Nun gibt es keinen Grund, Biden heilig zu sprechen wie es die Anhänger von Trump mit ihrem Führer tun. Aber sein Rückzug pro futuro – im Weißen Haus bleibt er ja bis zum Ende seiner Amtszeit – beweist, dass ein Politiker im Abgang viel an Würde gewinnen kann. Leider haben das die wenigsten verinnerlicht. Aufhören, wenn es am schönsten ist (oder ehe es richtig schiach wird), das kann kaum jemand. In Deutschland wird schon gespöttelt, was Olaf Scholz von Biden lernen könnte. Und in Österreich gibt es traditionell Legionen an Amtsträgern, die nicht wissen, wann es genug wird. „Versteht Er nicht, wenn eine Sache ein End’ hat?“, sagt die Marschallin im „Rosenkavalier“ zum Ochs auf Lerchenau. Nicht umsonst gilt dieses Werk als der Inbegriff einer Wiener Oper.
Wird nun also tatsächlich Kamala Harris ins Rennen gegen Trump gehen? Wahrscheinlich schon, auch wenn die definitive Entscheidung erst im August fällt und etwa Barack Obama keine klare Empfehlung abgibt und ein internes Match bevorzugt.
Hat sie eine Chance gegen den mutmaßlichen Straftäter und Aufwiegler des Sturms auf das Kapitol? Wahrscheinlich auch. Sie ist die Antithese zu Trump: Jung (also im Vergleich zu den Gerontos, sie wird im Oktober 60), weiblich, nicht weiß. Das sind auch ihre größten Trümpfe. Neben den konservativen, teils macho-mäßigen Trump-Wählern gibt es definitiv ein mächtiges Potenzial. Harris steht dem Kapital, das nicht nur die USA regiert, näher, als es die Republikaner wahrhaben wollen. Sie ist top ausgebildet und rhetorisch begabt – als Vizekandidatin von Biden hatte sie einst im TV-Duell Mike Pence argumentativ zertrümmert. Und sie ist nicht schuld an illegaler Migration, was ihr die Republikaner vorwerfen, weil sie nicht für Grenzschutz, sondern nur für diplomatische Beziehungen mit den Herkunftsländern zuständig war.
Gut möglich, dass die Amerikaner zögern, eine Frau ins Weiße Haus zu wählen, Frauen haben es ja immer schwerer. Aber jetzt wäre die Zeit dafür, mit Kamala Harris als Frontfrau die ganze Welt weiblicher zu machen. Es ginge uns allen, egal welchen Geschlechts, vermutlich besser.
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