Bidens Bilanz: Er hat Trump besiegt, aber nicht den Trumpismus
Er war 17 Jahre alt, als er auf die Frage nach seinem Berufswunsch antwortete: „Ich will Präsident der USA werden.“ Mehr als sechs Jahrzehnte danach war es dann tatsächlich so weit: Joe Biden, Sohn aus einer mittelständischen Familie im nordwestlichen US-Bundesstaat Delaware, zog 2020 ins Weiße Haus ein.
Kindheit
Joe Biden wird am 20. November 1942 in Scranton, Pennsylvania in eine typische, weiße Ostküsten-Familie irischer Abstammung geboren. Als er zehn Jahre alt ist, zieht die Familie nach Delaware; der Bundesstaat wird fortan Bidens politische Heimat.
Senator mit 31
Mit nur 31 Jahren zieht der studierte Verfassungsjurist für Delaware in den US-Senat ein. Doch die Polit-Karriere beginnt mit einer privaten Tragödie: Bidens erste Frau und Jugendliebe Neilia stirbt bei einem Autounfall, ebenso wie die gemeinsame Tochter Naomi. Die beiden Söhne Beau und Hunter überleben verletzt, Joe Biden legt seinen Eid als Senator deshalb 1973 an deren Krankenbett ab.
Herzensthema: Außenpolitik
Im Senat wird Biden zu einer außenpolitischen Größe und steht jahrelang dessen außenpolitischen Ausschuss vor. Hier ist er 1993 während der Jugoslawien-Kriege bei einem Besuch in Sarajewo zu sehen, wo er den Serbenführer Slobodan Milošević früh als Kriegsverbrecher bezeichnete.
... und Republikanern
Biden gilt auch überparteilich als jemand, der immer für Verhandlungen und Kompromisse bereit ist. Selbst unter republikanischen Präsidenten wie George W. Bush (links) können sich Biden und andere moderate Demokraten auf Gesetze einigen.
"Bromance"
Zunächst soll das Verhältnis der beiden professionell, aber kühl gewesen sein. Im Verlaufe der nächsten acht Jahre entwickelte sich zwischen Biden und Obama jedoch eine echte "Bromance", also Männerfreundschaft, wie Obama mehrfach erklärte.
Vor allem 2015, als Biden durch den Tod seines Sohnes Beau (Hirntumor) einen weiteren Schicksalsschlag erlitt, soll der damalige Präsident ihn in unerwarteter Weise unterstützt haben. Als Obama Biden kurz vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit eine Ehrmedaille überreicht, kommen diesem die Tränen.
Einflussreich bei Demokraten ...
Biden gewinnt über die Jahre an Einfluss, gilt als moderater Demokrat. 1987 versucht er erstmals, im Vorwahlkampf zum Spitzenkandidat seiner Partei gewählt zu werden, scheitert aber an Michael Dukakis. Später berät Biden laufend demokratische Präsidenten, hier etwa Bill Clinton (rechts).
Vizepräsident
... Barack Obama, der die Partei mit seinem Charisma schon relativ früh hinter sich vereint, mit 47 Jahren jedoch vergleichsweise unerfahren ist. Um das auszugleichen, nominiert Obama den deutlich erfahreneren, moderateren Biden als Vizepräsidentschaftskandidaten.
Ambitionen auf das Präsidentenamt
2008 ist Joe Biden einer der einflussreichsten Demokraten, mit 66 Jahren aber bereits nicht mehr der Jüngste. Er versucht sich trotzdem noch einmal im innerparteilichen Vorwahlkampf, zieht sich aber frühzeitig zurück - zugunsten von ...
Endlich am Ziel
Am 20. Jänner 2021 wird Joe Biden vor dem Kapitol vereidigt und steht damit auf dem Gipfel seiner Karriere. Zwei Wochen zuvor hatten Hunderte gewalttätige Anhänger Trumps das Gebäude noch gestürmt, um Bidens Wahlsieg zu verhindern.
Seine Präsidentschaft ist innenpolitisch von den Nachwirkungen der Covid-Pandemie geprägt, außenpolitisch von Russlands Invasion in der Ukraine, der neuerlichen Eskalation im Nahen Osten und dem schwelenden Großmacht-Konflikt mit der Volksrepublik China. Vor allem Bidens außenpolitische Erfahrung macht sich in diesen Zeiten bezahlt.
Erzfeind Trump
Der Wahlkampf gegen den amtierenden Präsidenten Donald Trump wird erwartet hart. In etlichen TV-Duellen krachen die beiden aneinander, der nur vier Jahre jüngere Trump attackiert dabei ständig Bidens Alter. Doch der Demokrat hält sich wacker, gewinnt letztlich die Wahl - und ist endlich am Ziel.
Der Fall
Am 27. Juni besiegelt Biden im ersten TV-Duell sein Schicksal: Beim CNN-Auftritt wirkt der Präsident fahrig und verwirrt, verliert immer wieder den Faden, spricht mit schwacher Stimme und hat Trump schlicht nichts entgegenzusetzen. Seine bisher unangefochtene Kandidatur gerät schlagartig ins Wanken.
Biden schmeißt hin
Nach drei Wochen voller interner und öffentlicher Debatten um seine geistige und körperliche Fitness gibt Biden am 21. Juli bekannt, dass er seine Kandidatur für die US-Wahl 2024 zurückziehen und fortan seine Vizepräsidentin Kamala Harris unterstützen wird.
Endlich Spitzenkandidat
2016 will Biden erneut antreten, wird im Vorwahlkampf allerdings erneut übergangen, diesmal zugunsten von Ex-Außenministerin Hillary Clinton. Diese verliert anschließend die Wahl gegen Donald Trump - 2020 setzen die Demokraten deshalb schließlich auf Biden, der mit Kamala Harris zum ersten Mal eine schwarze Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin nominiert.
Fünf Monate noch Präsident
Biden bleibt damit noch bis nach der Wahl US-Präsident, von seiner engsten Familie - von links: Tochter Ashley, Ehefrau Jill und Sohn Hunter Biden - erhält er für seine Entscheidung Unterstützung.
Doch ein weiteres Mal bleibt dem mittlerweile 81-Jährigen Präsidenten verwehrt. Sonntagabend gab er bekannt, dass er seine Kandidatur zurückzieht und stattdessen seine Stellvertreterin Kamala Harris empfiehlt. Sie soll statt ihn in den Wahlkampf gegen Donald Trump ziehen – gegen einen Gegner, den Biden zwar schon einmal geschlagen hat.
Doch für ein zweites Duell reicht seine Kraft nicht mehr, das Alter hat dem körperlich angeschlagenen Präsidenten einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Wer ist der Mann, der Trump schlagen konnte, aber nicht den Trumpismus? Was hinterlässt der in vielerlei ungewöhnliche Politiker, der schon vor 35 Jahren das erste Mal versucht hatte, Präsident zu werden – und dabei schwer auf die Nase fiel?
Viele Schicksalsschläge
„Wenn man dich zu Boden schlägt, musste du wieder aufstehn“, lautet Bidens Leitspruch. Die vielen Schicksalsschläge durch sein Leben boten ausreichend Gelegenheit dafür. Noch nicht einmal 30 Jahre alt, und kurz vor seinem ersten beruflichen politischen Höhepunkt, rammt ein LKW das Auto seiner Familie. Darin starben sei Frau und seine einjährige Tochter, seine beiden Söhne Hunter und Beau wurden schwer verletzt.
Oft habe er während dieser Zeit an Selbstmord gedacht, schilderte er später. Doch den Beschluss, den Senatssitz in Delaware anzunehmen, fasste der junge Witwer noch am Krankenbett seiner Söhne. Mehr als 30 Jahre lang bleibt Biden daraufhin im US-Kongress, wird immer einflussreicher, kämpft sich allmählich in die höheren Ränge der Demokratischen Partei, findet neues Glück mit seiner zweiten Frau Jill.
Mehrmals versucht er, sich als Präsidentschaftskandidat zu positionieren, scheitert aber immer wieder, zuletzt 2016, als ihm signalisiert wird: Hillary Clinton sei die eindeutig bessere Kandidatin, die den damaligen Außenseiter-Gegner Donald Trump locker schlagen könne. Kurz zuvor war zudem sein Sohn Beau an einem Gehirntumor gestorben – ein Schlag, der den begeisterten Familienmenschen ins Mark erschüttert.
Als Vize-Präsident von Barack Obama gewann Biden neu an politischer Statur, konnte erstmals seine große politische Erfahrung und seine eigentliche Stärke ausspielen: Das Kompromisse schmieden, das Brücken bauen zu den Republikanern, das Deals Aushandeln.
Damit aber ist es seit der Ära Trump vorbei. An der kompromisslosen Haltung der Hardcore-Republikaner, die sich nunmehr wie eine Mauer hinter dem Ex-Präsidenten scharen, zerschellen alle Annäherungsversuche. Nur mit allergrößter Mühe konnte Biden die nötigen Hilfsmilliarden für die Ukraine loseisen, ohne die Kiew den Krieg gegen Russland sofort verlieren würde.
Fehleinschätzungen
Joe Biden, von dem seine Mitarbeiter sagen, es sei „unmöglich, ihn nicht gern zu haben“, gilt als bodenständig und selbstironisch. Doch vor Fehleinschätzungen ist auch er nicht gefeit – vor jener etwa, dass er als 81-jähriger, gebrechlich wirkender Politiker noch immer den auf Krawall und Kampf gebürsteten Trump schlagen könne.
Eine schwere Fehleinschätzung war auch der Rückzug des US-Militärs aus Afghanistan. Den hatte zwar sein Vorgänger Trump eingeleitet, doch dass sofort die Taliban die Macht übernahmen, gilt als eine Folge fehl geleiteter Kalkulationen im Weißen Haus. Das Chaos bei Amerikas Abzug wirkte wie Zeichen amerikanischer Schwäche und Machtlosigkeit – und wurde Biden schwer angelastet.
Auch die Tatsache, dass derzeit monatlich bis zu 300.000 Migranten illegal über die Grenze in die USA kommen, wird dem Präsidenten übelgenommen. Alle Pläne, den Zuzug einzugrenzen, schlugen in der Ära Biden fehl – sämtliche Städte der USA stöhnen bereits über einen Zustrom, den sie nicht mehr bewältigen können.
Andererseits punktete Biden mit großen Erfolgen: Biden kann sich als der Präsident feiern lassen, der die Arbeitslosigkeit auf eine Rate von rund 3 Prozent gesenkt hat, mehr als eine halbe Million Jobs wurden seit 2020 geschaffen.
Mit dem „Inflation Reductions Act“ schuf er zudem ein billionenschweres Ausgabenprogramm, das die Wirtschaft nach der Coronakrise erneut ankurbelte, klimafreundliche Energiegewinnung anstieß und die marode Infrastruktur erneuerte.
Im Gegensatz zu Europa blieb den USA so eine Rezession erspart, doch bei den meisten Amerikanern kamen die guten makroökonomischen Daten nie im Alltag an. Viele spürten nur die gestiegenen Preise, in einigen Bundesstaaten schnellte die Inflation zumindest kurzfristig auf bis zu 20 Prozent hinauf.
Vor allem die Sorge vor der weiteren, ungebremsten Zuwanderung und die hohe Preise trieben zuletzt Donald Trump zusätzlich Wähler in die Arme. Denn dass der 81-jährige Joe Biden noch einmal die Kraft haben würde, in den nächsten vier Jahren noch einmal das Ruder herumzureißen, das bezweifelte sogar Viele jener, die Biden bisher für einen der "besten Präsidenten der USA" gehalten haben.
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