Großer Regierungsumbau, belastete Minister vor der Ablöse
Der Abgang von Sebastian Kurz zieht eine große Regierungsrochade nach sich.
Die ÖVP probiert den Neustart. Mit der Zusammenlegung von Parteivorsitz und Kanzlerposten soll es wieder ein aktionsfähiges Machtzentrum geben. Absoluter Top-Favorit als Regierungschef ist Karl Nehammer. Überlegt wurde von den ÖVP-Granden auch ein „Manager-Modell“ – dafür war Verbundchef Michael Strugl im Gespräch.
Oder die erste Frau an der Bundesparteispitze – das wäre Karoline Edtstadler. Zu Redaktionsschluss – die Landeshauptleute telefonierten noch – deutete aber alles auf Nehammer hin.
Parallel kämpfen einige Minister um ihr politisches Überleben. Die ÖVP will mit dem Neustart Regierungsmitglieder, die aus unterschiedlichen Gründen belastet sind, ablösen.
Ablösekandidaten
Prominentestes Opfer des Neustarts ist der Finanzminister. Gernot Blümel steigt aus der Politik aus, gibt sein Ministeramt und den Vorsitz in der Wiener ÖVP ab. Das bestätigt Blümel gegenüber dem KURIER: „Der Rückzug von Kurz hat sich abgezeichnet. Ich war vorbereitet, das ist ein guter Anlass, auch zu gehen.“ In einer Videoerklärung verweist Blümel auf die belastende Situation für ihn und seine Familie in Zusammenhang mit öffentlichen Vorwürfen.
Der Rücktritt von Sebastian Kurz in voller Länge
Auch gegen Blümel laufen Ermittlungen der WKStA, und der Untersuchungsausschuss gegen die ÖVP startet im Frühjahr. Blümel war Chatpartner und ein enger Kurz-Vertrauter. Die ÖVP befürchtet, Blümels Verbleib könnte den Versuch konterkarieren, mit dem Kurz-Abgang all die schädlichen Affären zur Vergangenheit zu erklären und den U-Ausschuss zu entschärfen.
Als Ablösekandidatin gilt auch Elisabeth Köstinger. Sie ist eng mit dem System Kurz verbunden und hat außerdem nicht mehr viele Anhänger. Die Tourismuswirtschaft ist verärgert, dass die Hotels in Österreich zu sind, die Leute aber nach Italien auf Urlaub fahren. Den Bauern bringt sie seit jeher zu wenig Stallgeruch mit.
Schwer ramponiert ist seit dem Flop mit dem „Kaufhaus Österreich“ Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck. Sie hofft, sich mithilfe ihrer Tiroler Heimat halten zu können, aber das schien am Donnerstag alles andere als gewiss.
Einige Minister könnten das Ressort wechseln. Wenn Karl Nehammer zum Kanzler aufsteigt, wird das Innenministerium frei.
Aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge ist Karoline Edtstadler. Deren derzeitigen Posten als Europa- und Verfassungsministerin könnte Alexander Schallenberg übernehmen. Möglicherweise kehrt Schallenberg aber ins Außenministerium zurück, dann müsste der eben erst für ihn aufgerückte Außenminister Michael Linhart wieder weichen.
Als Innenminister kursiert auch Andreas Pilsl, derzeit Landespolizeidirektor in Oberösterreich.
Die frühere nö Bauernbunddirektorin Klaudia Tanner gilt als mögliche Köstinger-Nachfolgerin. Dann wäre allerdings ein neuer Verteidigungsminister zu suchen.
Und noch ein Job-Hopping wird kolportiert: Statt Blümel könnte der Wirtschaftsforscher und nunmehrige Arbeitsminister Martin Kocher in der Himmelpfortgasse einziehen. Dann müsste die ÖVP einen neuen Arbeitsminister suchen. Auch der Staatssekretär im Infrastrukturministerium, Magnus Brunner, wird als Finanzminister genannt.
Konsens mit SPÖ gefragt
Statt Schramböck im Wirtschaftsressort wird eine Person aus dem Umfeld von Wiens Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck gesucht. Hintergrund ist Rucks gutes Verhältnis zu Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. In der Nach-Kurz-Ära soll wieder Zusammenarbeit mit der SPÖ angesagt sein – auch, weil ÖVP und Grüne laut Umfragen derzeit nur mehr 35 Prozent Rückhalt in der Bevölkerung haben. Zur Pandemiebekämpfung sei ein breiterer Konsens notwendig, heißt es.
Sogar ein „fliegender Wechsel“ wurde ins Gespräch gebracht. Demnach könnte die ÖVP statt der Grünen die SPÖ als Partnerin in die Bundesregierung holen. Ludwig hat einen solchen Wechsel ohne Neuwahl bisher strikt ausgeschlossen. Derzeit eint Schwarz und Rot aber der Grant auf die Grünen (Lobau), das könnte ein Hintergrund für die Gerüchte sein. Ein fliegender Wechsel ist dennoch politisch sehr unwahrscheinlich.
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