Politisches Beben in USA: "Harris lässt Trump als alten Mann dastehen"
In den USA geht es derzeit drunter und drüber. Nachdem der amtierende Präsident Joe Biden seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im November zurückgezogen hat, war der Weg frei für Vizepräsidentin Kamala Harris. Damit sind die Karten im Wahlkampf neu gemischt - auch für den republikanischen Kandidaten Donald Trump.
Die Ereignisse in den USA beschäftigen die ganze Welt. Das schreiben die internationalen Zeitungen zum Rückzug von Joe Biden bzw. zur möglichen Kandidatur von Kamala Harris am Dienstag:
De Standaard (Belgien):
"Kamala Harris ist eine starke Kandidatin. Mit ihren 59 Jahren lässt sie Trump in diesem Rennen als alten Mann dastehen. Als Frau, ehemalige Staatsanwältin und Tochter von Migranten bringt sie alle Eigenschaften Trumps zum Vorschein, auf die unentschlossene Wähler empfindlich reagieren könnten: seinen Sexismus, seine Strafverfahren und seinen Rassismus. Aber sie ist auch die von Joe Biden auserkorene Kandidatin des Establishments. Sie war mitverantwortlich für dessen Migrationspolitik - quasi das Wahlkampfgold der Republikaner - und sie wird mit Bidens Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht. Letztere wird von den Wählern - wenn auch zu Unrecht - mit Inflation assoziiert und nicht mit dem Turbo, den Biden für Wachstum, Klimaschutz und Reindustrialisierung der US-Wirtschaft gezündet hat. Nicht wenige Beobachter fordern daher im Vorfeld des Parteitags der Demokraten ein Mindestmaß an Debatte und Wahlkampf. Es könnte Harris' Legitimität durchaus stärken, wenn Gegenkandidaten sie herausfordern. Und vielleicht würde sie sich dabei tatsächlich als die Kandidatin mit den besseren Chancen gegen Trump erweisen."
Wall Street Journal (New York):
"Monatelang drehte sich bei der Wahl 2024 alles um die aufgestaute Nachfrage nach einer Präsidenten-Option, die nicht Biden, Trump oder Kennedy heißt. Die Umfragen haben stets angedeutet, dass der Hunger groß ist nach einer anderen Option, und die riesigen Spendeneinnahmen, die Vizepräsidentin Kamala Harris am Montag angekündigt hat, unterstreichen dies.
Harris und den Demokraten wird es gewiss nicht an Ressourcen mangeln, wenn sie mit der Vizepräsidentin als neuer Kandidatin auf den November zusteuern.
Mit Geld allein gewinnt man keine Wahlen. Die politische Geschichte ist übersät mit unterlegenen Kandidaten, die das beweisen. Harris wird den US-Wählern auch mehr Substanz zeigen müssen, als diese in den vergangenen Jahren von ihr gesehen haben.
Aber was für ein politischer Umbruch. Über Wochen haben die Umfragen angedeutet, dass Donald Trump in vier Monaten zum Sieg schreiten würde. Jetzt könnten die Amerikaner einen echten Wahlkampf erleben."
"Dieses Vermächtnis würde viele Präsidenten mit zwei Amtszeiten blass aussehen lassen"
Boston Globe (USA):
"Die Amerikaner haben Präsident Biden viel zu verdanken. Künftige Generationen werden sich an ihn erinnern, dass er nach den turbulenten Jahren der Trump-Regierung den Anstand ins Weiße Haus zurückbrachte, dass er die Demokratie daheim und in Übersee verteidigte, dass er eine parteiübergreifende Gesetzgebung zur Infrastruktur zuwege brachte, die in einem so gespaltenen Washington unmöglich schien, und das er die größte Anstrengung unter allen bisherigen amerikanischen Präsidenten unternahm, den Klimawandel anzugehen.
Dieses Vermächtnis, das er in nicht einmal vier Jahren erreichte, würde viele Präsidenten mit zwei Amtszeiten blass aussehen lassen. Und mit seiner Ankündigung vom Sonntag, dass er keine zweite Amtszeit anstrebt, tat Biden einen wichtigen Schritt, um dieses Vermächtnis zu sichern. Indem er aus dem Rennen ausstieg, gibt er seinen demokratischen Parteifreunden eine Kampfgelegenheit, um das Weiße Haus zu sichern, und den früheren Präsidenten Donald Trump, der versuchen würde, alles, was Biden erreicht hat, rückgängig zu machen, an der Rückkehr zur Macht zu hindern."
The Guardian (London):
"Im Gegensatz zu ihren potenziellen Konkurrenten ist Kamala Harris den Wählern vertraut, aber zugleich ist sie unpopulär. Umfragen deuten darauf hin, dass sie in einem Wettstreit mit Donald Trump zwar besser abschneidet als Joe Biden, aber Trumps knappen Vorsprung nicht wettmachen kann - und in umkämpften Bundesstaaten schlechter abschneidet. Die Republikaner verwenden bereits ihre undankbare Aufgabe, sich um Grenzfragen zu kümmern, gegen sie und werfen ihr vor, Schwächen ihres Chefs vertuscht zu haben.
Ein Wettstreit um die Nominierung birgt einige Risiken - die Demokraten wollen nicht erleben, dass ihr Kandidat durch ein zermürbendes Verfahren beschädigt wird -, aber er könnte für Aufsehen sorgen, Trump aus dem Rampenlicht verdrängen und einen starken Kandidaten für die Vizepräsidentschaft hervorbringen. Wenn sich die Delegierten auf dem Parteitag der Demokraten hinter Harris stellen, würde das ihre Kandidatur stärken. Und sollte sich ein anderer Kandidat als noch stärker erweisen, wäre das umso besser."
Warnung an Demokraten vor "Bruderkrieg"
La Vanguardia (Spanien):
"Mit (US-Präsident Joe) Biden war den Demokraten die Niederlage gewiss, mit einem anderen Kandidaten bleibt alles offen. (...) Das gescheiterte Attentat auf (Ex-Präsident und Republikaner-Kandidat Donald) Trump ist erst zehn Tage her, und die Zeit vergeht so schnell, dass nur noch das Pflaster auf seinem rechten Ohr an die Tragödie erinnert, die er erlebt hat. Obwohl er weiterhin der große Favorit ist, hat er die Wahl noch lange nicht gewonnen (...)
Es könnte nun in Trumps Interesse sein, einen gemäßigteren Wahlkampf zu führen und Angriffe auf Minderheiten zu vermeiden. Biden wurde von einigen dieser Gruppen abgelehnt, die nie für ihn gestimmt hätten, aber jetzt vielleicht eine schwarze Frau, die Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin, unterstützen werden. (...) Bleibt die Frage, ob sie als Kandidatin bestätigt wird. Harris wird von Biden selbst, von dem Ehepaar Clinton und Nancy Pelosi unterstützt. Das ist schon mal nicht schlecht. Ihre Chancen werden steigen, wenn sich diese Unterstützungen vervielfachen. Wenn sich die Demokraten aber jetzt in einen Bruderkrieg begeben, wird Trump der große Gewinner sein."
ABC (Spanien):
"Es ist eine noch nie dagewesene Situation: Der US-Präsident verzichtet aufgrund von Zweifeln über seine körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit auf eine Wiederwahl. Gleichzeitig versucht er aber, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass sein Zustand ihn in den verbleibenden sechs Monaten seiner Amtszeit nicht beeinträchtigen wird. Dieses Paradoxon macht ihn nicht nur zu einer sogenannten "lahmen Ente" - ein Begriff im politischen Jargon der USA, der einen Präsidenten beschreibt, der nicht zur Wiederwahl antritt. Noch schlimmer: Er (Biden) ist eine Figur, die die Exekutive der führenden Weltmacht belastet und schwächt. (...)
Sollte Donald Trump gewinnen, wie es alle Prognosen nahelegen, wird sich der Fehler der Demokraten als fatal erweisen und eine der Hauptursachen für die Rückkehr des Populismus ins Weiße Haus sein. Sollte es dagegen durch die Ersatzkandidatur zu einer unerwarteten Wiederbelebung kommen und sollten die Demokraten siegen, darf dieser Erfolg nicht die Reihe von Fehlentscheidungen verdecken, die es einem gebrechlichen und kränkelnden alten Mann ermöglicht haben, mit dem Schicksal einer Nation zu spielen, indem er für ein Amt kandidierte, für das er offensichtlich nicht geeignet ist."
"Harris ist keine ideale Kandidatin"
de Volkskrant (Niederlande):
"Harris ist keine ideale Kandidatin. Ihre Bewerbung um die Präsidentschaft ist vor fünf Jahren noch vor den Vorwahlen der Demokraten gestrandet. Angesichts von Mitbewerbern wie Bernie Sanders, Gretchen Whitmer, Pete Buttigieg und Joe Biden schien sie keine große Wählerschaft für sich einnehmen zu können.
Aber Vorwahlen haben eine andere Dynamik als ein Wahlkampffinale. Bei mehr oder weniger Gleichgesinnten scheint Harris nicht so richtig auf Touren zu kommen. Gegen Donald Trump könnte die Frau, die als Senatorin bei Anhörungen gezeigt hatte, dass sie es versteht, den Republikanern ordentlich einzuheizen, ihre rhetorische Schärfe wirksam zur Geltung bringen."
Neue Zürcher Zeitung (Schweiz):
"Hat Kamala Harris Chancen gegen Trump? Sie steht bezüglich (Un-)Beliebtheit gleich schlecht da wie Biden. Trump hat auch auf Harris gemäß den meisten Umfragen einen Vorsprung, aber der ist kaum signifikant. Die Demokraten müssen in einem historisch einzigartigen Experiment innerhalb von gut drei Monaten ihre Strategie auf eine neue Kandidatin ausrichten. Doch dasselbe gilt - in geringerem Maße - auch für die Republikaner. Ohnehin sind die allermeisten Stimmen ideologisch gebunden. Am Ende entscheiden über den Erfolg meist winzige Mehrheiten in besonders umkämpften Wahlkreisen in den wenigen Swing States. Harris wird es schwer haben, doch das Rennen ist offen."
Magyar Nemzet (Ungarn):
"Die Demokraten müssten nun im Prinzip einen neuen Kandidaten aufstellen und gleichzeitig mit Bidens Abgang eingestehen, dass es ein Irrtum war, den alten Präsidenten zu bitten, wieder anzutreten. (...) Der Kandidat, der an seiner Stelle einspringt, kann zwar immer noch von sich sagen, dass er nicht Donald Trump ist, muss aber auch einräumen, dass er rasend schnell ernannt wurde und eine Notlösung ist. (...)
Die Woke-Bewegung hat die Gesellschaft in Amerika mindestens ebenso sehr gespalten wie in Europa, und Kamala Harris bietet hierbei eine Menge wunder Punkte. Es ist auch nicht ganz sicher, ob die dort so wichtige finanzielle Unterstützung im Falle einer Kandidatur von Harris unbedingt so großzügig ausfallen wird. Finanziers sind Anleger, die ihr Geld in die Politik investieren und darauf vertrauen, dass der riskierte Betrag in Zukunft mit Zinsen zurückgezahlt wird. Momentan scheint es jedoch, dass Trumps Erfolg sich mehr auszahlt als jener der Demokraten."
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