Raab: "Pandemie ändert nichts an Kopftuchverbot"
KURIER: Wann hatten Sie zuletzt Angst?
Susanne Raab: Ich hatte Sorge um meine Eltern, dass ihre Gesundheit gefährdet sein könnte.
Ist die Angst jetzt verflogen?
Nein. Ich bin weiter wachsam. Wir haben eine Zeit der notwendigen Entbehrungen und strengen Regeln hinter uns. Jetzt geht es um Eigenverantwortung. Denn nicht alles, was jetzt nicht verboten ist, ist auch vernünftig, denn: Die Krise ist nicht überwunden, das Coronavirus nicht besiegt.
Insbesondere der Bundeskanzler wurde diese Woche dafür kritisiert, Angst geschürt zu haben, obwohl die Infektionszahlen etwas Anderes besagten. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Der Blick in andere Länder, der Austausch mit Amtskollegen hat uns gezeigt, welch furchtbares Leid mit vielen Toten das Coronavirus mit sich bringen kann, wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird. Wir haben darauf und auf alle Risiken aufmerksam gemacht. Wir sollten zufrieden sein, dass es uns anders ergangen ist.
Bereits Mitte März haben Sie die Frauen Helpline und Online-Beratung für Frauen aufgestockt. Noch ist wider Erwarten von keinem Anstieg der Gewalt die Rede.
Die Zahlen sind tatsächlich noch nicht im Steigen. Ich weiß von meiner Amtskollegin in Italien - das uns in der Entwicklung voraus ist - dass die Nachfrage nach Plätzen in Frauenhäusern zu Beginn nahezu zum Erliegen gekommen ist, weil Frauen dachten, dass die Häuser geschlossen sind, und weil sie befürchteten, sie würden sich dort anstecken.
Ist die Entwicklung in Österreich ähnlich oder gar gleich?
Nein, genau aufgrund dieser Erfahrungen war es der Justizministerin, dem Innenminister und mir so wichtig, rechtzeitig darüber zu informieren, dass die Frauenhäuser geöffnet sind, dass es trotz Quarantäne zu Wegweisungen kommen kann. Durch die Kampagne und seit der Corona-Krise haben 71 Prozent mehr Frauen bei unserer Hotline angerufen als davor.
Hat die Prävention also gleichsam Wunder gewirkt?
Die Gretchenfrage lautet: Ist es tatsächlich zu keinem signifikanten Anstieg von Gewalt wegen der Präventionsmaßnahmen gekommen, oder kommt der Anstieg verzögert, nachdem die Ausgangsbeschränkung vorbei ist. Nach Gesprächen mit Kollegen aus Dänemark, Island, der Schweiz und den USA kann ich Ihnen sagen: Wir wissen es nicht, denn wir waren noch nie in einer solchen Situation.
Ganz abseits der Gewalt beschleicht viele die direkte wie indirekte Sorge, dass wir in einer Krisenzeit leben, dass wir die schönsten Zeiten gerade hinter uns gelassen haben. Wie kann die Politik dieser kollektiven Stimmung entgegenwirken?
Diese Zeit ist für uns alle eine Belastung – auch für das seelische Wohlbefinden, weil unser Alltag ein neuer, ein anderer ist. Oft hilft ein objektiver Blick von außen. Deshalb wurden die Kapazitäten bei den Telefonberatungen aufgestockt, und es wurde ermöglicht, dass eine psychotherapeutische Betreuung online begonnen werden kann.
Das heißt, Psychotherapie mittels Mouseklick?
Wir haben auf oesterreich.gv.at alle österreichweiten Anlaufstellen aufgelistet. Dorthin kann man sich in einem ersten Schritt wenden. Wenn es den Wunsch gibt und es das Screening durch den Experten ergibt, kann der Betroffene an einen Psychotherapeuten vermittelt werden, und die Therapie kann online beginnen.
Wird es mehr Mittel für die psychische Gesundheit geben?
Die Krankenkassen werden diese Hilfen durch das laufende Budget abdecken. Zudem wurde der Familienhärtefonds auf 30 Millionen Euro aufgestockt, um Familien zu unterstützen.
Eine zweite Initiative betraf Migranten. Sie haben in 16 Sprachen über die Maßnahmen der Regierung informiert. Werden Sie in der wichtigen Phase II weiter mehrsprachig informieren?
Das wollen und werden wir! Wir werden sobald als möglich unser Deutschkurse-Angebot wiederaufnehmen, denn in der Integration ist nichts wichtiger als der Austausch zwischen Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft. Es ist unumgänglich, dass man wieder persönlich in einen Deutschkurs kommen kann – insbesondere für Frauen. Weil eben diese Deutsch- und Wertekurse oftmals der einzige Kontakt außerhalb der Community sind.
Ist die Integration ins Stocken geraten, oder sind wir in der Entwicklung gar zurückgeworfen?
Die Corona-Krise war für die Integration nicht förderlich. Wir setzen alles daran, dem entgegenzuwirken. Wie überall ist auch bei der Integration das A und O die Eigenverantwortung. Manche nutzen unser ausgezeichnetes Angebot an Online-Kursen, manche auch nicht. Wir hatten bereits vor der Krise 32.000 arbeitslos gemeldete Asylberechtigte, jetzt sind es Tausende mehr. Es liegt wie immer auch an jedem einzelnen, sich Qualifikationen anzueignen. Die Grundvoraussetzung für die Asylberechtigten ist das Erlernen der Sprache.
Sie haben sich für ein Kopftuchverbot der bis 14-Jährigen ausgesprochen. Jetzt wird durch den Mund-Nasen-Schutz ein Großteil des Gesichts verdeckt. Wird es für Sie womöglich schwieriger, dieses Verbot durchzusetzen?
Beim Mund-Nasen-Schutz geht es um ein Gebot der Gesundheit, das alle betrifft. Beim Kopftuch für Kinder geht es um ein ideologisches Symbol, das Mädchen bestimmter Kulturkreise betrifft und gegen das wir vorgehen werden, weil es die Entwicklung von jungen Frauen beeinträchtigt. Beides darf und kann nicht vermischt werden. Die Pandemie ändert nichts daran, dass wir für ein Kopftuchverbot von Mädchen eintreten. Das sage ich als Frauen- und Integrationsministerin.
Wie wichtig war es für Sie als Kultusministerin, die Gotteshäuser der unterschiedlichen Konfessionen wieder aufsperren zu können?
Gerade in der Krise gibt der Glaube Halt und Kraft, deshalb war es uns im Einvernehmen mit den 16 Religionsgemeinschaften so wichtig, dass der Schutz der Gläubigen mit dem Ausüben ihrer Religion vereinbar wird. Wir haben den Abstand zwischen den Gläubigen jeweils auf zwei Meter vereinbart, damit zusätzlich zum Mund-Nasen-Schutz größtmögliche Sicherheit gewahrt werden kann.
Wird die Coronakrise zu mehr Religiosität oder mehr Gläubigen führen?
Diese Frage kann ich nur persönlich beantworten: Ich habe an meinen Eltern gesehen, dass ihnen der Glaube in Form von Gottesdiensten im Radio und Internet Struktur gab und Stütze war.
Ist es ein Gebot der Nächstenliebe oder Solidarität, gerade in Krisenzeiten, Flüchtlinge aufzunehmen? Deutschland, Luxemburg und Portugal nehmen minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge von den griechischen Inseln auf. Österreich nicht.
Wir erleben eine historische Krisenzeit, in der die in Österreich lebenden Menschen all unsere Hilfe brauchen. Gleichzeitig schickt Österreich Hilfsgüter in den Westbalkan, wir nehmen Corona-Intensivpatienten aus anderen Ländern auf, und wir unterstützen Flüchtlinge vor Ort. Deshalb haben wir eine Million Euro via UNHCR nach Griechenland gesendet. Durch die Verdoppelung der Spendenaktion von "Nachbar in Not" gibt es zusätzlich vier Millionen Euro.
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