Bericht der Pilnacek-Kommission: Politik und Justiz sind schuldig in allen Anklagepunkten

Es war einmal ein hoher Beamter im Justizministerium, dem gab man 2010 mit der Zusammenlegung zwei wichtiger Sektionen sehr viel Macht. Der „Supersektionschef“ trat auch im Fernsehen auf, er gab Interviews, war in der Wiener Gesellschaft wohlbekannt. So begab es sich, dass dieser Supersektionschef auch in seinem Büro Beschuldigte und Politiker, beschuldigte Politiker und Verteidiger empfing. Und was er mit ihnen sprach, war in keinem Akt nachzulesen.
So ungefähr geht die Geschichte von Christian Pilnacek, die vielfach erzählt, aber strafrechtlich nicht greifbar wurde – und mit dem Auftauchen eines Tonmitschnitts im Herbst neuen Zündstoff erhalten hat.
Auf dem nach seinem Tod veröffentlichten Mitschnitt erzählt Pilnacek über Interventionsversuche der ÖVP. Dem auf den Grund zu gehen, war die Aufgabe einer Kommission rund um den Anti-Korruptionsexperten Martin Kreutner. Die Kommission hat am Montag ihre Ergebnisse präsentiert. Der volle, 230-seitige Bericht soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.
Alle Verdachtsmomente wurden „positiv“ befundet. „Ja, es gab diese Auffälligkeiten“, sagt Kreutner. Und betont später, dass das kein Phänomen einer Partei sei. „Überall da, wo eine längere Zeit Macht angehäuft ist, kann es zu Machtmissbrauch kommen.“
Gespräch mit SPÖ-Justizsprecher
Peter Küspert, Präsident des Bayrischen Verfassungsgerichtshofes und Kommissionsmitglied, spricht von „Seilschaften“ und „politischer Anbiederung“, von „interner Bevorzugung“ und dass „Zusammengehörigkeit“ schwerer wiege als die Gesetzmäßigkeit. So kam es vor, dass Beschuldigte über jeden Schritt der Justiz Bescheid wussten.
Dass Pilnacek in der Casinos-Causa Beschuldigte beraten hat, ist bekannt. Legendär ist beispielsweise sein Chat mit dem Kabinettschef des früheren ÖVP-Finanzministers Gernot Blümel: „Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?“
Neu ist aber folgendes Beispiel, das Küspert schildert: In einer Inseratenaffäre habe es ein Treffen zwischen dem Supersektionschef und dem Justizsprecher einer Partei gegeben, gegen die ermittelt wurde. Dabei seien dem Justizsprecher alle seine Fragen beantwortet worden. „Das ist eine ganz klare Grenzüberschreitung“, sagt Küspert, ohne Partei und Personen zu nennen.
Laut KURIER-Recherchen handelte es sich dabei um die SPÖ-Inseratencausa rund um Ex-Kanzler Werner Faymann, die vor einigen Monaten eingestellt wurde. SPÖ-Justizsprecher war von 1998 bis 2019 Hannes Jarolim. Dieser bestreitet auf KURIER-Anfrage, mit Pilnacek jemals über dieses Thema gesprochen zu haben. „Das habe ich definitiv nicht“, betont er.
Der SPÖ wurde (wie später der ÖVP um Ex-Kanzler Sebastian Kurz) vorgeworfen, ein Boulevardblatt mit Inseraten verwöhnt zu haben. Im Gegenzug seien darin „frisierte“ Umfragen veröffentlicht worden. Mögliche Tathandlungen sind 2015 verjährt.
Die Veröffentlichung des vollen Berichts wird nun vom Justizministerium (BMJ) „medienrechtlich abgeklärt“. Kommissionschef Kreutner betonte dabei: „Das BMJ wird nicht redigieren. Der Bericht ist, wie er ist.“
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) fühlt sich durch die Ergebnisse bestätigt: Die von ihr umgesetzten Reformen seien richtig gewesen. Sie hofft nun, dass die Gespräche mit der ÖVP über eine Generalstaatsanwaltschaft nun einfacher werden. Der Bericht zeige, dass Machtkonzentration eine Gefahr darstelle.
Zadić pocht darauf, dass in dort in Senaten entschieden werden soll. Die ÖVP aber hat sich für eine Einzelspitze ausgesprochen. Dort wollte man den Bericht am Montag nicht im Detail beurteilen, da dieser noch nicht veröffentlicht sei.
Die SPÖ sieht durch den Bericht ihre „Befürchtungen bestätigt“. Es gelte nun, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Die FPÖ fühlt sich bestätigt, dass der „tiefe Staat der ÖVP“ tatsächlich existiere.
Und für die Neos ist die „Liste an Versäumnissen und Verfehlungen erschreckend“.
"Opfern" oder "beeinflussen"
Stichwort Verjährung: Auch das in die Länge ziehen von Strafverfahren könne eine „sachfremde Einflussnahme“ sein, sagt Angelika Prechtl-Marte, Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch. Dass Vorhaben der Staatsanwaltschaften der Koalitionsräson „geopfert“ worden seien – diesen Ausdruck zieht Prechtl-Marte gleich zurück und erklärt dann, dass die Räson zumindest den Zeitpunkt von Entscheidungen beeinflusst haben könnte. Als Beispiele nennt sie die Causa Stadterweiterungsfonds.
Bei den Langzeit-Causen Eurofighter und Meinl hätte die „dünne Personaldecke“ eine Rolle gespielt. Staatsanwälte seien mit großen Fällen allein gelassen worden, wodurch es zu Verzögerungen und Verwässerungen gekommen sei. Auch hier will Prechtl-Marte nicht behaupten, das sei Absicht gewesen; zumindest aber habe man es gebilligt und zugeschaut.
Eine weitere subtile Methode, Einfluss auszuüben, seien auch „Anmerkungen“ von Vorgesetzten zur Verfahrensführung gewesen, die nicht verschriftlicht wurden. „In einem hierarchischen System wie der Justiz bleiben solche Äußerungen nicht unbeachtet“, sagt die Gerichtspräsidentin.
Weniger subtil hingegen waren Bestrebungen, die WKStA, die in vielen politisch brisanten Verfahren der vergangenen Jahre ermittelt hat, zu „zerschlagen“. Kreutner verwendet diesen Begriff ganz bewusst. „Reformieren“ wäre ein Euphemismus.
Die Kommission mit Leiter Martin Kreutner hat den Zeitraum 2010 bis 2023 untersucht. Das sind die wichtigsten Ergebnisse:
- Generalstaatsanwaltschaft
Zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz brauche es eine unabhängige Weisungsspitze, fordert die Kommission.
- Berichtswesen
Der interne Instanzenzug bei Vorhaben der Staatsanwaltschaften soll reduziert, die gerichtliche Kontrolle gestärkt werden.
- „Zwei-Klassen-Justiz“
Gesetzlich festgelegt ist, dass bei „clamorosen“ Fällen, die von öffentlichem Interesse ist, die Vorhaben der Staatsanwaltschaften von der Oberstaatsanwaltschaft und vom Justizministerium geprüft und genehmigt werden müssen (normale Verfahren nicht). Die Kommission ortet ein „30 Augen Prinzip“ und schlägt vor, dieses zu streichen.
- WKStA
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) solle „außer Streit gestellt“ und „gestärkt“ werden. Sie solle zudem aus dem „Nadelöhr“ der OStA Wien herausgelöst und eine Alternative als Fach- und Dienstaufsicht sichergestellt werden.
- Verantwortung
Die Kommission kritisierte einen „Verantwortungsnebel“ und schlechte Fehlerkultur. Empfohlen wird, transparente Mechanismen zu schaffen.
- Distanz
Staatsanwälte sollen sich in einer öffentlichen Erklärung zur nötigen Distanz zur Politik, zu einzelnen Parteien und zu Medien bekennen.
Und jetzt? Kreutner listet einige Empfehlungen auf (siehe oben), sagt aber, es ließen sich schon viele Probleme lösen, indem man eine unabhängige Weisungsspitze – die lang geforderte Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft – installiert und damit Entscheidungen über Strafverfahren von der Politik loslöst.
„Alles wäre verloren“, zitiert Kreutner Montesquieu, wenn eine Person oder Körperschaft die drei Machtvollkommenheiten ausübte.
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