Wie unabhängig kann eine Beratung sein, wenn das Innenministerium den Geschäftsführer und das Justizministerium den Bereichsleiter stellt?
Mit dieser Frage beschäftigte sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Montag in einer öffentlichen Verhandlung. Es geht um die 2019 eingerichtete Bundesbetreuungsagentur (BBU), die abgelehnte Asylwerber bei ihrer Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unterstützen soll. Eine Aufgabe, die vorher hauptsächlich bei NGOs wie Caritas und Diakonie lag.
Der türkis-blauen Regierung war das Engagement der NGOs ein Dorn im Auge. „Ich will hier selber kontrollieren, damit man den Menschen nicht gleich am Beginn des Verfahrens falsche Hoffnungen macht“, erklärte der damalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl zur Einrichtung der BBU.
Dazu kam es nicht mehr: Das BBU-Gesetz wurde am 16. Mai 2019 im Nationalrat beschlossen, am nächsten Tag erschien das Ibiza-Video – und kurz darauf war Türkis-Blau schon Geschichte. Als die BBU am 1. Jänner 2021 den Betrieb aufnahm, regierte Türkis-Grün.
Der Machtwechsel hat zu leichten Entschärfungen geführt – und dennoch gab es mehrere Beschwerden von Asylwerbern, die sich von der BBU schlecht vertreten fühlten.
Nun nahm sich also der VfGH der Sache an. Seine vorläufige Einschätzung: Durch den maßgeblichen Einfluss des Innenministers dürfte den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes nicht genüge getan sein. Sprich: Es sei nicht sichergestellt, dass die Rechtsberater wirklich im Sinne ihrer Schützlinge handeln. Es fehle die Distanz, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
Im Sinne der Klienten
Das Innenministerium, vertreten durch Christian Filzwieser, wies das zurück: Die Rechtsberater agierten, ähnlich wie Rechtsanwälte, „parteiisch“ – würden also „alles tun“, um den Standpunkt ihres Mandanten vor Gericht durchzusetzen.
Asylwerber seien übrigens nicht verpflichtet, sich von der BBU vertreten zu lassen, betonte Filzwieser. Sie könnten sich auch an eine NGO wenden – sofern diese noch Ressourcen frei habe, räumte er ein.
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Das Justizministerium, das bekanntlich wenig Freude mit der Kickl-Erfindung BBU hat, verwies auf einen Rahmenvertrag, in dem die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater abgesichert sei. Bisher seien keine Grenzüberschreitungen gemeldet worden.
Die Verhandlung wurde zu Mittag geschlossen, die Verfassungsrichter zogen sich für Beratungen zurück. Wann das Erkenntnis vorliegt, ist offen – entweder noch im Juni oder im Herbst nach der Sommerpause.
BBU-Geschäftsführer Andreas Achrainer hofft jedenfalls, dass eine „allfällige Reparatur sehr schnell erfolgt“, sollte der VfGH das Gesetz kippen. Es sei wichtig, Klarheit zu schaffen, sagte er im Ö1-„Mittagsjournal“.
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