Die Angst vorm grünen Fundi und woher sie kommt
Ein Gespenst geht um. Das Gespenst vom linken Wiener Grünen. Er – oder sie? – trinkt Soja-Latte, trägt Birkenstock-Schlapfen, hasst Autofahrer. (Soweit zumindest das Klischee.) In einer türkis-grünen Regierung könnte er – oder sie! – plötzlich zum Zünglein an der Waage werden.
Eine Koalition von ÖVP und Grünen hätte im Nationalrat nur eine knappe Mehrheit von 97 (bei 92 benötigten) Mandaten. Gerade die Wiener Grünen-Funktionäre gelten als besonders links – und wenig kompromissbereit, wenn es um die Zusammenarbeit mit der ÖVP geht. Scheren sie bei unliebsamen Beschlüssen aus, dann könnte das die Koalition gefährden.
Aber ist das Schreckgespenst real?
Tendenziell ja. Denn tatsächlich sind die grünen Funktionäre in der Bundeshauptstadt speziell.
Ihre Wurzeln
Aktivisten sind ein zentraler Bestandteil der grünen DNA in Wien. In vielen Bundesländern haben bei den Grünen gewählte Funktionäre das Sagen – etwa die Gemeinderäte.
In Wien gibt es viele Aktivisten ohne öffentliche Funktion. „Die sind vermutlich weniger kompromissbereit“, sagt der Politik-Forscher Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien.
Die starke Verbindung zur Aktivisten-Szene spiegelt sich in den Biografien der Funktionäre wieder: Viele von ihnen wurden in NGOs sozialisiert. Und zwar nicht – wie man erwarten würde – primär in umweltpolitischen. Sondern in der Antifa-Szene oder in sozialpolitischen Bewegungen.
Ihre Struktur
Wenn die Wiener Grünen eines nicht vertragen können, dann ist es Autorität. Was zu der kuriosen Situation führte, dass es über Jahrzehnte keinen Parteichef bzw. keine Parteichefin gab. Birgit Hebein ist die Erste, die sich offiziell so nennen darf.
Dazu gekürt wurde die Wiener Vizebürgermeisterin in einem komplizierten Wahlverfahren, dass es den Stimmberechtigten erlaubte, gleich mehrere Kandidaten zu unterstützen.
Ganz basisdemokratisch. Schließlich mussten alle Tendenzen und Befindlichkeiten berücksichtigt werden.
Ihre Vertreter
Birgit Hebein macht kein Hehl daraus, wo sie politisch steht: „Natürlich mache ich linke Politik, was sonst?“, erklärte sie kurz nach ihrer Wahl. In anderen Worten: Hebein zählt zu den „Fundis“.
Wie auch – exemplarisch – David Ellensohn, grüner Klubchef im Rathaus. Ellensohn hat sich dem Kampf gegen das Glücksspiel und Investor Michael Tojner verschrieben. Und er beschimpft ÖVP-Funktionäre per Mail gerne mal als „Wixer“ .
Ihnen gegenüber: Die „Realos“ wie der junge Gemeinderat Peter Kraus. Er zeigte sich etwa zuletzt in einem Online-Video in einem Auto fahrend. Parteiintern kam das nicht gut an.
Von den früheren Parteigranden Maria Vassilakou und Christoph Chorherr noch gefördert, sind die Realos derzeit auf dem absteigenden Ast.
Ihre Selbsteinschätzung
Das linke Image passt zur Selbsteinschätzung der Grünen. Kandidaten aus Wien stuften sich etwa in einer Studie der Uni Wien 2013 als linker ein als Grüne aus dem Rest Österreichs: Auf einer Skala von 0 (weit links) bis 10 (weit rechts) erreichten die Wiener Grün-Politiker den Wert von 2. Die Grünen aus anderen Ländern kamen auf 2,5 Punkte.
Ihre Themen
Was die Inhalte betrifft, zeigt die Studie nur wenig Unterschiede zwischen Kandidaten aus Wien und jenen aus den Bundesländern. „Kleine Unterschiede gibt es bei genderrelevanten Fragen, aber nicht in sozioökonomischen Fragen“, sagt Ennser-Jedenastik.
So sprachen sich 85 Prozent der Wiener Kandidaten dafür aus, bei gleicher Qualifikation Frauen zu bevorzugen. Unter den restlichen Kandidaten waren es nur 59 Prozent. Umweltpolitik war nur für 88 Prozent der Wiener, aber für 97 Prozent der restlichen Kandidaten wichtiges Thema.
Mit Hebein, die einen linken Kurs einschlagen wird, könnten diese Unterschiede noch größer werden. Das bedeutet: Weniger Kämpfe um Radwege (als unter Vassilakou), mehr um Soziales.
Ihre Bündnisse
Wie links die Grünen wahrgenommen werden, hängt nicht zuletzt damit zusammen, mit wem sie koalieren. Wie eine Studie zeigt, ist der Koalitionspartner einer der prägendsten Faktoren für das Bild einer Partei, sagt Ennser-Jedenastik.
Der Ruf der Wiener Grünen dürfte also auch daher rühren, dass sie mit der SPÖ regieren.
In anderen Ländern, etwa in Tirol, ist oder war stets die ÖVP der Koalitionspartner.
Wer aber sind ihre Wähler?
Grüne Wähler sind – statistisch gesehen – weiblich, jung und sehr gut gebildet. Ihr Einkommen liegt (dem Alter geschuldet) unter dem Schnitt, dafür haben sie einen höher qualifizierten Job, zum Beispiel im öffentlichen Dienst.
Die Grün-Wähler leben in einer größeren Stadt oder im Speckgürtel, sind Single oder unverheiratet. Sie ernähren sich bewusst, kaufen regionale Produkte und sind mit dem Rad unterwegs.
Dieser Typus wird, seit Werner Kogler die Partei übernommen hat, aber zunehmend aufgeweicht, sagt Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer.
„Kogler hat ein altes Problem gelöst: Er hat die Wählerschicht von Oberlehrerinnen zu den Hemdsärmeligen hin verbreitert.“
Und was wollen die Wähler?
Kurz gesagt: Der Grün-Wähler will ein gutes Leben – und ein reines Gewissen. Grün-Sein sei für die breite Masse keine ideologische Frage, sagt Bachmayer. Sondern eine Lebensphilosophie, für manche sogar ein „Lifestyle“.
Gerade bei der jüngsten Nationalratswahl waren – angezogen vom Klima-Thema – viele Pragmatiker unter den Grün-Wählern. „Sie haben diesmal die Grünen gewählt, beim nächsten Mal vielleicht die SPÖ“, sagt Bachmayer.
In dieser Distanz zur Ideologie besteht der gravierendste Unterschied zu den Funktionären. Oder, wie Bachmayer es ausdrückt: „Wenn die 665.000 Grün-Wähler mit der ÖVP am Verhandlungstisch sitzen, wäre es einfacher, eine Koalition zustande zu bringen, als wenn man fünf Grün-Funktionäre schickt.“
Wollen sich die Grünen auf ihre breitere Wählerschaft einstellen, müsse Kogler seinen offenen Kurs beibehalten, sagt Bachmayer. Konsequenz sei aber beim Thema Klimaschutz gefragt: „Wenn die Partei in einer Regierung in dem Bereich zu wenig weiterbringt, würde man ihr das übel nehmen.
Freilich sei auch Integration für Grün-Anhänger ein Thema – aber auch da ist die Wählerschaft weitaus realistischer als so mancher Funktionär das wahrhaben will: „Der Grün-Wähler schreit nicht nur: ,Refugees welcome‘. Er weiß, dass Integration eine Bringschuld auf beiden Seiten ist.“
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