Lockdown, Isolation und der Blick in eine ungewisse Zukunft haben bei vielen von uns Ängste geschürt. Wieso die einen mehr und die anderen weniger Angst haben und wie das mit anderen Krisen zusammenhängt, erklärt Reinhold Popp, Psychologe und Zukunftsforscher an der Sigmund-Freud-Privatuni.
KURIER: Wie lange wird uns die Angst vor der Ansteckung noch begleiten? Reinhold Popp: Selbst wenn keine Ansteckung mehr droht, wird eine Grundangst bestehen bleiben. Aber sie wird sich verschieben, etwa in Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, der Kaufkraft oder vor sozialem Abstieg.
Woher rührt diese Angst?
Unser Gehirn schlägt Alarm, wenn eine direkte und persönliche Gefahr droht. Die TV-Bilder von den Intensivstationen im benachbarten Italien waren solche bedrohlichen Signale. Man hatte den Eindruck, es sei die gefährlichste Todesursache der Welt. Diese Angst wurde auch geschürt.
Von den Medien? Nicht nur. Wenn der Bundeskanzler sagt, bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist, ist das nicht ideal.
Wieso haben manche mehr Angst und andere gar keine?
Das hängt davon ab, ob man mit Urvertrauen aufgewachsen ist oder nicht. Wer in einer Familie aufgewachsen ist, in der solch ein Grundvertrauen aufgebaut werden konnte, hat prinzipiell das Gefühl, mit Herausforderungen zurechtzukommen. Die anderen fürchten sich - salopp gesagt – vor allem und jedem. Sie entwickeln dann Strategien wie Suche nach Schuldigen oder Leugnen, um mit dieser Angst fertigzuwerden. Und diese Angst verfolgt sie ein Leben lang – ob es die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise oder die Corona-Krise ist.
Aber ein gewisses Maß an Sorge ist sicher angebracht, oder?
Das ist der springende Punkt. Also ob es eine realistische oder irrationale Angst ist. Wenn zum Beispiel ein kleines Kind auf der Fensterbank sitzt und droht, hinauszufallen, dann sorgt die Realangst für eine rasche Reaktion. Aber jetzt, wo nur noch ein paar Menschen an Covid-19 erkrankt sind, macht eine panische Angst vor Ansteckung keinen Sinn. Es geht um den Unterschied zwischen Angst und Sorge. Letztere kann sich in Vorsorge verwandeln, also dass ich zum Beispiel zur Sicherheit eine Maske trage. Das ist der erwachsene Zugang.
Was raten Sie Menschen mit solch starken Ängsten?
Ohne psychologische Beratung oder Psychotherapie ist das schwer zu bewältigen. Wichtig ist, dass Autoritäten – ob Kindergartenpädagoge, Lehrer, Vorgesetzter oder eben Bundeskanzler – keine zusätzliche Angst schüren. Das ist keine Generalkritik. Es mussten in der Corona-Krise viele schwierige Entscheidungen getroffen werden. Aber man hat vergessen, dass es Bürger gibt, die mit dieser Angst nicht zurechtkommen.
Ab kommender Woche wird es weitere Lockerungen geben. Werden sie den Effekt haben, dass sie bei manchen die Angst löst?
Bei vielen Menschen schon. Aber die Leugner werden sagen, es war von Vornherein nichts. Andere werden sagen, dass macht man nur, um die Wirtschaft anzukurbeln, auf Kosten der Gesundheit. Und bei manchen wird sich die Angst eben auf andere Befürchtungen transferieren.
Anfangs gab es die Hoffnung, dass sich die Gesellschaft durch die Corona-Krise bessern wird. Gibt es diese Chance noch? Das war naiv. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, der sich nach der alten Normalität sehnt. Aber manches wird natürlich anders sein, einfach weil weniger Geld da ist.
Sie sind Zukunftsforscher. Haben Sie im Vorhinein mit solch einer Pandemie gerechnet?
Ja, es gab viele Überlegungen dazu. Und auch zwei detaillierte Studien, wie den Pandemieplan des deutschen Robert-Koch-Instituts. Dieser beinhaltete auch Vorbereitungsmaßnahmen – von den Intensivstationen bis zu den Schutzmasken. Experten haben also gewarnt, dass so etwa kommen wird, man wusste nur nicht wann. Vor allem die Vorsorge bei Masken und Schutzkleidung wurde aber von der Politik zu wenig ernstgenommen. Wenn man also etwas für die Zukunft lernen will, dann, dass wir auf die nächste Pandemie besser vorbereitet sein sollten.
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