Handyabnahme: Jetzt könnte das Höchstgericht Fakten schaffen
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) meldet sich am Montag aus der Sommerpause zurück. Für die kommenden Wochen hat sich Präsident Christoph Grabenwarter mit seinen 13 Höchstrichtern gleich mehrere Themen vorgenommen, die zuletzt heiß diskutiert wurden.
Ihre Entscheidungen werden mit Spannung erwartet, denn es gilt: Kippt der VfGH ein Gesetz, dann wird die Regierung zum Handeln gezwungen: Sie muss dann neue Regeln schaffen. Und das ausgerechnet in ihrem letzten Jahr als Koalition, bevor die Nationalratswahl stattfindet.
Der KURIER gibt einen Überblick:
1. Handysicherstellung
Ein Kärntner Geschäftsmann hat mit einem Individualantrag ein Thema vor den VfGH gebracht, der insbesondere der ÖVP - die selbst davon betroffen ist - ein besonderes Anliegen ist: die Beschuldigtenrechte bzw. ein vermeintlicher Mangel ebendieser bei der Handysicherstellung.
Im Juni gab es dazu eine öffentliche Verhandlung beim VfGH - und die Höchstrichter ließen mit ihren Fragen durchblicken, dass sie der jetzigen Praxis skeptisch gegenüberstehen. Nach langer Einführung in die Grundlagen der IT-Forensik und angesichts des schier grenzenlosen Datenschatzes, der dabei gehoben wird, meinte Höchstrichter Christoph Herbst gegenüber einer Beamtin aus dem Kanzleramt, ob sie denn nicht glaube, dass es dafür präzisere Regeln braucht.
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In den kommenden Wochen werden die Höchstrichter nun darüber beraten, was sie bei der Verhandlung erfahren haben. Ob dann auch gleich eine Entscheidung gefällt wird, ist offen.
Die Regierung wartet jedenfalls gespannt auf das Ergebnis: Sollte der VfGH die jetzige Regelung kippen, muss ein neues Gesetz mit besseren Regeln her.
ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler fordert schon länger eine Stärkung der Beschuldigtenrechte. Im KURIER-Sommerinterview sagte sie, dass sie die Regeln ändern will - unabhängig davon, wie der VfGH entscheidet.
2. Covid-Finanzierungsagentur
Ebenfalls im Juni gab es eine öffentliche Verhandlung zur Cofag - einer Agentur, die 2020 eingerichtet wurde, um Unternehmen zu unterstützen, die unter den Covid-Lockdowns gelitten hatten. Aus Sicht des VfGH ist es fraglich, ob die Vergabe der rund 19 Milliarden Euro zulässig war und hat von sich aus ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet.
Auch dieses Thema hat politische Brisanz: Der Rechnungshof hat die Cofag heftig kritisiert, und auch die VfGH-Richter haben bei der Verhandlung schon erahnen lassen, dass das Konzept hinkt. Höchstricher Johannes Schnizer fragte etwa: "Wie kommt man auf die Idee, dass es dem Staat freisteht, einem Dritten so viel Geld zu geben, ohne dass es eine öffentliche Verwaltung mit entsprechender Kontrolle gibt?“
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ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner hat inzwischen angekündigt, dass die Cofag abgewickelt werde. Ein Konzept soll bis Ende September stehen (mehr dazu).
3. Asylbetreuung
Die dritte öffentliche Verhandlung im Juni drehte sich um die Bundesbetreuungsagentur (kurz: BBU), die abgelehnte Asylwerber im Instanzenzug rechtlich berät. Eine Aufgabe, die zuvor NGOs erledigt haben und die seit 2019 in staatlicher Hand ist. Die BBU wurde während der türkis-blauen Regierungszeit unter Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) eingerichtet.
Es stellte sich die Frage: Wie unabhängig kann eine Beratung sein, wenn das Innenministerium den Geschäftsführer und das Justizministerium den Bereichsleiter stellt?
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Die Verhandlung im Juni wurde eher kurz gehalten, jetzt beraten die Höchstrichter in geheimer Sitzung über eine Entscheidung, die dann schriftlich kundgetan wird.
4. Politischer Einfluss auf ORF
Am 26. September findet eine öffentliche Verhandlung zu einem Antrag der burgenländischen Landesregierung statt. Dieser hatte beantragt, das ORF-Gesetz betreffend den Stiftungs- und Publikumsrat aufzuheben.
Dahinter steckt der Vorwurf, dass die verfassungsmäßige Unabhängigkeit nicht vorliege, weil Bundes- und Landesregierungen maßgeblichen Einfluss auf die beiden Kollegialorgane hätten.
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Eine Entscheidung wird am 26. September noch nicht fallen - ebenso wie bei den Verhandlungen zur Cofag, zur BBU und zur Handysicherstellung wird erst öffentlich verhandelt und danach im Geheimen beraten.
5. Verhetzung im TV
Neu ist ein Verfahren, das nach einem aufsehenerregenden Auftritt von Ex-BZÖ-Politiker Stefan Petzner angeregt wurde: Petzner hatte in der Talkshow von oe24 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie über "die Chinesen" geäußert und wurde mittlerweile wegen Verhetzung verurteilt.
Für den VfGH stellt sich nun die Frage, ob der Fernsehsender für solche Äußerungen eine Mitschuld trägt.
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Ausgangspunkt für die Beratungen des VfGH sind Erkenntnisse der Komm Austria und des Bundesverwaltungsgerichtes. Diese stellten fest, dass der Moderator sich gemäß des "Audiovisuelle Mediendienste-Gesetzes" deutlich von den Aussagen seines Studiogastes distanzieren hätte müssen. Der Moderator wies zwar kurz darauf hin, dass es sich um die "persönliche Meinung" seines Studiogastes handle, das sei als Distanzierung nicht ausreichend, so die ersten beiden Instanzen.
Der Fernsehsender brachte hingegen vor, es stehe ihm als unabhängigem Medium frei, auch provokante Meinungen zuzulassen, ohne Gefahr zu laufen, dafür zu haften. Jetzt wurde der Fall vor den VfGH getragen, der in den kommenden Wochen darüber berät.
6. Preisdeckel für Strompreise
Neu ist außerdem ein Verfahren zum Thema Energiepreise. Ein Tiroler Energieversorgungsunternehmen stellt den Antrag, landesrechtliche Bestimmungen über die Grundversorgung von Haushaltskunden mit Strom als verfassungswidrig aufzuheben.
Im Wesentlichen geht es um die Bestimmung, dass allen Haushaltskunden einen Anspruch auf Grundversorgung eingeräumt wird und gleichzeitig eine Preisobergrenze für diese Versorgung festgelegt ist. Eine Verpflichtung, Stromlieferverträge zum Bestandskunden- statt zum Neukundenpreis abzuschließen, sei jedoch sachlich nicht gerechtfertigt und verstoße daher gegen den Gleichheitsgrundsatz, meinen die Beschwerdeführer.
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