nur vereinzelt geöffnet, Clubs dürfen noch gar nicht geöffnet haben. Wenn heute, Montag, die Maskenpflicht in Lokalen fällt und die Sperrstunde auf 1 Uhr ausgeweitet wird, kehrt also zwar wieder ein Stückchen Normalität zurück. Überstanden ist die Krise dann für die Gastronomie aber nicht: Der Sommer ist vor allem in Wien eine Herausforderung – und es kommt ganz darauf an, wie der Tourismus mit der teilweise zurückgewonnenen Reisefreiheit anspringt.
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