Da war beispielsweise die Causa Eurofighter: Nachdem Mitarbeiter der WKStA eine Dienstbesprechung mit Pilnacek mitgeschnitten hatten und das Protokoll öffentlich wurde, sah sich Pilnacek dem Vorwurf ausgesetzt, er habe das Eurofighter-Verfahren vorzeitig abdrehen wollen. Der oberste Legist im Strafrecht hat sein Amt missbraucht, unkten Pilnaceks Gegner. Als Beweis galt vielen die protokollierte Äußerung "Daschlogts es!". Dass Pilnacek genau das Gegenteil wollte, nämlich: eine effiziente Arbeit und möglichst eine schnelle Anklage in Teilaspekten der Klage, ging schnell unter.
Wahr ist: Pilnacek war kraft seiner Funktion als Chef der Sektion Strafrecht die rechte Hand des jeweiligen Ministers, ihm oblag die Kontrolle der täglichen Arbeit von Staats- und Oberstaatsanwaltschaften sowie der WKStA. Ein Job mit viel Verantwortung, man darf ruhig sagen: Macht.
Wahr ist auch, dass Pilnacek in diesem und anderen Fällen fachlich manches missfiel - und er daher öfter Kritik an der WKStA geäußert hat. Im Falle des Eurofighter-Verfahrens kam die mit den Ermittlungen gegen Pilnacek beauftragte Linzer Staatsanwaltschaft zum Schluss, dass letztlich kein Verfahren zu führen ist - es fehle der Anfangsverdacht (Details lesen Sie hier).
Ähnliches geschah in Sachen Geheimnisverrat: 2021 wurde Pilnacek vorgeworfen, er habe einer KURIER-Journalistin Amtsgeheimnisse verraten. Es kam zum Verfahren - und einem Freispruch für Pilnacek (mehr zum Freispruch lesen Sie hier).
Das Dilemma bestand für Pilnacek darin, dass die bis zuletzt aufrechte Suspendierung nicht aufgehoben werden konnte bzw. sollte, weil diverse Ermittlungen und Verfahren noch liefen.
Der Job ist alles
Für den Vater dreier erwachsener Kinder war das wohl das größte Problem. "Er hat für den Job gelebt, sich dadurch definiert", erzählt ein enger Freund, der namentlich nicht genannt werden will. "Wenn du so jemandem jahrelang Struktur und Lebensinhalt wegnimmst, macht ihn das fertig."
Dies umso mehr, als Pilnacek zeitlebens keine Berührungsängste gezeigt hat: Der hoch gewachsene Sektionschef gefiel sich in der Rolle des wichtigsten Beamten im Ressort und diskutierte in Wiener Innenstadt-Lokalen mit Journalisten und Politikern. Seine Gegner attestierten ihm darob eine ungebührende Nähe zu FPÖ und Volkspartei.
Die grüne Justizministerin Alma Zadic soll es ihm übel genommen haben, dass er sie nicht nur einmal spüren hat lassen, wer im Ministerium der "1er" ist. Noch heute erzählen sich Ministeriumsmitarbeiter die Anekdote, wie Pilnacek hochrangige Manager zur "Rechtsberatung" nicht nur in sein Büro ins Ministerium lud, sondern diese im Vorzimmer der Frau Bundesministerin hat warten lassen, anstatt sie direkt zu sich zu bitten. "Das war natürlich eine Provokation", erzählt ein Zeitzeuge, "frei nach dem Motto: ,Schau', Frau Minister, mit welch' wichtigen Menschen ich mich ständig treffe."
Schaffner-Paragraf
Wegbegleitern des verstorbenen Sektionschefs ist eines wichtig zu betonen: "Der Christian hat sich vielleicht in der Rolle des heimlichen Ministers gefallen. Aber: Er hat sich nie korrumpieren lassen, hat nie intrigiert und war den Ressortchefs gegenüber loyal."
Als Beispiel bringen Pilnaceks Arbeitskollegen gerne den "Schaffner-Paragrafen". Weil Justizminister Wolfgang Brandstetter oft mit der Bahn unterwegs war, plädierte er für einen höheren Strafrahmen für Menschen, die das Personal in öffentlichen Verkehrsmitteln tätlich angreifen. Als Strafrechtsexperte hielt Pilnacek diese Maßnahme für völlig überflüssig. Als Mitarbeiter setzte er sie 2017 trotzdem um - und verteidigte die Verschärfung wortreich gegenüber all jenen, die Brandstetter dafür kritisierten.
Es lag am Freitag an Verfassungsministerin Karoline Edtstadler daran zu erinnern, dass Pilnacek ein "brillanter Jurist" war, der als "Architekt" der Strafprozessreform 2004 "für immer seine Handschrift in Österreichs Rechtssystem hinterlassen hat".
Und vermutlich ist das die wahre Tragödie am Tod des Sektionschefs. Im Lärm um die Suspendierung und die laufenden Verfahren ging weitgehend unter, wofür ihm fachlich auch die amtierende Justizministerin gestern dankte, nämlich: Für seinen "großen Beitrag zur Weiterentwicklung des Strafrechts in Österreich".