Haselsteiner: "Die Eliten haben es selbst verbockt"

Hans Peter Haselsteiner.
Der Industrielle Hans Peter Haselsteiner kampagnisiert gegen FPÖ-Hofburg-Kandidat Norbert Hofer. Im KURIER-Interview analysiert er, wie es zur Stimmung gegen das Establishment in Europa und den USA kommen konnte.

KURIER: Herr Haselsteiner, befeuern Sie mit Ihrer Kampagne "Kommt Hofer. Kommt Öxit. Kommt Pleitewelle" nicht jene Anti-Establishment-Stimmung, die Trump in den USA zum Wahlsieg verholfen hat? Sie zählen zur Elite des Landes, die dem Bürger sagen will, wie er zu wählen hat ...

Hans Peter Haselsteiner: Ich sehe das ganz anders. Meine Kampagne richtet sich zwar gegen den Herrn Hofer. Aber nicht weil er ein Freiheitlicher ist. Nicht weil er radikal ist. Nicht wegen seiner politischen Standpunkte, die ich zwar allesamt nicht teile, aber sie hätten mich nie dazu bewogen, eine Kampagne zu starten. Ich bin aktiv geworden, weil Hofer ein erklärter Anti-Europäer ist. Seine Kehrtwendung zwischen dem Brexit und der Aufhebung des Stichwahlergebnisses ist einfach nicht glaubwürdig. Ich möchte im Rahmen meiner Möglichkeiten darauf aufmerksam machen, dass ein Anti-Europäer Bundespräsident werden könnte. Das wäre ein großer Schaden für das Land. Auch ich habe eine Geschichte mit Alexander Van der Bellen und wähle ihn aus Vernunftsgründen – und nicht aus emotionalen Gründen.

Welchen Schaden?

Am Tag nachdem Hofer zum Bundespräsidenten gewählt wurde, gehen die Buchungen im Tourismus um zehn Prozent zurück. Das traue ich mich wetten. Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die Wirtschaftskammer schätzt bis zu 150.000. Ich möchte die Menschen nur wachrütteln und die Konsequenzen aufzeigen. Meine Hoffnung ist, jene Wähler, die noch unentschlossen sind, für Van der Bellen zu gewinnen. Wenn man nicht zur Wahl geht, dann kommt eben der Brexit oder Trump. Trump ist ein Populist. Das hat er mit Herrn Hofer gemeinsam. Es ist das Wesen des Populismus, sich einen Feind zu suchen: Die Juden, die Reichen, die Einwanderer – wer oder was auch immer. Und wenn sie keinen Feind haben, erfinden sie einen.

Wie kann man das Establishment wieder aus dem Schmuddeleck herausholen?

Das zentrale Problem ist ein Verteilungsproblem. Macht, Einfluss und Vermögen sind in den Industrienationen ungleich verteilt. Eine immer größer werdende Bevölkerungsgruppe hat das Gefühl, dass sie keine faire Teilhabe hat. Daraus resultiert ein großes Unbehagen: Ich zähle nichts mehr, meine Meinung ist nichts mehr wert, außer ich gebe sie den Populisten – dann wird meine Meinung wieder aufgewertet. Das ist im Prinzip das Phänomen, an dem die Eliten und die Politik selbst Schuld tragen. Sie haben keine Gelegenheit ausgelassen, ihre Überlegenheit vorzuführen und haben es selbst verbockt. Deswegen sage ich schon seit Langem: Die größte Gefahr für unsere Gesellschaft ist der Verlust des sozialen Friedens. Diesen Status haben wir noch nicht ganz erreicht, aber wir haben deutliche Zeichen, dass der soziale Frieden verloren gehen könnte. Ich bin überzeugt, dass dieser Verlust, dann einseitig schmerzhaft sein wird: Je mehr Elite, je größer die Macht, je mehr Vermögen, je größer der Verlust. Wenn wir nicht in der Lage sind, die Errungenschaften der Gesellschaft zu bewahren. Damit meine ich nicht nur Geld , sondern auch Wertschätzung, soziales Prestige, Mitspracherecht, ernst genommen zu werden. Dann muss eine Gesellschaft eben diese Entwicklung nehmen, die sie zurzeit nimmt. Auch zu große Einkommensunterschiede sind Gift für die Gesellschaft. Wir haben leider, zumindest was das Geld betrifft, keine Instrumente in der Hand, die Situation zu verändern. Eine Währungsreform ist auszuschließen, Inflation bekommen wir so gut wie keine zustande.

Eine neue Studie zeigt, dass die soziale Kluft in der EU immer größer wird. Ein Sechstel ist trotz Vollzeitjobs von Armut bedroht. Ist das Gewinnstreben der Unternehmen ausgeartet und sollten Sie gerechtere Löhne zahlen?

Wir haben zwei Phänomene: Einerseits müssen wir wettbewerbsfähig bleiben. Der soziale Unternehmer, der mehr verteilt, als er haben kann, tut seinen Mitarbeitern auch nichts Gutes, weil er bald pleite sein wird. Auf der anderen Seite haben wir ein Gewinnstreben, dass ohne ethisches Grundgerüst ausgestattet und vollkommen frei gelassen wurde. Es hinterfragt niemand kritisch, ist das noch akzeptabel? Ein weiterer Grund für die Kluft: Wir haben eine Globalisierung zugelassen, haben aber keine globale Politik installiert. Wir haben Europäisierung hingenommen, haben aber keine adäquate europäische Politik gemacht. Es gibt keine gemeinsamen Standards für Umwelt, für Soziales, für Arbeitszeit, für Steuersätze. Alles ist nationalstaatlich geregelt und verzerrt den Wettbewerb. Damit hat die an sich gute Entwicklung der Globalisierung, die ohne Zweifel Milliarden von Menschen auf die Gewinnerseite brachte, auch viele Verlierer produziert. Der Preis der Globalisierung ist für Hunderte Millionen Menschen zu hoch geworden und führte zu Slogans wie: "Make America great again". Wir wollen keine Arbeitsplätze in China – zurück damit in die USA. Diese Fehler nutzen die Populisten nun aus.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie in Österreich die Populisten bekämpfen. Mit der Strabag machen Sie in Russland, wo Putin herrscht, gute Geschäfte. Wie passt das zusammen?

Meine Feinde interpretieren das, was ihnen in den Kram passt. Ich bin nicht mehr für die Geschäftspolitik der Strabag verantwortlich. Ein Firmenchef muss politikfern sein. Es wäre in meinen Augen ein schwerer Fehler gewesen, Russland als Zukunftsmarkt außer Acht zu lassen. Derzeit ist es aber ein Hoffnungsmarkt. Ich glaube, dass eine demokratischere Regierung zurzeit nicht durchsetzbar wäre, wenn man das Land friedlich halten will. Niemand hätte etwas davon, wenn die Russen in einem Bürgerkrieg enden. So einfach ist der Weg nicht in die Demokratie. Die Russen haben jetzt noch nicht einmal 30 Jahre Demokratie. Die Amerikaner brauchten 200 Jahre dafür. Es ist einmalig in der Geschichte, dass das Volksvermögen ohne Bürgerkrieg neu verteilt wird. Es ist zwar nicht gerecht verteilt, aber gut genug, dass es nicht zu einem Bürgerkrieg kommt. Putin ist kein lupenreiner Präsident, aber im Verhältnis zu den Möglichkeiten ist er bei Weitem nicht der schlechteste.

Hugo Portisch meint, dass es für Europa in den nächsten Jahren unangenehm werden wird, wenn es in die Mühle zwischen Trump und Putin gerät. Ist das ein realistisches Szenario?

Ich hoffe, dass Europa die Signale verstanden hat und es erkennt, dass die nationalstaatlichen Lösungen falsch sind, um gegen Russland, Indien, China oder USA stark aufzutreten. Ich hoffe, dass sich die Europäer darauf besinnen, dass die Russen Europäer sind. Europa wird ohne Russland nie vollkommen sein. Das muss kein EU-Beitritt sein, aber es gibt viele sinnvolle Zwischenschritte. Wenn Europa eine Wachstums- und Geltungsperspektive haben möchte, dann ist Russland unverzichtbar.

Alexander Van der Bellen warnt vor der Blauen Republik. Es gibt Politikexperten, die meinen, wird Hofer Bundespräsident, dann wird es für Strache schwer, Kanzler zu werden. Weil die Bürger keine freiheitliche Doppelspitze wollen.

Kommt Hofer. Kommt Strache. Kommt Öxit. Und wir haben den Scherbenhaufen der letzten blauen Regierungsbeteiligung noch nicht aufgeräumt: Hypo, Karl-Heinz Grasser steht vor der Anklage. Und wir denken jetzt schon wieder über die nächste Beteiligung nach.

Der eine war Parteichef, die andere langjährige Ministerin, und wie Wilhelm Molterer und Maria Rauch-Kallat haben sich auch zahlreiche andere prominente ÖVP-Funktionäre im Zuge einer neuen Initiative deklariert, am 4. Dezember Alexander Van der Bellen zu wählen. Den ausgewiesenen Christkonservativen wie Ferry Maier, Franz Fischler, Josef Riegler, Michael Ikrath oder Christof Zernatto geht es vor allem um den Ruf der Republik: „Österreich muss ein verlässlicher europäischer und internationaler Partner sein.“ Das Ansehen des Landes müsse gewahrt bleiben, „um so unsere Wirtschaft zu unterstützen und unsere Exporte und Arbeitsplätze zu sichern“.

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