Uigurin im Exil: "Die ganze Welt finanziert diese Verbrechen mit"
Vor mehr als neun Jahren hat Jewher Ilham ihren Vater Ilham Tohti zum letzten Mal gesehen. Als Regimekritiker und bekannter Ökonom war er schon damals eines der öffentlichen Gesichter der muslimischen Minderheit der Uiguren. Am 2. Februar 2013 wurde er am Flughafen Peking verhaftet, als er mit Jewher gerade in die USA reisen wollte.
Sie bestieg auf Drängen ihres Vaters das Flugzeug allein – und kam mit 18 Jahren in den Vereinigten Staaten an, ohne große Englischkenntnisse. Heute reist die 27-Jährige durch die Welt, hat zwei Bücher über ihre Flucht und die Suche nach ihrem Vater geschrieben und arbeitet als Aktivistin gegen Zwangsarbeit.
Ob ihr Vater noch lebt, weiß Jewher nicht. Er sitzt eine lebenslange Haftstrafe in der Uiguren-Region Xinjiang ab. Mehr als eine Million Menschen hält China dort laut UN in sogenannten „Umerziehungslagern“ gefangen, unterstellt ihnen islamischen Extremismus und Nationalismus – ihnen eine Stimme zu geben, ist Jewher Ilhams Lebensaufgabe.
Mit dem KURIER sprach Ilham über Unterdrückung, die Suche nach ihrem Vater und die Mitschuld des Westens.
Die Uiguren
sind ein zentralasiatisches Volk, das seit dem 8. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Xinjiang lebt. Sie sind mehrheitlich Muslime und ihre Sprache, Uigurisch, ist mit dem Türkischen verwandt
Wie damals in Tibet
Seit 2014 geht Peking hart gegen die Uiguren vor: Man wirft ihnen religiösen Extremismus und Unabhängigkeitsbestrebungen vor, ähnlich wie Tibet seit Jahrzehnten. Lange war nicht bekannt, wie massiv die Repressionen sind: Erst 2018 berichtete der deutsche Forscher Adrian Zenz erstmals von Umerziehungslagern, von Zwangsarbeit und Folter. Im März wurden neue Daten und Fotos aus den Lagern veröffentlicht, sie belegen die Haft und Folter von mehr als 2.000 Uiguren – in nur einem einzigen der 61 Bezirke Xinjiangs
Der Westen macht mit
Viele Firmen beziehen Produkte, die von uigurischen Zwangsarbeitern produziert werden – beschuldigt wurden etwa Zara, Uniqlo oder Skechers. Volkswagen hat eine Fabrik in Xinjiang, das Gros des globalen Bedarfs an Baumwolle und Polysilicium, das für Solarpanels benötigt wird, kommt von dort
KURIER: Die Verfolgung der Uiguren ist im Westen erst seit 2018 präsent, als erstmals über die Umerziehungslager berichtet wurde. Seit wann erleben Sie die Verfolgung durch das Regime?
Ilham: China unterdrückt unser Volk schon, seit es die Region erstmals besetzt hat. Etwa ab 2014 wurde begonnen, härter gegen intellektuelle Uiguren vorzugehen. Das war nicht allzu lange, nachdem Präsident Xi Jinping die Region besucht hat – und nachdem mein Vater inhaftiert wurde. Etwa ab 2016 wurden Hunderte Schulen und Krankenhäuser in Gefängnisse und „Umerziehungslager“ umgebaut. Da hat es begonnen, dass die Straßen leerer wurden.
Ihr Vater sitzt seit acht Jahren in Haft. Wissen Sie, wo – und wie es ihm geht?
Ich weiß nur, dass er 2017 noch in einem Gefängnis in der Uiguren-Hauptstadt Ürümqi saß, gemeinsam mit anderen prominenten politischen Gefangenen. Ich weiß nicht, ob er immer noch dort ist oder ob er überhaupt noch lebt. Aber ich hoffe es.
Es gibt Beweise für mehr als 380 „Umerziehungslager“ in Xinjiang. Funktionieren die alle gleich?
Nein, es gibt unterschiedliche Arten von Gefängnissen. Es gibt die „Umerziehungslager“, wo die Gefangenen gezwungen werden, Mandarin zu lernen und den ganzen Tag lang kommunistischer Propaganda ausgesetzt sind. Wer sich fügt, wird vielleicht irgendwann entlassen, meist aber zu Zwangsarbeit in Fabriken verpflichtet. Wer sich weigert, wird härter gefoltert. Die meisten überleben das nicht.
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