Was vom Mythos Jörg Haider blieb

Was vom Mythos Jörg Haider blieb
Am 11. Oktober 2008 starb Jörg Haider bei einem Autounfall. Zum Todestag ziehen Weggefährten und Kritiker Bilanz.

An jenem Samstag läutete ihn das Telefon aus dem Schlaf. „Da Haida is hin!“, sagte der Anrufer zu Egyd Gstättner. Es war die Nacht zum 11. Oktober 2008, und der Freund berichtete dem Schriftsteller, dass Kärntens Landeshauptmann nicht mehr sei.

Mit 1,8 Promille im Blut war Jörg Haider durchs Ortsgebiet gehetzt. Sein Phaeton geriet mit 142 km/h auf eine Böschung, hob ab – den Aufprall überlebte Haider nicht. Gstättner war betroffen, aber nicht traurig („Ich trauere, wenn ein Familienmitglied oder ein Freund stirbt“).

Und doch war die Nacht für den Klagenfurter eine Zäsur. Denn wie in seinem Erzählband „Der Haider Jörg zieht übers Gebirg“ (Drava Verlag, 14,80 €) nachzulesen ist, gehörte Gstättner zu den wenigen lokalen Intellektuellen, die Haider zeitlebens scharf kritisierten. „Haider kriegt man nicht. Den holt man sich“, hat Gstättner schon 1999 befunden – es war das Jahr der 27,2 Prozent, Haiders größter Wahltriumph.

"Was blieb von ihm?"

Fünf Jahre nach Haiders Tod stellt sich weiter die Frage: Was blieb von ihm? Welche Spuren hat er hinterlassen. Für Weggefährtin Heide Schmidt steht er vor allem für die „Verlotterung des politischen Stils“ (siehe unten).

Und Gstättner? Er sieht Haider etwas anders. „So wie Lady Di ist er gestorben, wie er gelebt hat – als Popstar“, sagt der Autor zum KURIER. Haider sei stets „rücksichtslos auf der Überholspur“ unterwegs gewesen und habe übersehen, „dass am rechten Rand die Bankette nicht befahrbar sind“, schreibt Gstättner.

Entscheidende Wandlungsfähigkeit

Was nicht heißen soll, Haider sei dank einer „faschistischen Schließmuskelschwäche“ (Gstättner) oder plumper „Deutschtümmelei“ groß geworden. Entscheidend war laut Gstättner seine Wandlungsfähigkeit: „Haider hat Themen und Ton nach Belieben und Publikum gewechselt.“ Er war schnell und unberechenbar – für Freund wie Feind. „Bei Niederlagen war er nicht zu sprechen“, sagt Gstättner. Vor drohenden Abwahlen schob er andere vor – um sie zu opfern. Die Siege aber gingen immer auf sein Konto. Politisch zu Pass kam dem Wahlkärntner, dass er nebst SPÖ und ÖVP allein auf der Bühne stand. „Er war der einzige, der gegenüber den damaligen Groß-Parteien glaubwürdig behaupten konnte, er wolle den Stillstand nicht weiter verwalten“, sagt Gstättner. Es ging ja nur ums Behaupten. All die Eskapaden, die Gaddafi-Freundschaft, das Lob für die SS-Veteranen in Krumpendorf oder Reisen zu Despoten wie Saddam Hussein, waren für die Wähler nur am Rande relevant. „Weit interessanter war Haider in der Rolle des „Schmähredners, des Robin Hood.“

Was bleibt also? „Ein Mythos, nicht mehr“, sagt Gstättner. Und selbst der verblasst. „Bis vor wenigen Monaten wurde ich aus dem Ausland oft angerufen.“ Journalisten aus Europa und Übersee wollten wissen, wie man Kärnten zu verstehen habe; was es sei, dass die Freiheitlichen hier immer noch so stark seien. „Aber seit 3. März hat niemand angerufen.“ Am 3. März wurden die Freiheitlichen bei der Landtagswahl abgewählt. Minus 28 Prozent, die größte Schlappe der Haider-Partie. Seither interessiert „der Jörg“ nicht mehr. Zumindest nicht im Ausland.

Was bleibt von Jörg Haider? „Ein enormer wirtschaftlicher Schaden, den die Steuerzahler in ganz Österreich ausbaden müssen“, antwortet Franz Vranitzky. Der frühere SPÖ-Kanzler grenzte sich von Haider in den 90er-Jahren konsequent ab, weil dieser mit NS-verharmlosenden Äußerungen auffiel und gegen Ausländer mobilisierte.

Haider habe das „System Hypo“ hervorgebracht. Die Folge: „Materieller Schaden in ungeahntem Ausmaß“.

Politisch habe der Wahlkärntner ermöglicht, dass rechtsrechte Recken Relevanz bekamen: „Da wurden Menschen in maßgebliche Funktionen gebracht, die eine Nähe zum Gedankengut hatten, das in den 30er-Jahren unglaubliches Leid über die Menschheit brachte. “ Daher habe die SPÖ noch immer eine Aufgabe: „Wir müssen diese Menschen von staatlichen Institutionen fern halten“, sagt Vranitzky.

Nicht ganz so sieht Andreas Khol die Sache. Khol war als ÖVP-Klubobmann einer der Architekten von Schwarz-Blau. „Von hinten liest sich ein Krimi immer leicht. Damals hat niemand nur ahnen können, wie viel kriminelle Energie in Affären wie die Buwog oder die Hypo Alpe-Adria gesteckt wurde.“ Ihn selbst habe die Korruption überrascht: „Ich konnte mir das Ausmaß nicht vorstellen.“

Haider selbst habe er, so Khol, durchaus zugetraut sich zu ändern: „Er war ein Zuspitzer. Aber er hatte viele Gesichter. Haider war belesen und klug, ein Intellektueller.“ Man habe mit ihm über alles philosophieren können. Khol: „Ich dachte im Jahr 2000 wirklich, Haider hat sich geändert. Immerhin hat er der 3. Republik abgeschworen, sich zur EU bekannt und war – im Unterschied zum Vater – kein Nazi.“

Ähnlich hat Dieter Böhmdorfer Haider in Erinnerung. „Er war umfassend gebildet und hat in der ersten Hälfte seines Wirkens, 1986 bis 2000, offenkundige Fehler des politischen Systems angeprangert“, sagt der Anwalt, der in Haiders Regierungsteam Justizminister war.

Laut Böhmdorfer hat der frühere Kärntner Landeshauptmann gezeigt, „dass Veränderungen aus dem Parlament heraus nicht möglich sind. Gegen die Sozialpartner ist keine Reform möglich.“ Mit der Regierungsbildung und der Spaltung der Partei sei Haiders Kurs ins Negative gekippt. „Die Gründung des BZÖ war ein schwerer Fehler. Aber das lag auch daran, dass sich Haider stets mit Beratern umgeben hat, die ihm nicht das Wasser reichen konnten – ihm fehlte ein Korrektiv.“

Heide Schmidt hätte dieses sein können – allerdings brach die Haider-Vertraute 1992 mit ihrem Parteichef und gründete das Liberale Forum. Was bleibt von Jörg Haider? Dazu will Schmidt nur einen Satz sagen: „Eine unglaubliche Verlotterung des politischen Stils.“

2008 stirbt Jörg Haider bei einem Autounfall – 13 Tage nach der Nationalratswahl. Fünf Jahre später ist sein „Zukunftsbund“ politisch tot. Welch’ Symbolik – die illustriert, was er hinterlassen hat. Dabei ist das BZÖ die billigste der Baustellen.

Mit Brot und Spielen hatte Haider einst gelockt. Das vom rot-schwarzen Proporz enervierte Publikum nahm beides freudig an. Die markigen Sprüche des Blauen wurden beklatscht. Den „Wiener Saustall ausmisten“ werde er, „aus patriotischer Verpflichtung“ – „um die Leiden der Bevölkerung zu beenden“. Welch’ Ironie!

Kärnten hat Haider zum finanziellen Saustall gemacht. Die Seebühne: defizitär. Das Klagenfurter Stadion: teures Mahnmal gegen Gigantomanie statt Wahrzeichen. Haiders Hausbank: ein Milliarden-Grab. Aus der patriotischen Verpflichtung wurde moralischer Verfall. Von Walter Meischberger bis Uwe Scheuch – Fälle für die Justiz statt Saubermänner. Raffgier und Hybris als Maxime der „Kleine-Leute-Partei“. Und die Leiden der Bevölkerung: Die hat Haider mit der Hypo prolongiert. Noch jahrelang werden alle Österreicher zahlen. Danke, Jörg!

Lange Zeit wollten viele all das nicht wahrhaben. Marterln wurden errichtet, Brücken nach Haider benannt. Landeshauptmann Dörfler wähnte sich gar für immer im Dunkeln („Die Sonne ist vom Himmel gefallen“). Ein klassischer Fall von Heiligenschein statt Sein. BZÖ-Verlassenschaftsverwalter Grosz sagt heute noch: „Jörg Haider hat den Menschen viel Gutes getan.“ Wohl mehr aus Pflichtgefühl als aus Überzeugung. Schon langsam wird den letzten Jüngern klar, was Haider war: Ein charismatischer Mensch mit politischem Talent, der nicht nur das, sondern viel Steuergeld verjuxt hat.

Neben der Gedenkstätte, dort, wo Jörg Haiders VW Phaeton wegen zu hohen Tempos von der Straße abkam, stehen schon am Vormittag zwei Paletten Kerzen, rote und weiße. Vorbereitungen wohl schon für die Kranzniederlegung, die das BZÖ vor dem fünften Todestag seines Gründers am Donnerstag Nachmittag vornahm.

„Er hat die Sorgen und Anliegen der Bürger gehört“, sagte Gerald Grosz, designierter neuer Parteichef des BZÖ, über Haider. „Selbst fünf Jahre nach seinem Tod bewegt er das ganze Land.“ Haiders Schwester Ursula Haubner nahm als Vertreterin der Familie daran teil. „Wir erinnern uns dankbar an einen besonderen Menschen und außergewöhnlichen Politiker, der mit viel Einsatz seinen politischen Weg gegangen ist“, sagte sie. „Aber wenn manche jetzt glauben, Jörg Haider fünf Jahre nach seinem Tod alles unterschieben zu können, was in dieser Republik nicht funktioniert, dann verwahre ich mich als Schwester dagegen. Ein Toter kann sich nicht wehren.“

Claudia Haider, die Witwe, kam nicht. Sie kümmere sich um die Gedenkfeier im Bärental, die am Freitag stattfindet, ließ sie wissen. 100 Trauergäste werden in der kleinen Kapelle erwartet. „Ich gebe mir da sehr viel Mühe. Die Gedenkfeier soll vom Herzen getragen sein.“

Auch der rote Nachfolger Haiders als Landeshauptmann, Peter Kaiser, wird der Gedenkstätte im Bärental einen Besuch abstatten und einen Kranz niederlegen. So wie zuvor schon am Grab des Altlandeshauptmanns Leopold Wagner. „Unabhängig von der politischen Zugehörigkeit ist das für mich ein Zeichen des Respekts gegenüber den Verstorbenen und ihren Familien“, begründet Kaiser. „Jeweils alle fünf Jahre werden wir seitens der Landesregierung an den Grabstellen der verstorbenen Landeshauptmänner gedenken.“

Im Grab umdrehen

In den Gasthäusern zwischen Klagenfurt und Feistritz wird diskutiert. Mehr die Medienberichte und das Wahlergebnis des BZÖ. „Der Jörg tät’ sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was die aus seiner Partei gemacht haben“, ärgert sich ein Mann. Kritik an der Person Haider und seiner Politik ist rund um den Todestag kaum zu hören.

An der Unfallstelle in Lambichl, gute 20 Fahrminuten von Haiders Heimatgemeinde Feistritz im Rosental, stehen bereits seit Tagen brennende Grabkerzen, Bilder vom jungen und älteren Haider sind um ein Gesteck drapiert: Es stammt von Haiders 95-jähriger Mutter. Zur Feier zu ihrem 90. Geburtstag war Haider in der Unfallnacht unterwegs.

Auch Verschwörungstheoretiker haben wieder Auftrieb, nützen den Jahrestag. „Wahrheit für Haider“, steht da auf einem Plakat an der Unfallstelle Lambichl. „Du wurdest beseitigt“, auf einem anderen.

Johann Haas und seine Frau Ruzica kamen extra aus Villach, um Kerzen anzuzünden. „Es war mir ein Bedürfnis“, betont Haas, der zum ersten Mal da ist. „Für mich war er ein super Landeshauptmann, er hat für die Familie etwas übrig gehabt. Und er war ein gerader Mensch.“

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Seine Frau Ruzica beugt sich zu den Inschriften auf den vielen kleinen Steinen und Herzchen hinunter. „Für uns war die Todesnachricht ein Schock, sein Tod war das Schlimmste“, erinnert sie sich. Dass Haider in Kärnten immer noch wichtig sei, sehe man an der Gedenkstätte, glaubt sie. „Er war beliebt, das sieht man an den vielen Kerzen.“ Ihr Mann Johann schmunzelt. „Es hat ja im Schnitt nicht einen Kärntner gegeben, dem er nicht zumindest einmal selbst die Hand geschüttelt hat.“

Die Ehre erwiesen

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Hans-Dieter Stromberger aus dem Gurktal ist nicht zum ersten Mal hier, er habe „den Jörg“ persönlich gekannt. „Deshalb ist es für mich selbstverständlich, ihm die Ehre zu erweisen.“ Haider fasziniere auch heute noch. „Wegen seiner Art, jedem zuzuhören, er hat jeden angeschaut, wenn jemand was zu ihm gesagt hat. Das macht ja heute keiner mehr.“

Freilich gesteht Stromberger zu, dass auch Haider Fehler gemacht habe. „Er hat natürlich polarisiert, er war Populist, das ist kein Thema. Aber grundsätzlich war er ein sehr herzlicher Mensch.“

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