In der Erdbebenregion Tibet betreibt China mehr als 200 Staudämme. Nun soll auch noch ein Damm für das größte Kraftwerk der Welt errichtet werden
25.01.25, 05:00
Von Sarah Helena Schäfer
Die Bilder gingen vor Kurzem um die Welt: Eingestürzte Häuser; Einsatzkräfte und Spürhunde, die in den Trümmern nach Überlebenden suchen. Ein schweres Erdbeben hatte in der ersten Jännerwoche die tibetische Region Tingri erschüttert, es kostete mindestens 126 Menschen das Leben.
Ungefähr 3.600 Häuser wurden Schätzungen zufolge zerstört, rund 50.000 Menschen mussten bei eisigen Minusgraden evakuiert werden. Das Epizentrum des Bebens befand sich in der Nähe des Mount Everest im Himalaja, mit einer Stärke von 7,1 hatte es auch Auswirkungen auf die umliegenden Länder Nepal, Indien und Bhutan.
Doch das Beben ist mehr als eine Naturkatastrophe. Vielmehr ist es die Folge einer riskanten Umweltpolitik der chinesischen Regierung, deren Mega-Staudammprojekte die Region seit Jahren belasten. Das hat nicht nur Auswirkungen auf Asien, sondern auch auf den Westen.
Tibet ist der Quell aller großen asiatischen Flüsse
Die tibetische Hochebene liegt etwa 4.500 Meter über dem Meeresspiegel und ist auch als "Dach der Welt" bekannt. Sie beherbergt die Quellen der wichtigsten Flüsse, die für die Wasserversorgung von fast zwei Milliarden Menschen in Asien sorgen: Der Jangtse, der Gelbe Fluss, der Indus, der Mekong und der Brahmaputra.
Mit mehr als 200 Staudämmen entsteht in der tibetischen Hochebene der Großteil der chinesischen Wasserkraft. Die Folgen für die Umwelt sind gravierend.
Seit dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 steht Tibet unter chinesischer Kontrolle - tibetische Aktivisten sprechen von militärischer Besatzung. Die ergiebigen Flüsse nutzt China für den Bau von großen Staudämmen, derzeit gibt es davon fast 200.
Das Problem dabei: Tibet ist extrem anfällig für Erdbeben, weil dort die eurasische und die indische Erdplatte aufeinanderprallen. Erdbeben in der Nähe von Stauseen aber können fatale Folgen haben: Die Wassermassen drücken mit hunderten Millionen Tonnen auf den Untergrund. Das kann eine Kettenreaktion auslösen: Dämme brechen bei einem Beben und reißen die nächsten mit.
Laut chinesischen Behörden wurden alleine durch das Erdbeben in Tingri vier Staubecken beschädigt. Nähere Informationen gibt es nicht, unabhängige Berichterstattung aus Tibet zu bekommen, ist angesichts der strengen staatlichen Kontrolle nahezu unmöglich.
Der Staatssender CCTV berichtete, dass es seit 2019 im Umkreis von 200 Kilometern um das aktuelle Bebenzentrum in Shigatse 29 Erdbeben mit einer Stärke von 3 oder mehr auf der Richter-Skala gegeben habe.
China baut - schon wieder - den größten Staudamm der Welt
Die Chinas riskante Energiepolitik in Tibet hat somit direkte Auswirkungen auf umliegende Länder. Dort wächst die Sorge vor weiteren Mammut-Projekten wie dem geplanten Medog-Staudamm an der Grenze zu Indien: Es soll das größte Staudammprojekt der Welt werden - dreimal so viel Strom wie beim Drei-Schluchten-Damm, dem jetzigen globalen Vorreiter, will man hier künftig produzieren. Mit mehr als einer Billion Yuan, umgerechnet über 130 Milliarden Euro, wäre der Staudamm eines der teuersten Bauprojekte aller Zeiten. Die Baugenehmigung wurde bereits erteilt.
Der Drei-Schluchten-Staudamm ist das leistungsstärkste Wasserkraftwerk der Welt. Der dadurch entstandene Stausee erstreckt sich mehr als 650 Kilometer weit. In Tibet will die chinesische Regierung mit dem Medog-Damm ein dreimal so starkes Kraftwerk errichten.
Die Kommunistische Partei stellt ihre Tibet-Politik nach außen immer wieder als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte dar. So soll auch der Bau des Medog-Staudamms ein wichtiger Baustein bei der Umstellung auf nachhaltige Energiequellen sein. Menschenrechtler hingegen kritisieren, dass das vor allem auf Kosten des tibetischen Volkes gehe.
„Diese riesigen Dämme sind nicht für die Tibeter gedacht", kritisiert etwa die Umweltforscherin Lobsang Yangtso vom International Tibet Network. Vielmehr unterstrichen sie Chinas koloniale Mentalität, da der erzeugte Strom vor allem dem dichtbesiedelten Rest der Volksrepublik dienen solle.
Für die Bauvorhaben würden Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt, wie etwa im osttibetischen Derge, wo im Februar 2024 rund 1.000 Tibeter festgenommen wurden, weil sie gegen den geplanten Gangtuo-Staudamm protestierten. Damit seien die chinesischen Staudammprojekte Teil dessen, was Menschenrechtler als "Politik der kulturellen Auslöschung" in Tibet bezeichnen.
Pekings Kontrolle über Tibets Wasserressourcen könnten zudem weitreichende Folgen in der Destabilisierung Asiens haben. Experten wie der indische Geostratege Brahma Chellaney warnen schon jetzt vor drohenden Wasserkriegen in der Zukunft. Gerade mit dem Voranschreiten des Klimawandels wird Wasser zunehmend zu einer umstrittenen Ressource.
Die International Campaign for Tibet (ICT) sieht deshalb auch Länder wie Österreich in der Verantwortung zu handeln.
"Die internationale Öffentlichkeit muss die chinesische Regierung auffordern, die massiven Staudammprojekte in Tibet zu stoppen", sagt Kai Müller, Geschäftsführer der ICT in Deutschland: "Staaten dürfen nicht auf die Klimarhetorik der Kommunistischen Partei hereinfallen. Was in Tibet geschieht, ist weder nachhaltig noch klimafreundlich."
(kurier.at, jar)
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Aktualisiert am 26.01.2025, 05:00
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