Korruptionsjäger über Gier und Macht

Korruptionsjäger über Gier und Macht
Staatsanwalt Walter Geyer geht mit Monatsende in Pension. Die Anklage gegen Ernst Strasser ging noch über seinen Schreibtisch. Ein Abschiedsinterview.

Er geht. Ein paar Tage bleiben Walter Geyer, dem Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, noch, dann wartet der Ruhestand.
Im Gespräch mit dem KURIER erzählt der Korruptionsexperte von seinen Anfängen als „kleines Rädchen“ unter Christian Broda; warum die politische Moral in den letzten 25 Jahren nicht sonderlich gestiegen ist; und warum er sich eine gebrauchte Leder-Couch ins Büro stellen ließ.

KURIER: Herr Geyer, gehen Sie lachenden oder weinenden Auges?
Walter Geyer:
Beides. Mir wird etwas abgehen. Aber fast 40 Jahre Justiz sind genug. Man muss in der Lage sein, Türen zu schließen.

„40 Jahre Justiz sind genug“ heißt, dass Sie jetzt etwas anderes machen? Eventuell wieder Politik?
Ich werde die Pension genießen. Ich werde sicher nicht von der Galerie herunterrufen und alles besser wissen.

Als junger Bezirksrichter in Oberwart ereilte Sie unter Christian Broda der Ruf aus dem Justizministerium. Was haben Sie dort getan?
Im Ministerium war ich ein Jahr in der Straf¬legislative und war dort das kleinste Rädchen. Ohne Einfluss, aber mit großen Augen.

„ Kleinstes Rädchen …“ Heute nennt man Sie den „Chefankläger“ der Republik.
Diese Bezeichnung finde ich unpassend. Ich bin der Leiter einer noch relativ jungen Behörde und kann mit derartigen medienwirksamen Ausdrücken nichts anfangen.

Man nannte Sie auch den „Androsch-Jäger“, als Sie als junger Staatsanwalt gegen den ehemaligen Finanzminister Hannes Androsch wegen Steuerhinterziehung ermittelt haben.
Als Jäger habe ich mich nie gesehen. Das trifft nicht meine Einstellung. Von meinem Verständnis her ist die Hauptaufgabe – auch in politisch sensiblen Verfahren – nicht jemanden zu jagen, sondern einer Sache auf den Grund zu gehen, einen Sachverhalt aufzuklären.

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"Ich habe gelernt, dass das Leben fad und unangenehm sein kann." Geyer über die guten Seiten des Bundesheers.
Aber der Sachverhalt hängt immer an Menschen.
Das bedeutet nicht, Menschen zu jagen.

Können Sie Mensch und Sachverhalt trennen?
Total. Aufgabe und Erfolg sehe ich darin, dass wir eine Sache gut geklärt haben – und nicht darin, dass wir jemanden vor Gericht bringen.

Das würde bedeuten, es spielt für Sie keine Rolle, ob es zu einem Prozess kommt oder nicht?
So ist es. Wenn die Beweise reichen, kommt es zu einem Prozess, andernfalls nicht.

Am Montag, beginnt im Wiener Straflandesgericht der Prozess gegen Ernst Strasser. Für österreichische Verhältnisse in Rekordzeit. Ein Erfolg?
Hier kann man tatsächlich von einem „Erfolg“ sprechen. Denn es waren auch ein slowenischer und ein rumänischer Abgeordneter betroffen. Und keine andere Behörde hat es geschafft, die umfangreichen Ermittlungen derart rasch abzuschließen wie wir.

Verfahren mit politischem Hintergrund sind besonders öffentlichkeitswirksam. Bei Ihnen hat das Androsch-Verfahren sogar zu einem Wechsel in die Politik geführt. Wie war das?
Ich habe einen Anruf von Herbert Fux bekommen, dem Schauspieler. Ich war unsicher, denn ich kannte ihn damals nur aus dem Kino. Er sagte, er kenne meinen Namen aus der Zeitung und hätte eine Frage. Wir haben einen Termin vereinbart, und wir trafen uns dann mit Freda Meissner-Blau.

Und die fragte, ob Sie für die Grünen kandidieren?
Genau. Die Grünen gingen damals von der vernünftigen Idee aus, dass sie sich nicht ausschließlich als Umweltschutzpartei profilieren wollten, sondern auch Fachleute aus anderen Bereichen benötigen.

Und was hat Sie bewogen zu kandidieren?
Eigentlich ein Motto von Günther Nenning, die Idee einer
„Bürgerinitiative Parlament“. Der Gedanke hat mir gefallen: Wir sind nur Bürger, keine Parteipolitiker, wir wollen uns aber einmischen.

Und das haben Sie nach Kräften getan. Eine „Chaostruppe“ nannte man die ersten Parlamentsabgeordneten der Grünen 1986.
Wir waren ein wild zusammengewürfelter Haufen, der sich untereinander nicht kannte. Und wir haben manchmal provoziert, weil wir uns abheben, auch weil wir medial präsent sein wollten.

Um jeden Preis?
Das ist intern heftig diskutiert worden. „Wie weit können wir mit dem Aktionismus gehen?“ Es war ein Grenzgang.

Sie selbst haben damals einen, mittlerweile eingestellten, Rekord im Filibustern aufgestellt: Am 22. Juni 1988 haben Sie knapp neun Stunden im Parlament geredet. Wissen Sie noch worüber?
(Grinst) Ja, Waldsterben.

Dabei waren Sie dafür gar nicht der Experte.
Nein, aber ich war der Erste auf der Rednerliste und Waldsterben unser Kernthema. Als die ursprünglich vereinbarte Redezeitbeschränkung im letzten Moment aufgehoben wurde, hab„ ich mir gedacht: „Ok, dann reden wir!“

Wäre es Ihnen unangenehm, wenn man Ihnen diese Rede heute vorspielt?
Wahrscheinlich schon. Ich war gedanklich auf zehn Minuten vorbereitet.

Wo sehen Sie die Grünen heute?
Dazu gibt es keine Stellungnahme. Ich kommentiere keine politische Partei.

Als Meissner-Blau 1988 den Klub-Vorsitz der Grünen zurücklegte, hätten Sie Ihr Nachfolger werden sollen. Sie sind aber im letzten Moment abgetreten und zurück in die Justiz. Haben Sie je gedacht: „Wär’ ich nur im Parlament geblieben?“
Nein. Mit Parteipolitik hab’ ich einfach nichts am Hut.

Sie sind da nur reingerutscht?
So kann man das nicht ausdrücken. Aber in der Anfangszeit haben wir keine Parteipolitik gemacht. Ich zitiere noch einmal Günther Nenning: „Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei.“ Ich bin einfach kein Parteipolitiker.

Reden wir über Moral. Die übliche Frage, ob die Korruption zugenommen habe …
.. ersparen Sie mir! Danke!(lacht)

Als Hannes Androsch als CA-General suspendiert wurde, haben Sie gewettert, es könne nicht bei einer einfachen Suspendierung bleiben, die Latte der politischen Moral in Österreich dürfe nicht so tief liegen, dass man – ohne den Fuß zu heben – d’rüberkommt. Wo liegt diese Latte heute?
Es hat sich die gesamte Gesellschaft weiterentwickelt. Man kann die Zustände von vor 25 Jahren mit den heutigen kaum vergleichen. Die Medien sind deutlich kritischer geworden. Die moralische Latte in der Politik hat sich allerdings nicht wesentlich verschoben.

Das klingt nicht so, als wäre Österreich ein Aushängeschild?
Vielleicht ist es naiv zu glauben, der Mensch ändere sich. Gesellschaftliche Zustände ändern sich, die Möglichkeiten ändern sich, die Art, wie bedenkliche Vorgänge durchgeführt werden, ändert sich. Aber die Kerneigenschaften bleiben die gleichen.

Der Mensch bleibt der Mensch?
Genau. Mit allen menschlichen Eigenschaften. Auch mit all jenen, die zur Korruption führen können, primär die Gier.

Ist die Gier gewachsen?
Ja! Und ich bin mir bei so einer Aussage bewusst, dass sie reine Spekulation ist. Die Bedeutung materieller Werte hat in den vergangenen 50 Jahren deutlich zugenommen, die Konsumgesellschaft hat sich intensiviert, und materieller Erfolg gilt immer mehr als Messlatte für persönliches Glück. Aber dafür gibt es keine Beweise, das ist nur mein Gefühl.

Stichwort Konsum: Was leisten Sie sich, wenn Sie sich glücklich machen wollen?
Nicht ans Büro zu denken. Zeit, um woanders zu sein und etwas ganz anderes zu tun. Einfach die Hemden zu wechseln.

Also im Sinne von: „Heute trage ich das Hemd des Chefermittlers…
… und morgen sitz ich in einem Café in Paris und denke an nichts. Ich habe meinen Beruf immer spannend gefunden. Aber man nimmt da vieles in großem Maß mit nach Hause.

Sie waren oft sehr strikt. Etwa bei der Debatte um den „Anfütterungsparagrafen“ und die Festspielkarten auf Einladung. Hat man Ihnen je vorgeworfen, Sie seien päpstlicher als der Papst?
Den Vorwuf hab’ ich mir sicher eingehandelt. Aber nie von Seiten der Justiz. Eher von den Verantwortlichen der Salzburger Festspiele. Zum Beispiel von Helga Rabl-Stadler im Rahmen einer Fernsehdiskussion.

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Apropos Fernsehen: Ihre Sitzgarnitur hat den Charme der alten „Club-2-Couch“. Ist das Zufall?
Es ist keine Club-2-Couch, aber ich habe sie ausgesucht, weil ich mein Zimmer mit alten Sachen eingerichtet habe, die Teil meiner Geschichte sind. Außerdem waren sie um ein Vielfaches günstiger als eine neue Ledergarnitur.

Wir sitzen auf einer gebrauchten Garnitur? Dürfte man sich als Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht ein schickes Büro einrichten?
Dürfte man schon. Es steht einem zu, aber man ist nicht gezwungen, es anzunehmen.

Und man muss sich auch nicht den Differenzbetrag auszahlen lassen, nehme ich an.
Nein, das wäre nicht möglich!

Als Sie ins Parlament kamen, haben Sie gesagt: „Ich werde mich als Abgeordneter – wie als Staatsanwalt – nicht von dem beeinflussen lassen, was bestimmte Leute von mir erwarten.“ Macht man sich mit so einer Grundhaltung das Berufsleben nicht unnötig schwer?
Das Leben ist nicht dazu da, es möglichst leicht zu haben. Als Staatsanwalt bin ich an das Gesetz gebunden und nicht an die Erwartungshaltung irgendwelcher Leute. Und was ich damals vermutlich zum Ausdruck bringen wollte, war, dass mir Dinge wie Klubzwang ziemlich zuwider sind.

Wie wurden Sie politisch erzogen?
Autodidaktisch. Meine Eltern waren nie parteipolitisch engagiert. Wir haben zu Hause nur ganz allgemein über die tagespolitischen Themen gesprochen. Mein Vater war Unternehmer, damit war sein Weltbild ziemlich definiert. Meine Mutter war eine gelernte Schauspielerin, auch praktizierende, und gelernte Buchhändlerin. Die Bezeichnung „Bürgerlicher Haushalt“ ist wahrscheinlich zutreffend.

Muss man einen höheren ethisch-moralischen Anspruch haben, um das auszuüben, was Sie tun?
Was meinen Sie mit höher? Ich glaube, man muss einen haben. In jedem Beruf.

Sind Sie ein Idealist?
Ich glaube schon. Aber natürlich werden an Justizmitarbeiter andere Maßstäbe angelegt. Genauso wie Justizmitarbeiter eine unparteipolitische Einstellung brauchen. Ich weiß von keinem Mitarbeiter, was er wählt.

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Konnten Sie Ihre eigene parteipolitische Punze je loswerden?
Nie ganz. Das ist wie eine Tätowierung, die vielleicht ein bisschen verblasst. Aber dann kommen Journalisten bei der Tür herein und graben Geschichten von vor 25 Jahren aus (lacht) .

Sie gehen Ende des Monats hier hinaus. Was ist die Kernbotschaft, die Sie Ihren jungen Kollegen mitgeben?
Die Kernbotschaft lautet: Genauigkeit bei der Untersuchung. Alles gründlich untersuchen. Das ist unser Job.

Und was geben Sie als Vater Ihren beiden Kindern mit, auch wenn die längst erwachsen sind?
Ihr eigenes Leben zu führen und sich nicht nach gesellschaftlichen Zwängen zu richten.

Haben Sie das selbst geschafft?
Ich hab’s zumindest versucht.

Das Foto ist legendär: Die ersten Abgeordneten der Grünen ziehen 1986 in den Nationalrat ein. Sie haben Koffer, Kisten und Kartons dabei. Und Walter Geyer. Geboren wurde er 1947 in Wien, auf die Matura folgten das Jus-Studium und einige Jahre als Staatsanwalt und Richter – spektakuläre Prozesse inklusive. 1984 eröffnete er zum Beispiel gegen den Ex-Finanzminister Hannes Androsch (SPÖ) das Verfahren wegen Abgabenhinterziehung. Von 1986 bis 1988 saß er als stellvertretender Klubobmann der Grünen im Nationalrat; seine neunstündige Rede gegen das Waldsterben wurde berühmt – die Rede war mit ein Grund dafür, warum die Redezeit im Nationalrat beschränkt wurde. 1988 wurde Geyer wieder Staatsanwalt. Schwerpunkte: Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Jugendkriminalität. Er leitete die Staatsanwaltschaft Korneuburg und übernahm 2009 den Aufbau und die Leitung der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Am 30. November geht er in Pension.

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