"Van der Bellen setzt auf eine Karte, die derzeit out ist"

Oliver Rathkolb, Wiener Historiker an der Universität Wien
Norbert Hofer wettert gegen das Establishment, Alexander Van der Bellen wirbt damit. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb über die Bedeutung von Eliten in der Politik.

Donald Trumps Sieg bei der US-Wahl wird als Triumph über das Establishment gefeiert. Die Eliten in Washington haben versagt und die Experten konnten "The Donald" nicht verhindern.

Auch im österreichischen Wahlkampf setzt man auf das Establishment - allerdings ziemlich unterschiedlich: Norbert Hofer wird nicht müde, über jene "Schickeria" zu räsonieren, mit der Alexander Van der Bellen seit Monaten für sich wirbt. Gerade erst hat sich auch Alt-Bundespräsident Heinz Fischer für Van der Bellen positioniert - mehr Establishment geht kaum.

Im Interview mit kurier.at spricht der Zeithistoriker Oliver Rathkolb über die Dekade der Experten, Jörg Haiders Anti-Eliten-Politik und über den Bruch mit dem Establishment.


Kurier.at: Herr Rathkolb, gehören Sie zum Establishment?

Oliver Rathkolb: Aufgrund meiner Stellung als Universitätsprofessor bin ich ein Teil davon, ja.

Als Mitglied des Establishments hat man es dieser Tage ja nicht gerade leicht. Alle wollen die Elite stürzen, niemand möchte dazugehören.

Die Beziehung zwischen Elite und Gesellschaft war schon immer sehr ambivalent. Der Nationalsozialismus beispielsweise war vor 1933 als eine Art kleinbürgerlich proletarische, aggressive Bewegung gegen das Establishment. Aber dann, als man die Elite gebraucht hat, wurden sehr schnell Machtbündnisse geschmiedet. Ohne Franz von Papen, ehemals Mitglied der Zentrumspartei, hätte es 1933 einen Reichskanzler Adolf Hitler nicht gegeben. Das erklärt auch die Systemstärke des Nationalsozialismus. Während ein Teil der Eliten – vor allem jene jüdischer Herkunft, Kommunisten und Sozialdemokraten – vertrieben, verfolgt und ermordet wurde, war der Rest lange Zeit systemtreu.

https://images.kurier.at/46-88404524.jpg/232.951.224 Kurier/Juerg Christandl Oliver Rathkolb Interview mit dem Zeithistoriker und Buchautor Oliver Rathkolb am 25. 11. 2016 in Wien

Heute sind Experten, Eliten und das Establishment eher negativ konnotiert. War das schon immer so?

Nein. Nach 1945 waren Eliten, Wissenschaftler und Künstler en vogue. Aus US-amerikanischer Sicht spielten Meinungsführer während des Kalten Kriegs eine zentrale Rolle. Es gab Austauschprogramme für Journalisten aus der BRD und Österreich. Die Amerikaner versuchten, sie an ihr ökonomisches und politisches System heranzuführen, im Glauben, es wirkt sich dann Top Down auf die Gesellschaften in Europa aus. Man wollte verhindern, dass es wieder zu einer nationalsozialistischen oder anderen imperialistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum kommt.

Gab es diese Pro-Eliten-Stimmung auch in Österreich?

In den Siebzigerjahren scharte Bruno Kreisky Künstler und andere unabhängige Experten unter der Devise "ein Stück des Weges gemeinsam gehen" um sich. Er konnte das auch sehr geschickt kommunizieren: Alles, was seine Regierung tut, basiere auf Expertenwissen. Es war ein Versuch, mit intellektuellen Künstlern und kritischen Denkern den Wohlfahrtsstaat entsprechend zu erweitern und gleichzeitig die demokratischen Prozesse zu verstärken.

Wann kam es zum Bruch mit der Elite?

Für mich war es Zwentendorf (ein Rundgang im AKW). Kreisky holte die größten Atom-Kapazunder nach Wien, um zu erklären, dass Atomkraft nicht gefährlich ist. Das Votum gegen Zwentendorf 1978 kann auch als Votum gegen die Elite gesehen werden.

Trotzdem verbuchte Kreisky 1979 einen enormen Wahlerfolg.

Aber nur deshalb, weil er auf die Bevölkerung gehört und ihre Entscheidung bei Zwentendorf akzeptiert hat. Das "goldene Zeitalter", wie Eric Hobsbawm die Dekade der Experten nach 1945 bezeichnet hatte, war allerdings vorüber. Jörg Haider setzte dann in den Achtzigerjahren als erster Politiker den Anti-Eliten-Komplex bewusst ein. Ich werde nie die Diskussion mit Haider, Anton Pelinka und Erika Weinzierl im ORF vergessen. Wie er die beiden rhetorisch vernichtet hat, war erschreckend. Ihre Inhalte waren valide und ausgewogen, aber Expertenwissen, Künstlerinitiativen und kritische Medien konnten ihm nichts anhaben. Haider war ein demagogisches Sonderkapitel.

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Wie meinen Sie das?

Mit Ausnahme der Kronenzeitung haben fast alle Medien versucht, auf seine politischen Schwachstellen und ideologischen Verwurzelungen im Nationalsozialismus, die er auch immer wieder in die Auslage stellte, hinzuweisen. Was ist übrig geblieben? Riesige Wahlerfolge und in vielen Teilen der Bevölkerung noch immer der Glaube, dass es bei seinem tödlichen Autounfall unter Alkoholeinfluss nicht mit rechten Dingen zugegangen ist (Was vom Mythos Haider blieb).

Aber die Zwentendorf-Abstimmung kann ja nicht alleine für die Anti-Eliten-Stimmung verantwortlich sein.

Die Globalisierung seit Mitte der Achtzigerjahre und Digitalisierung in den Neunzigerjahren kommen hinzu. Früher hat man die Elite wegen autoritärer Strukturen akzeptiert, aber heute gibt es Alternativen. Junge Menschen informieren sich nicht mehr über traditionelle Medien wie Zeitungen. Diese werden in Frage gestellt. In einem kleinen Land wie Österreich kann man das noch klarer fassen: Jörg Haider hat die Medienkritik ja regelrecht zelebriert und bewusst herausgefordert. Selbst die Kampagnen der Kronenzeitung gegen die schwarz-blaue Regierung 2000 waren für die Katz (Schwarz-Blau: Was blieb - außer Affären?).

Ist es möglich, dass viele Menschen das Vertrauen deshalb verloren haben, weil sie der Meinung sind, "die da oben" haben nichts geleistet, sondern sind Nutznießer der Freunderlwirtschaft?

Das würde ich so nicht sehen. Es gibt viele Experten, die etwas geleistet haben. Was man ihnen aber vorwirft, ist, dass sie sich nicht mehr für die Umverteilung einsetzen. Sie sind abgehoben, gierig und kümmern sich nur um das eigene Wohl. Spitzenmanager sind das beste Beispiel. In Zeiten, in denen das Einkommen stagniert und der Karriereweg für junge Menschen trotz bester Ausbildung immer schwieriger wird, bekommen sie Gehälter und Boni, die weder gerecht noch nachvollziehbar sind.

https://images.kurier.at/46-88404596.jpg/232.951.184 Kurier/Juerg Christandl Oliver Rathkolb Interview mit dem Zeithistoriker und Buchautor Oliver Rathkolb am 25. 11. 2016 in Wien

Jetzt bin ich zu jung für die 68er-Bewegung. Aber brodelt heute etwas Ähnliches unter der Oberfläche?

Ich wäre da ein wenig vorsichtig. Die 68er-Bewegung war keine Volksbewegung, sondern eine Auseinandersetzung zwischen Studenten und traditioneller Elite, die zum Teil noch sehr autoritär war und aus der NS-Zeit stammt. Es war auch keine Revolution wie in Frankreich und der BRD, weil die 68er-Bewegung von der Elite gekommen ist und viele damit einfach nichts anfangen konnten. Der Historiker Fritz Keller spricht zu Recht von einem "Mai-Lüfterl" in Österreich. (Interview mit Gottfried Helnwein über die Jugendrevolte)

Donald Trump hat die US-Wahl gewonnen, obwohl er zum Establishment gehört. Wie erklären Sie sich das?

Es ist ihm gelungen, vorzugaukeln, dass er eben kein Teil der Elite ist. Durch sein Auftreten hat er sich zum Sprachrohr jener gemacht, die sich von den Eliten verraten fühlen. Entscheidend war übrigens, dass Stars, Politiker und Medien gegen ihn waren. Gegen Trump zu sein, hieß in der Bevölkerung, gegen die Nicht-Elite zu sein. Dasselbe Phänomen haben Sie heute auch bei Norbert Hofer.

Sie meinen die Kampagne gegen Hofer von Hans Peter Haselsteiner? Historiker halten bekanntlich wenig von Prognosen, aber nach dieser Argumentation wird der FPÖ-Kandidat Bundespräsident.

Die Inserate von Haselsteiner könnten für einen ähnlichen Effekt sorgen wie bei Trump. Wobei man nicht unterschätzen darf, dass eine starke Gegenpersönlichkeit dem entgegentreten kann. Bürgermeister Michael Häupl hat es bei der Wien-Wahl 2015 gezeigt. Er hat klare Botschaften kommuniziert und verstanden, dass man gegen Populisten emotional argumentieren kann. Für die Politelite ist das manchmal extrem schwierig, weil sie versucht, keine Fehler zu machen.

Haben Sie ein Beispiel?

Viktor Klima war ein beliebter Bundeskanzler, aber für seine Medienberater war nur wichtig, wie er bei der Kronenzeitung oder beim ORF in der "ZIB 1" ankommt. Klima wurde dermaßen zugetextet, dass er überhaupt keine klare Botschaft mehr durchgebracht hat. Populisten wie Trump und Haider haben genau das Gegenteil von dem gemacht, was Berater sagen. Das wirkt. Hofer ist dagegen sehr fad unterwegs. Er spielt bereits den Bundespräsidenten, reist ins Ausland. Das kann ins Auge gehen. Man kann zum Beispiel nicht ständig gegen die kommunistischen Unterstützer Alexander Van der Bellens wettern und gleichzeitig Russland-Kontakte und Reisen zu Putin als neue außenpolitische Ausrichtung predigen.

https://images.kurier.at/46-88404759.jpg/232.951.172 Kurier/Juerg Christandl Oliver Rathkolb Interview mit dem Zeithistoriker und Buchautor Oliver Rathkolb am 25. 11. 2016 in Wien

Im Gegensatz dazu umgibt sich Van der Bellen mit dem unbeliebten Establishment.

Das sehe ich auch skeptisch. Van der Bellen setzt auf eine Karte, die derzeit out ist. Elitenunterstützung ist für den politischen Erfolg derzeit eher hinderlich. Das suggeriert das Einfrieren des Status Quo, mit dem man unzufrieden ist.

Was machen Populisten, wenn sie Wahlen gewinnen und nicht mehr gegen das Establishment wettern können, weil sie selbst Teil davon sind?

Dann müssen sie schnell liefern, um Luft zum Durchatmen zu bekommen. Das ist der Druck unter dem sie stehen. Das war übrigens die Schwäche der Freiheitlichen in der Koalition 2000. Geliefert hat nämlich Wolfgang Schüssel, nicht die FPÖ.


Zur Person: Oliver Rathkolb ist Historiker und Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen europäische Geschichte im 20. Jahrhundert, österreichische und internationale Zeit- und Gegenwartsgeschichte, österreichische Republikgeschichte im europäischen Kontext sowie Nationalsozialismus und Rechtsgeschichte. Er gilt als SP-nahe.

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