Schlechtes Zeugnis für die Justiz: Kreutner verteidigt Kommissionsbericht gegen Kritik
Die Präsentation der Ergebnisse der so genannten Pilnacek-Kommission schlägt hohe Wellen: Der Bericht selbst liegt noch nicht vor, stattdessen wurden diese Woche nach der Präsentation der zentralen Inhalte vor allem Formalia und Formulierungen sowie der Kommissionsvorsitzende Martin Kreutner ins Visier genommen.
Zuletzt fühlte sich Georg Kodek, Präsident des Obersten Gerichtshofes, am Freitag im Ö1-"Morgenjournal" veranlasst, etwas klarzustellen: Untersucht worden sei die Arbeit der Staatsanwaltschaften, nicht die der Gerichtsbarkeit, betonte er. Wenn die Kommission nun von einer "Zwei-Klassen-Justiz" spricht, dann sei das eine "undifferenzierte Pauschalunterstellung, die ganz deutlich und entschieden zurückgewiesen werden muss". Die Richterschaft sei nicht betroffen. Und auch für die Staatsanwaltschaften sei der Vorwurf "unzutreffend".
Was meinte Kreutner konkret?
Die "zwei Klassen" seien im Gesetz so angelegt, erklärte Kreutner: In so genannten "clamorosen" Causen (Fälle von öffentlichem Interesse, Anm.) entscheiden Staatsanwaltschaften nicht allein über Anklage oder Einstellung, sondern müssen über ihr Vorhaben Bericht erstatten und es auf dem Wege der Fachaufsicht - bestehend aus Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium mit einer Politikerin (bzw. einem Politiker) an der Spitze - genehmigen lassen. Dadurch wird zumindest die Möglichkeit eröffnet, zu intervenieren.
Und genau das hat die Kommission festgestellt. Dreh- und Angelpunkt hierbei sei Christian Pilnacek gewesen, der als Sektionschef zwischen 2010 und 2020 nicht nur für die Legistik, also die Ausgestaltung des Strafrechts, sondern auch für ihre Anwendung in Einzelstrafsachen zuständig war.
Zudem kann das Justizministerium per Weisung bestimmen, dass weiterermittelt oder "rechtliche Fragen" geklärt werden müssen. Verfahren können sich dann um Wochen, wenn nicht Monate verzögern - was laut Kommission auch eine Möglichkeit sei, um unsachlich Einfluss zu nehmen. Stichwort Verzögerungstaktik.
Diese Optionen hat der Normalbürger schon alleine deshalb nicht, weil sein Fall direkt von der Staatsanwaltschaft vor Gericht gebracht wird.
"Wortgleiche" Vorschläge?
Der Antikorruptionsexperte und seine Kommissionskollegen schlagen nun vor, den staatsanwaltschaftlichen Instanzenzug zu verkürzen bzw. die Weisungsspitze überhaupt auszulagern - und zwar auf eine so genannte "Bundes- oder Generalstaatsanwaltschaft". Mit Betonung auf "-schaft": Eine Einzelperson sei erst recht wieder anfällig für Interventionen, deshalb brauche es ein "Gremium mit kollektiven Entscheidungen", erklärte Kreutner.
Auch dafür gibt es jetzt Kritik: Die Vorschläge, die von der Kommission gemacht wurden, erinnerten stark an die Forderungen des "Rechtsstaat & Anti-Korruptionsvolksbegehrens", das Kreutner 2022 initiiert hat, sagte ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler diese Woche. Auch darin wurde auf die Installation einer unabhängigen Weisungsspitze und eine Reduktion der Berichtspflichten gedrängt.
OGH-Präsident Kodek will aufgefallen sein, "dass einige zentrale Ergebnisse Wort für Wort mit dem seinerzeitigen Volksbegehren übereinstimmen.“ Das ergebe ein "unglückliches Bild", und es bestehe die Gefahr, dass "viele der zweifellos klugen Detailanregungen" davon überschattet werden.
Im KURIER-Gespräch reagiert Kreutner verwundert auf diesen Einwand: Eine Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft (oder wie auch immer man die unabhängige Weisungsspitze dann nennen möchte) werde schon seit Jahren von namhaften Experten und Institutionen empfohlen, und nicht erst seit dem Volksbegehren.
"Offene Fehlerkultur war nicht umsonst zentrale Empfehlung"
So sei die fehlende Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft auch jedes Jahr im Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission Thema. Zu seiner Aussage in der "ZiB2", dass Österreich unter diesen Voraussetzungen heute nicht mehr EU-Mitglied werden könnte, steht Kreutner.
Und ob es wortgleiche Vorschläge im Kommissionsbericht und im Volksbegehren gebe, könne Kodek schwerlich beurteilen - der gesamte Bericht sei ja noch nicht veröffentlicht.
Auch den Vorwurf der "undifferenzierten Pauschalunterstellung" weist Kreutner zurück: "Der erste Befund der Kommission war, dass das österreichische Justizsystem prinzipiell ein sehr gutes ist." Und doch wurden Interventionen und fehlende Äquidistanz zur Politik und zu Medien festgestellt.
In Richtung der Kritiker erlaubt sich Kreutner einen kleinen Seitenhieb: "Eine offene, reflexive Fehlerkultur war nicht umsonst eine unserer zentralen Empfehlungen."
Eine gewisse Empörung war diese Woche auch bei der Staatsanwälte-Vereinigung herauszuhören: Die von der Kommission vorgeschlagene öffentliche Erklärung zur Distanz von Politik und Medien sei ohnehin im Berufskodex enthalten. „Das dürfte bei den Recherchen der Kommission untergegangen sein.“
Fokus auf Inhalt statt auf Beistriche
Nächster Kritikpunkt: Am Montag wurde nur eine Zusammenfassung der Ergebnisse präsentiert, Journalisten bekamen bei der Pressekonferenz ein 16-seitiges Papier. Den vollen, 230-seitigen Bericht, müsse erst noch das Justizministerium medienrechtlich prüfen, hieß es.
ÖVP-Verfassungsministerin Edtstadler warf der Kommission deshalb vor, sie habe "ihren Auftrag nicht verstanden". Schließlich sollte die Kommission ja für Transparenz sorgen und sei nun selbst nicht transparent.
Kreutner sagt dazu: "Ich würde mir auch wünschen, dass der Bericht längst veröffentlicht ist, aber es liegt nicht an uns, sondern am Justizministerium. Uns wurde zugesichert, dass dies binnen weniger Tage geschieht." Der Politik empfiehlt er, sich doch mehr auf das Inhaltliche und weniger auf Beistriche zu fokussieren.
100 Euro pro Arbeitsstunde
Noch nicht laut, sondern vorerst hinter vorgehaltener Hand, werden von ÖVP-Seite auch die Kosten thematisiert. Es sei im Sinne der Transparenz, die von den Grünen immer eingefordert werde, diese offenzulegen, heißt es da.
Der KURIER hat im Justizministerium nachgefragt: Zusätzliche Kosten seien nur für justizexterne Mitglieder angefallen - mit diesen sei eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro brutto pro Stunde vereinbart worden. "Da die Endabrechnung noch nicht erfolgt ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Gesamtsumme genannt werden."
Die Kommission bestand aus sieben Personen - neben Kreutner, der den Vorsitz der Kommission innehatte, wurden Peter Küspert, Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und Strafrechtsprofessor Robert Kert als externe Experten geholt. Die anderen vier Mitglieder sind justizinterne Kräfte.
Kreutner erklärt ergänzend dazu, dass die Externen mehr Stunden geleistet als verrechnet hätten. Die Verrechnung entspreche gesetzlich etwa den Sachverständigen-Gebühren und liege wohl unter jenen eines Kfz-Mechanikers, die man in der Werkstätte zahlt. Von der Größenordnung eines Birnbacher-Gutachtens (zwölf Millionen Euro für sechs Seiten in der Kärntner Hypo-Causa) sei man jedenfalls meilenweit entfernt.
Laut der Tageszeitung Die Presse geht auch Caroline List, die Witwe von Christian Pilnacek, mit einem Anwalt gegen die Kommission. Sie wirft Martin Kreutner vor, dass in einer Zusammenfassung für Journalisten von einer Lebensgefährtin von Pilnacek zu lesen ist. Sie fordert ihn auf, das in Zukunft zu unterlassen und diesbezüglich bereits getätigte Aussagen zu beseitigen.
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