Abgestürzter Überflieger: Die immerzu steile Polit-Karriere des Sebastian Kurz
Vom Geil-o-Mobil zum Aufbruch ins Private
Sebastian Kurz hat als Senkrechtsstarter die österreichische Innenpolitik ein Jahrzehnt lang geprägt. Am Donnerstag, dem 2. Dezember 2021, gab er seinen Rücktritt bekannt. Dieser hatte sich gerüchteweise angedeutet und war schlussendlich eine logische Konsequenz der vorhergegangen Wochen: Nach einem jahrelangen Höhenflug - jüngster Staatssekretär, jüngster Außenminister, jüngster Kanzler - folgte im Oktober dieses Jahres der tiefe Fall des Sebastian Kurz.
Begonnen hatte seine politische Laufbahn in der schwarzen Krabbelstube: Kurz schließt sich 2003 der Jungen Volkspartei (JVP) an, wird 2008 Landesobmann der JVP Wien, 2009 JVP-Bundesobmann - eine Funktion, die er bis 2017 innehaben sollte. Auf ein Intermezzo im Wiener Gemeinderat und Landtag folgt der innenpolitische Paukenschlag: Der damalige ÖVP-Obmann Michael Spindelegger präsentiert 2011 den erst 24-jährigen Sebastian Kurz als neuen Integrationsstaatssekretär im Innenministerium.
Weißes Hemd, keine Krawatte, durchgestylt: Der junge Mann polarisiert auch aus oberflächlichen Gründen sofort.
Vom Geil-o-Mobil zum Aufbruch ins Private
Der frühe Kurz hat einen schweren Stand, mausert sich allerdings sehr bald und wird 2013 Außenminister. In dieser Rolle entdeckt der geborene Wiener einen elementaren Teil seiner sachpolitischen DNA: Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 positioniert er sich als Hardliner beim Thema Migration, hält Pressekonferenzen mit den Visegrád-Staaten, widerspricht der deutschen Kanzlerin und Parteischwester Angela Merkel, aber auch ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner.
Türkiser Putsch
Während die ÖVP in Umfragen nach unten rasselt, von der Großen Koalition mit der SPÖ gelähmt, plant Kurz im Hintergrund bereits den nächsten Karriereschritt: Die Übernahme der ÖVP von Mitterlehner. Kurz hat sich mit einem engen Zirkel an Vertrauensleuten umgeben - mit seinem Berater Stefan Steiner, den Medienprofis Gerald Fleischmann und Johannes Frischmann sowie dem späteren Kabinettschef Bernhard Bonelli. Der geschlossene Kreis erarbeitet eine Strategie, die Kurz den Weg zur Kanzlerschaft ebnen wird. Waren dafür auch unrechte Mittel recht?
Anfang Oktober diesen Jahres wird bekannt, dass in der Tageszeitung Österreich auch getürkte Umfragen platziert worden sein sollen, die Kurz gegenüber Mitterlehner und politischen Mitbewerbern in ein günstiges Licht rückten. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Start der Karriere in der JVP
Den Anfang seiner politischen Karriere machte Sebastian Kurz als Bundesobmann der Jungen Volkspartei (JVP). Dieses Amt übte er von 2009 bis 2017 aus.
Kurz(e) Phase im Gemeinderat
Sein erstes politisches Mandat hatte er von 2010 bis 2011 als Mitglied des Wiener Gemeinderates und Landtags inne.
Staat, Sekretär und Integration
Von 2011 bis 2013 war er in der Regierung von Werner Faymann Staatssekretär für Integration. Danach wechselte er für kurze Zeit in den Nationalrat.
So jung und schon Minister
Dann folgten von 2013 bis 2017 vier Jahre als Minister für Europa, Integration und Äußeres in den Regierung von Werner Faymann (II) und Christian Kern. Kurz war damals gerade 27 Jahre alt.
Plötzlich alles Türkis
Im Mai 2017 wurde Kurz zum Parteiobmann der ÖVP gewählt.
Die neue politische Bewegung
Kurz färbte die ÖVP von Schwarz auf Türkis um und trat mit „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)" zur Nationalratswahl 2017 an.
Erste Wahl, erster Sieg
Dort feierte er mit 31,47 Prozent - ein Plus von 7,48 Prozentpunkten - einen klaren Wahlerfolg.
Schwarz-Blau, so wie Wolfgang Schüssel
Am 18. Dezember 2017 wurde die Bundesregierung Kurz I, also eine Koalition aus ÖVP und FPÖ, angelobt.
Ibiza - seit damals nicht nur eine Insel
Dann kam Ibiza und Kurz beendete am 18. Mai 2019 die Zusammenarbeit mit der FPÖ.
Misstrauisches Parlament
Danach wurde Kurz in einem Misstrauensvotum des Nationalrats das Vertrauen versagt, er wurde seines Amtes enthoben. Das war der erste Misstrauensantrag in der Geschichte der Zweiten Republik, der erfolgreich war.
Das Beste beider Welten
2019 trat Kurz erneut als Spitzenkandidat für die ÖVP an und wurde abermals klare Nummer eins. Gemeinsam mit den Grünen wurde eine Koalition gebildet, die seit Anfang 2020 regiert.
Das Ende, der Abang
Als dann die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft 2021 Ermittlungen unter anderem wegen des Verdachts von Korruption gegen Kurz aufnahm, gab er am 9. Oktober seinen Rückzug als Bundeskanzler bekannt.
Knapp zwei Monate später, am 2. Dezember, erklärte Kurz seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern.
Analyse zum Rücktritt von Sebastian Kurz
Im Mai 2017 tritt Mitterlehner tatsächlich entnervt zurück. Kurz übernimmt die Partei, verleiht ihr einen neuen (türkisen) Anstrich, sichert sich als erster ÖVP-Chef ein Durchgriffsrecht und gewinnt die folgenden Neuwahlen.
Er koaliert mit der rechtspopulistischen FPÖ. Nach anfänglicher Harmonie ist die ÖVP zusehends genervt von rechtsextremen "Einzelfällen" beim Koalitionspartner. Am 17. Mai 2019 wird das Ibiza-Video publik. Vizekanzler Heinz-Christian Strache tritt zurück. Die ÖVP fordert auch den Kopf des blauen Innenministers Herbert Kickl, dieser könne nicht gegen sich selbst ermitteln. Die FPÖ ist empört, verlässt die Koalition und wählt Kurz mit den weiteren Parlamentsparteien aus dem Amt. Ergebnis: Neuwahlen.
Fulminantes Comeback
Jetzt erst recht: Unter diesem Motto führt Kurz im Sommer 2019 einen inhaltlich flachen, emotionsgeladenen Wahlkampf. Es folgt ein Erdrutschsieg mit 37,5 Prozent der Wählerstimmen, der Höhepunkt von Kurz' politischer Karriere. Zur allgemeinen Überraschung einigen sich Türkise und die Grünen auf ein Regierungsprogramm. Zentraler Punkt: Maßnahmen zum Klimaschutz und Wirtschaft in Einklang bringen, das "Beste aus beiden Welten".
Das Coronavirus durchkreuzt die kühnen Pläne. Kurz inszeniert sich als Krisenmanager, wird dieser Rolle aber nur selten gerecht. Dass er die Pandemie im Sommer 2021 trotz mäßiger Impfquote für gemeistert erklärt, dürfte rückblickend einer seiner größten strategischen Fehler gewesen sein, ist aber nicht der Grund für sein Karriereende.
Der Rücktritt von Sebastian Kurz in voller Länge
Über den eigenen Prätorianer gestolpert
Der junge Kanzler stolpert vielmehr über das Mobiltelefon von Thomas Schmid, Kurz' selbsternannter "Prätorianer", der als Generalsekretär im Finanzministerium unter anderem die Umfragen zur Machübernahme mit-maßgeschneidert haben soll.
Über Zufallsfunde stößt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die eigentlich wegen blauen Postenschachers in der Casinos-Affäre ermittelte, über ein Back-up von Schmids Handy auf ein Konvolut an kompromittierenden, mutmaßlich auch strafrechtlich relevanten Chatnachrichten, die Kurz und sein engstes Umfeld derart in Bedrängnis bringen, dass dem Kanzler am 6. Oktober 2021 keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als einen "Schritt zur Seite" zu machen.
Außenminister Alexander Schallenberg wird neuer Kanzler, Kurz bleibt Parteichef, möchte im Hintergrund die Fäden ziehen. Ermittlungen, verärgerte Landeshauptleute, Umfragewerte aus Mitterlehner-Zeiten: Schlussendlich hat Österreichs ehemals jüngster Kanzler keine Hausmacht mehr. Als Kurz Ende November zum ersten Mal Vater wird, soll das "alles andere getoppt" haben, was er zuvor erlebt habe. Auch die beiden Wahlsiege 2017 und 2019. Kurz fühle sich von der WKStA gejagt, seine Leidenschaft für die Politik sei gesunden. Das und die Geburt seines Sohnes Konstantin lässt den Ex-Kanzler laut Eigenaussage entscheiden: Genug ist genug.
Kurz hat die Reißleine gezogen. Er verlässt die Politik und schmiedet nun neue Karrierepläne.
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