Die ÖVP arbeitet ja gerade wieder daran, sich im Mittelmaß und bei maximal 25 Prozent einzurichten. Sie wird auch die blauen Leihstimmen wieder verlieren. Einem roten Kanzler und vielleicht einer rot-schwarzen Koalition nach der nächsten Wahl steht also nichts mehr im Wege. Zurück zum Altgewohnten quasi. Türkis(-Schwarz)-Grün ist ohnehin am Ende. Die Grünen trieben die angeschlagene ÖVP zuletzt vor sich her. Sie erzwangen den Kurz-Rücktritt, stimmten einem „ÖVP-Korruptionsausschuss“ zu, drückten gegen den Willen der Türkisen einen Lockdown für alle durch und stoppten den Bau des Lobau-Tunnels.
Natürlich hat Kurz Fehler gemacht. Die durch den geradezu manischen SMS-Schreiber Thomas Schmid aufgetauchten Chats zeigen einen kaltschnäuzigen Umgang mit Menschen und Institutionen. Manches davon wirkt aus dem Zusammenhang gerissen skandalöser, als es ist. Und manch tatsächlich Skandalöses (dass sich zum Beispiel Schmid die Ausschreibung zu seinem Job selbst gezimmert hat) ging im Lärm der Erregung unter. Eine so große Partei kann man nur mit Getreuen umkrempeln. Das hat Kurz professionell geschafft. Aber danach muss sich dieser enge Zirkel wieder öffnen. Schritt eins gelang, Schritt zwei nicht.
Auf der Haben-Seite der Kurz-Kanzlerschaft stehen ein neues, selbstbewussteres Auftreten Österreichs in der EU und vernünftige Allianzen, etwa gegen eine Schuldenunion. Es war auch nicht selbstverständlich, dass ein US- oder ein chinesischer Regierungschef einen österreichischen Kanzler empfängt. Das wird im „Klein-Klein“ der österreichischen Politik gern übersehen. Unterschätzt werden auch das neue freundschaftliche Verhältnis zu Israel und die Versöhnungsgesten gegenüber den jüdischen Vertriebenen.
Innenpolitisch setzte Kurz auf den leistungsbereiten Mittelstand, auf Familien und restriktive Zuwanderung. Dennoch ließ er große Visionen fürs Land vermissen, agierte oft sozialpopulistisch. Eine erstaunliche Karriere endet nach etwa einem Jahrzehnt. Ein Leben lang Berufspolitiker zu sein, war aber ohnehin nie der Plan von Sebastian Kurz. Jetzt wird er sich in der Wirtschaft versuchen – und vielleicht irgendwann wieder das Feuer für die Politik spüren, das in ihm zuletzt nicht mehr brannte. Wenn man ihn dann dort noch haben will.
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