Neos-Chefin Meinl-Reisinger: "Andreas Bablers Pläne machen uns ärmer"
KURIER: Werden Sie an der Demo gegen Rechtsextremismus teilnehmen?
Beate Meinl-Reisinger: Wir sind alle auf dem Weg nach Vorarlberg, um unsere EU-Kandidaten zu wählen. Wäre ich in Wien, würde ich hingehen.
Mit wie viel Teilnehmern rechnen Sie?
Der Protest in Deutschland war so groß, weil er nicht von der Linken getrieben war, sondern weil die Mitte der Gesellschaft ein Zeichen setzen will gegen Rechtsextremismus. Es geht um extremistische, neofaschistische Deportationsfantasien, nicht um links gegen rechts, wie manche linken Organisationen das leider bei uns versuchen, für sich selbst zu benutzen. In meinem Buch gibt es ein Kapitel, das sich genau damit beschäftigt: Dass die Mitte aufstehen muss. Völlig lachhaft ist in diesem Zusammenhang, dass die, die immer vom Volk reden, auf einmal von gesteuerten Massen sprechen.
Halten Sie die FPÖ für rechtsextrem?
In Teilen ist die FPÖ rechtsextrem, rechtspopulistisch ist sie jedenfalls.
Und der Bundesparteiobmann?
Er weiß sich gewisser Narrative zu bedienen. Dass er sich nicht von den Identitären abgrenzt, muss jeder selbst deuten.
Im Nationalrat trennt Herbert Kickl und Sie nur ein Sitzplatz (der von Norbert Hofer). Haben Sie eine gute Gesprächsbasis?
Es gab eine bessere Gesprächsbasis mit seinen Vorgängern Strache und Hofer, denn es muss eine Basis abseits der Propaganda-Schlachtrufe, die im Bierzelt stattfinden, geben. In unseren Gesprächen ist aber der Eindruck entstanden, dass wenig Interesse an Kooperation besteht. Nach dem VfGH-Urteil in Sachen ORF hätte ich mir gewünscht, dass wir eine Oppositionsallianz schaffen, die eine wirkliche Reform und Entpolitisierung vorantreibt. Das war mit der FPÖ aber dann leider nicht möglich.
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Gibt es ein Thema, wo Neos und FPÖ gleichen Sinnes sind?
Früher - als die FPÖ Proporz-Staat, Kammernzwangsmitgliedschaft und institutionalisierte Verkrustung kritisiert hat. Von wirtschaftsliberalen Positionen hat sich die FPÖ mittlerweile ja ganz entfernt. Kickl fährt einen sozialistischen Zickzackkurs.
Die ÖVP stellt ihren „Österreichplan“ vor und das Ziel, den Eingangssteuersatz zu senken.
Wer soll das denn glauben? Die ÖVP ist 37 Jahre an der Macht, noch acht Monate in der Regierung: Ich will Taten sehen. Man kann nicht Ankündigungs-King-Kong und Umsetzungszwerg sein. Schauen Sie sich an, wie verlässlich die Steuerquote gestiegen ist, seitdem die ÖVP regiert. Ich habe jahrelang gefordert, „Koste es, was es wolle“ muss aufhören, die Lohnnebenkosten müssen reduziert werden, weil klar war, dass sie in den KV-Verhandlungen zum Problem werden.
Sie können dem ÖVP-Vorstoß also nichts abgewinnen?
Es mangelt an Glaubwürdigkeit. Ich habe die Abschaffung der Kalten Progression begrüßt, die nur gekommen ist, weil wir Druck gemacht haben. Man kann nicht mit der Helikopter-Geldmaschine durchs Land gehen und sich wundern, dass die Inflation höher ist. Das geht alles auf Kosten des Wohlstands, der Wettbewerbsfähigkeit und der nächsten Generation.
Das Argument, dass wir drei Jahre lang in der Krise waren, gilt nicht?
Andere Länder haben viel früher verstanden, dass man nicht auf Pump und mit der Gießkanne regieren kann. Was hat die ÖVP getan, um die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden? Was, damit die Landesenergieversorger die Preise reduzieren? Nichts! Wir zahlen uns wie im Schildbürgerstreich gegenseitig die Stromrechnungen und die Gewinne der Landesenergieversorger landen in den Kassen der hauptsächlich ÖVP-geführten Länder.
Die Grünen sind mit in der Koalition und damit in der Verantwortung.
Wirtschaftspolitisch erwarte ich mir nichts von den Grünen.
Sprechen Sie der SPÖ auch keine Wirtschaftskompetenz zu?
Nein, derzeit wirklich nicht. Andreas Bablers Pläne von immer mehr Steuern werden uns ärmer machen.
Egal, wann wir wählen: Die Neos könnten in einer Koalition mit ÖVP und SPÖ erstmals im Bund mitregieren. Bereit?
Wir haben uns 10 Jahre darauf vorbereitet, Verantwortung zu übernehmen. Wir sind bereit, aber entscheiden wird der Wähler. Aber die Frage ist auch, ob andere bereit sind, mit uns zu arbeiten, denn ohne Reformagenda wird es nicht gehen. Da sind wir mittlerweile die einzigen, die das so ehrlich sagen.
Und die Neos bekämen das Wirtschaftsressort, nachdem Sie den anderen eben die Kompetenz abgesprochen haben.
Finanzen wäre wohl auch sehr relevant. Aber eines wird sehr klar: Wir haben einen Wirtschaftsminister, der in einem Blogbeitrag schreibt, was die nächste Regierung tun müsste. Hallo? Wenn die Zukunft so wichtig ist, dann beginnt sie heute und Kocher müsste einfach weiter arbeiten. Der Finanzminister gibt derweil Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Abends ist er in Interviews wie Maggie Thatcher, am nächsten Tag legt er wie Hugo Chavez ein Budget vor, in dem er alle Wünsche aller Ressorts erfüllt? Das geht sich nicht aus – und so deppert sind die Menschen nicht, dass sie das nicht durchschauen.
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Kein gutes Haar lassen Sie auch an Martin Polaschek.
Es ist kein Geheimnis, dass ich den Bildungsminister im Sommer gefragt habe, warum er Minister ist, außer, dass ihm das Amt gefällt. Es ist ein Jammertal, dass diese Regierung in der Bildung nichts zusammengebracht hat. Ich erinnere mich, als die Grünen noch eine bildungspolitische Kompetenz hatten. Die vermisse ich wie bei der ÖVP. Wir sind aber in der gesellschaftlichen Pflicht, allen Kindern alle Chancen zu geben.
Der neuen Lehrerausbildung können Sie auch nichts abgewinnen?
Es müsste wie in Finnland, Estland oder Singapur das Ziel sein, die Besten als Lehrerinnen und Lehrer zu finden. Stattdessen versucht man bei uns Menschen möglichst nur schnell in der Schule im Unterricht zu haben, die dann im System ausbrennen.
Jetzt wissen wir, was die anderen alles nicht können. Warum sollte man die Neos wählen?
Es liegt sehr klar auf der Hand. Wir sind die Bildungs- und Entlastungspartei. Die Steuerquote muss unter 40 Prozent kommen, die Lohnnebenkosten gehören gesenkt. Wir müssen wieder den Glauben schaffen, dass es Aufstiegschancen gibt. Dass man durch gute Ausbildung, gute Arbeit findet und sich etwas schaffen kann. Und: Neos stehen für saubere Politik und haben mit der Vision der vereinigten Staaten von Europa für die pro-europäischste Haltung aller Parteien.
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Neos stehen für saubere Politik und sind gegen die zwei U-Ausschüsse. Warum?
Neos achten das schärfste Kontrollinstrumente im Parlament und sind selbstkritisch genug zu sagen, dass wir das ein oder andere Mal nicht alles richtig gemacht haben. Aber wir wissen, was schiefläuft: Angefangen von der Inseratenkorruption, die mit Werner Faymann begann, bis hin zur Postenkorruption. Man muss die Systeme ändern! Was jetzt mit den Ausschüssen kommt ist eine reine Schlammschlacht.
Zu Europa: Sie mögen proeuropäisch sein, aber die EU steht in der Kritik.
In manchen Bereichen, wie dem Bürokratismus zu Recht! Aber wir brauchen Schlagkraft. Wir haben mit Fico in der Slowakei eine kremlsche Marionette, in Ungarn Orbán, der ein übles Spiel spielt und Vučić, der am Balkan zündelt, Le Pen in Frankreich und die AfD in Deutschland. Es könnte ein nationalistischer Kipppunkt kommen, der das gemeinsame Europa zerbombt und uns ein stückweit zum Lakaien Russlands macht.
Ein Grund, warum die Rechten so im Aufwind sind, ist die Migration. Auch die Neos haben da einen Schwenk vorgenommen.
Wenn Sie mir genau zugehört haben, dann ist es kein Schwenk. Ich habe schon als Wiener Gemeindepolitikerin die Missstände angesprochen und Lösungen mitgeliefert. Der 7.10., der terroristische Angriff auf Israelis und die Demos, die teils auch zu einem Abfeiern des Terrors auf Europas Straßen geführt haben, wird einen Wendepunkt markieren. Neos stehen für eine pluralistische Gesellschaft, doch das einende Band in einer Gesellschaft sind Verfassungspatriotismus und das Eintreten für unsere Grundwerte.
Eine strengere Migrationspolitik hat auch zur Folge, dass wir keine Willkommenskultur für jene haben, die wir am Arbeitsmarkt brauchen.
Wir sind kein attraktives Zielland, das ist die schlechte Nachricht. Laut einer OECD-Studie sind wir für die Bestausgebildeten weniger attraktiv als Ungarn. Das liegt an der fremdenfeindlichen Stimmung und der hohen Steuerlast. Deshalb brauchen wir ein geordnetes Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem.
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Die ÖVP soll laut Umfragen im zweistelligen Prozentpunktebereich verlieren, wie viel werden Sie bei der Nationalratswahl gewinnen?
Jedenfalls werden wir zulegen. Es geht aber nicht um Prozentzahlen, sondern darum einen positiven Gegenentwurf schaffen wollen – jetzt auch zu einem Kanzler Kickl. Dafür wollen das Vertrauen der Wähler erlangen.
Haben Sie den Stil geändert, um das Vertrauen zu erlangen?
Sie meinen mich? Es gab zwei Momente, die mir zu denken gaben: Michel Friedmann im Parlament und die Politologin Constanze Stelzenmüller, die beide Nietzsche zitiert haben. „Wer lange mit Ungeheuern kämpft, der mag zusehen, dass er nicht zum Ungeheuer wird“ und „Wenn Du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich“. Ja, ich bin mit Vielem überhaupt nicht einverstanden, was die Regierung macht, aber ich habe keine Feindbilder im Gegensatz zum Mitbewerb.
Wenn die ÖVP, aus der Teile der Neos kommen, die Normalen adressiert – wen sprechen Sie an?
Wir sprechen nicht nur frustrierte ÖVP-Wähler an oder wirtschaftsaffine Grüne, sondern sind vor allem eines: unabhängig von Kammern oder Bünden. Wir sind ein Angebot für alle, die sagen: So kann es nicht weitergehen.
Zu diesem Angebot gehört ab Februar auch wieder Sepp Schellhorn, der als Ihr Konkurrent gilt.
Sepp hat die Möglichkeit, das Nationalratsmandat von Julia Seidl zu übernehmen, die sich voll auf Innsbruck konzentrieren will, und ich freue mich darüber.
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