Rückzug in Isolation: Wie Biden und sein Team die Entscheidung trafen
Es lässt sich ziemlich genau rekonstruieren, wie und mit wem der US-Präsident seinen Rückzug als Kandidat vorbereitete. Den Großteil seines Stabs informierte er nur eine Minute vor der Öffentlichkeit.
Das Ende nahm seinen Anfang, als Chuck Schumer sich vor einer Woche auf den Weg in den beschaulichen Strandort Rehoboth Beach machte. Wenn der Sprecher der Demokraten im US-Senat dem Präsidenten schon eine Hiobsbotschaft überbringen musste, dann wollte er das wenigstens persönlich tun.
Hier, an der Ostküste des Bundesstaats Delaware, hatte sich Joe Biden mit First Lady Jill in ihr gemeinsames Ferienhaus zurückgezogen, um seine Gedanken zu sortieren.
Die letzten Wochen seit dem verheerenden TV-Duell gegen Donald Trump am 27. Juni hatten Biden viel Kraft gekostet. In Washington werden in der Zwischenzeit die sprichwörtlichen Messer gewetzt.
Ein Überblick über die wichtigsten Gespräche der letzten Tage, die Biden dazu bewegt haben sollen, sich in der Einsamkeit der Covid-Isolation aus dem Wahlkampf zurückzuziehen:
Samstag, 13. Juli: Biden erfährt erstmals persönlich, dass die Partei seinen Rückzug wünscht
Als Schumer das Haus der Bidens betrat, soll er gesagt haben: "Joe, ich bin heute hier, weil ich dein Freund bin." Bei einem Vier-Augen-Gespräch konnte Schumer seinen Parteivorsitzenden trotzdem nicht schonen. Rund 35 Minuten lang legte er Biden offen, dass sich die wichtigsten Köpfe der Demokraten seinen Rücktritt als Spitzenkandidat wünschen.
"Das ist nicht mehr einzufangen, Joe", soll Schumer den New York Times zufolge gesagt haben. Biden wollte das jedoch nicht wahrhaben: "Ich brauche noch eine Woche." Der 73-Jährige Schumer entgegnete: "Ich erwarte nicht, dass du dich sofort entscheidest, aber ich hoffe, dass du ernsthaft darüber nachdenken wirst." Zum Abschied umarmten sich die langjährigen Parteifreunde.
Mittwoch, 17. Juli: Biden ist krank, isoliert und fühlt sich hintergangen
Zwei Tage später, am Mittwoch der vergangenen Woche, erkrankte Biden an Covid und musste sich damit länger als geplant im Ferienhaus isolieren. In dieser Zeit soll er seinen Stab gebeten haben, führende Demokraten anzurufen: Die ehemalige Sprecherin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, ihren Nachfolger Hakeem Jeffries und sogar Bidens langjährigen Vertrauten, Ex-Präsident Barack Obama.
Niemand von ihnen ließ sich darauf ein, Biden öffentlich das Vertrauen auszusprechen, was den Präsidenten tief getroffen haben soll. Er habe sich in diesen entscheidenden Tagen einsam und verraten gefühlt, heißt es, und gegenüber seinen Beratern von einem "orchestrierten Komplott" gesprochen. Vor allem von Obama habe er sich Unterstützung erhofft.
Samstag, 20. Juli: Biden bereitet den Rückzug mit zwei Vertrauten vor
Am Samstagvormittag tätigte Biden dann aus der Isolation heraus den entscheidenden Anruf. Er meldete sich bei Steve Ricchetti, einem seiner engsten Berater, und sagte mit heiserer Stimme: "Ich brauche dich und Mike noch heute im Haus."
Ricchetti informierte sofort Bidens Chefstrategisten und langjährigen Redenschreiber Mike Donilon. Gemeinsam machten sich die beiden von Washington aus auf nach Delaware und kamen am Nachmittag in Rehoboth Beach an. Mit Mund-Nasen-Schutz begaben sie sich in das Quarantäne-Stockwerk des kranken Präsidenten.
Bis spät in die Nacht wogen die drei Männer alle Möglichkeiten für das weitere Vorgehen ab - und formulierten bereits die schriftliche Erklärung aus, die Biden letztlich am Folgetag auf X posten sollte. Eine Fernsehansprache, die in solchen Fällen üblich wäre, schloss er aus - mit seiner Covid-Erkrankung und der heiseren Stimme wollte er nicht erneut in der Öffentlichkeit fragil wirken.
Biden erklärte, noch eine Nacht über die Entscheidung schlafen und mit seiner engsten Familie darüber sprechen zu wollen, wie er es bei wichtigen Entscheidungen immer tue. Die drei Männer vereinbarten absolutes Stillschweigen, niemand sonst aus Bidens Stab wurde informiert, damit nichts zu den Medien durchdringen konnte, wie das in den Wochen zuvor häufig der Fall war.
Sonntag 21. Juli: Bidens Stabsmitarbeiter erfahren erst eine Minute vorher von seinem Rückzug
Mit seinem Sohn Hunter, seiner Tochter Ashley und First Lady Jill Biden beriet sich der Präsident am folgenden Vormittag - die Familie kam dabei zum gleichen Ergebnis. Im Anschluss rief Biden Vizepräsidentin Kamala Harris an und informierte sie darüber, dass er sich aus dem Rennen ums Weiße Haus zurückziehen werde. Ob er ihr auch bereits erzählte, dass er ihre Kandidatur unterstützen werde, ist nicht überliefert, aber sehr wahrscheinlich.
Um die Mittagszeit informierte Biden seinen Stabschef Jeff Zients und seine Wahlkampfleiterin Jen O'Malley Dillon. Die beiden setzten eine Videokonferenz mit einer Handvoll ausgewählter Stabsmitarbeiter für 13:45 Uhr an, in der Biden seine schriftliche Erklärung selbst vorlas - nur eine Minute, bevor er sie auf X mit dem Rest der Welt teilte.
Selbst seine Kommunikations-Chefin Anita Dunn erfuhr erst zu diesem Zeitpunkt davon, dass der Präsident sich aus dem Wahlkampf zurückziehen würde.
Um 13:46 veröffentlichte Biden das Statement auf seinem X-Account. Während die restlichen Kampagnenmitarbeiter sowie die Belegschaft im Weißen Haus also gleichzeitig mit der Öffentlichkeit von Bidens Entscheidung erfuhren, rief der Präsident noch seine Regierungsmitglieder zu einer weiteren Zoom-Konferenz zusammen, in der er sich erklärte und ihnen für ihre Arbeit dankte.
Als das Meeting gegen 14:30 Uhr beendet war, war in der Öffentlichkeit bereits der mediale Sturm ausgebrochen.
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