Minister Karner: "Asylthema wird von links und rechts missbraucht"
KURIER: Herr Innenminister, Hunderte Flüchtlinge sind in dieser Woche bei einem Bootsunglück im Mittelmeer gestorben (mehr dazu hier). Was löst so eine Tragödie bei Ihnen aus?
Gerhard Karner: Entsetzen über den Tod von Menschen und Verärgerung darüber, dass das Asylthema von ganz links und ganz rechts immer wieder missbraucht wird. Gleichzeitig fühle ich mich aber auch bestärkt, ganz konsequent und hartnäckig an dem Pakt weiterzuarbeiten.
Nach dem Treffen der Innenminister in Luxemburg wurden die Einigungen im Asylbereich – wie schnelle Verfahren an den Außengrenzen – als großer Schritt gefeiert. Von Asylexperten wird das zerlegt, weil sie nicht daran glauben, dass das umgesetzt werden kann.
Ich habe es weder als Durchbruch noch als historisch gesehen. Es ist ein weiterer notwendiger Schritt, das Asylsystem strenger, schärfer und gerechter zu machen. Der erste Schritt war die Einigung am 9. Februar, wo erstmals klar gemacht wurde, dass Außengrenzschutz notwendig und eine Aufgabe von allen ist. Jetzt wurden als weiterer Schritt die Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen beschlossen, auf europäischem Boden. Das ist übrigens eine langjährige Forderung von Österreich. Drittens wurde auch mit einer qualifizierten Mehrheit die Vereinbarung getroffen, dass die Zusammenarbeit mit sicheren Drittstaaten außerhalb Europas möglich sein soll.
Schengen-Raum
Die Schengen-Außengrenze umfasst jenen Raum in Europa, innerhalb dessen Reisefreiheit ohne Grenzen möglich sein sollte. Derzeit sind 27 Staaten Teil dieses Raums. Der Beitritt von Bulgarien und Rumänien wurde Ende des Vorjahres durch ein Veto Österreichs verhindert.
Grenzkontrollen
Es gibt zwei Staaten innerhalb des Schengen-Raums, die all ihre Außengrenzen kontrollieren: Frankreich und Schweden. Österreich beharrt vor allem auf den Grenzkontrollen an der ungarischen und der slowenischen Grenze. Deutschlands SPD-Innenministerin Nancy Faeser (Foto) wiederum hat die Grenzkontrollen zu Österreich verlängert.
Zum Beispiel Tunesien?
Das ist ein Beispiel, wo jetzt die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni gemeinsam mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Gespräche geführt hat. Mein Thema war immer, dass wir uns diesen Schritt am Beispiel von Dänemark und Ruanda anschauen. Vor einem Jahr wurde ich dazu noch belächelt und auch verspottet. Wir haben jetzt aber die Einigung, dass wir über solche Projekte auch verhandeln können. Das ist wichtig, damit sich Menschen erst gar nicht auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Das Unglück in Griechenland hat gerade erst gezeigt, wie dringend es notwendig ist.
Aber in Tunesien gibt es bereits Widerstand. Man will nicht das Asyllager für Europa sein.
Das will niemand, daher geht es darum, dass wir der Schleppermafia die Geschäftsgrundlage entziehen und dass wir Möglichkeiten schaffen, dass Menschen nach klaren, strengen Regeln nach Europa kommen und nicht die Schlepper entscheiden, wer illegal zu uns kommt. Erst vor Kurzem hat Außenminister Schallenberg dazu ein Mobilitätsabkommen mit Indien unterzeichnet. Mit Tunesien war es ein erster Versuch, da werden weitere Schritte notwendig sein.
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Es geht aber auch darum, dass jene, denen Asyl gewährt wird, in Europa aufgenommen werden. Da war ein Thema, dass jene Staaten, die Aufnahmen verweigern, dafür Geldleistungen erbringen müssen. Da gab es wieder einmal keine Einigung. Österreich steht da auch auf der Bremse.
Wir erwarten, dass andere Länder nun mit Österreich solidarisch sind. Auch Ungarn. 112.000 Asylanträge im Vorjahr in Österreich. Deutschland ist zehnmal so groß, hatte aber nur doppelt so viele Asylanträge. Unser System war überbelastet. Daher erwarten wir, dass die Belastung von Österreich wegkommt. Noch wichtiger wäre aber, dass Europa insgesamt weniger Anreize schafft, dass sich Menschen illegal aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg machen. Dann hätten wir kein Problem damit, dass wir die Dinge ordentlich abarbeiten.
Wie ist derzeit überhaupt das Verhältnis zu Ungarn? Zuletzt hat es einen großen Wirbel gegeben, weil die Ungarn inhaftierte Schlepper wieder freilassen.
Das habe ich sehr deutlich und intensiv mit dem ungarischen Innenminister besprochen. Er hat mir klar versichert, dass jene Schlepper, die wir in unserer gemeinsamen polizeilichen Aktion festgenommen haben, weiterhin inhaftiert sind. Es handle sich um Schlepper, die schon länger im Gefängnis waren und einen Großteil ihrer Strafe verbüßt haben. Die wurden in Richtung Serbien freigelassen.
Ein weiteres Thema sind in diesem Zusammenhang die Grenzkontrollen. Vor allem jene an der Grenze zu Slowenien, weil es jetzt auch den Urlaubsreiseverkehr nach und von Kroatien trifft. Die Slowenen wollen nicht kontrollieren, die Österreicher schon. Warum?
Weil es sehr viel illegale Migration von Kroatien nach Slowenien gibt, ist es notwendig, dass wir unsere Grenzkontrollen aufrecht erhalten.
Heißt das, dass die Urlauber bei ihrer Rückreise aus Kroatien schnell nach Slowenien kommen und dann an der Grenze nach Österreich stehen?
Die österreichische Polizei findet immer eine Vorgangsweise, damit der Urlauberverkehr möglichst fließend funktioniert. Die Polizei ist da sehr erfahren und auch geübt, zu erkennen, wo die Gefährdungsszenarien sind. Und die sind sicherlich nicht bei österreichischen Adria-Urlaubern.
Jetzt sind die Flüchtlingszahlen stark zurückgegangen.
30 Prozent im April.
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Aber warum braucht man dann noch diesen harten Weg mit Grenzkontrollen?
Dieser harte Weg ist mehr denn je notwendig, weil wegen der Asylbremse, die wir im vergangenen Jahr gezogen haben, die Schlepper ihre Route sofort wieder geändert haben. Jetzt kommen sie ganz stark über Kroatien und Slowenien, aber auch über Polen und Deutschland. Deswegen erwarten wir, dass Europa auch insgesamt auf die Asylbremse steigt.
Wo stehen wir jetzt eigentlich bei der Schengen-Erweiterung? Es hat ja im Asyl-Bereich einige Schritte der EU-Kommission gegeben. Was muss noch passieren, dass Österreich dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien zustimmen wird?
Derzeit ist die Diskussion in Europa, wo es zusätzliche Binnenkontrollen gibt, etwa von Deutschland nach Polen. Da werden wir nicht darüber diskutieren, dass irgendwo anders die Kontrollen wegkommen.
Mit anderen Worten: Erst wenn man so weit ist, dass die Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums aufgelöst werden, wird Österreich einer Erweiterung zustimmen.
Es hat sich an der Situation aber nichts entscheidend geändert, weswegen ich die Kontrollen weiterhin für absolut notwendig halte.
Spanien übernimmt nun den EU-Vorsitz und hätte im zweiten Halbjahr diese Frage gerne gelöst.
Was Spanien gelöst haben will, liegt in deren Interesse. Ich will ein sicheres Österreich und ein funktionierendes Asylsystem in ganz Europa. Wir haben eine politische Einigung geschafft, jetzt müssen aber die Taten, jetzt muss die Umsetzung folgen.
Kritik gibt es immer wieder, wenn an Grenzen illegale Pushbacks passieren. Die FPÖ würde das gerne legalisieren. Wie sieht das der Innenminister der ÖVP?
Der Begriff Pushback steht für gewaltsames Zurückstoßen. Das ist illegal. Mein Vorschlag ist eine sogenannte Zurückweisungsrichtlinie. Die Möglichkeit der Zurückweisung gibt es bereits, wenn jemand nicht um Asyl ansuchen will und keinen legalen Aufenthaltstitel hat. Das kommt auch an den österreichischen Grenzen vor. Da müssen wir konsequent sein, dass jene, die keine Chance auf Asyl haben, rasch wieder das Land verlassen.
Eine Zurückweisungsrichtlinie ist momentan EU-rechtlich aber noch nicht möglich.
Nein. Aber mit dem Schnellverfahren an den Außengrenzen geht das in diese Richtung. Und zur FPÖ, die Pushbacks so groß plakatiert hat: Herr Herbert Kickl hat in seiner Zeit als Innenminister keinen einzigen Pushback gemacht. Groß reden und dann nichts tun, dafür ist diese Materie zu wichtig.
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