Horrorprognose in US-Wahlkampf: Bis zu 3.000 Corona-Tote pro Tag

Rund 70.000 US-Einwohner sind bereits an Covid-19 gestorben (im Bild New York)
Geleakte Berechnungen staatlicher Behörden kommen für Trump zur Unzeit - will er doch das Land hochfahren. Das Weiße Haus kalmiert.

Der Kontrast konnte größer nicht sein. Erst diktiert Donald Trump seiner ihn regelmäßig feiernden Heimatpostille New York Post, dass sich seine Landsleute in der Coronavirus-Krise allmählich wieder „gut fühlen“ könnten und „großer Optimismus“ herrsche. Kurz darauf sickert durch die publizistisch relevantere New York Times eine noch unfertige Studie der für Seuchen- und Katastrophenschutz zuständigen Staatsbehörden CDC und Fema durch: Amerika stünden Horrorzahlen ins Haus.

Bis Anfang Juni, so haben Wissenschafter um Prof. Justin Lessler von der Johns Hopkins Universität in Baltimore ermittelt, könnte die Zahl der Infizierten im schlimmsten Fall auf 200.000 steigen – pro Tag. Ebenfalls bis dahin sei mit 3.000 Toten zu rechnen – im 24-Stunden-Takt.

"Nicht unter Kontrolle"

Derzeit werden im Schnitt 30.000 Neu-Infektionen pro Tag gezählt. Die Todesopferzahl lag zuletzt bei rund 1.500 binnen 24 Stunden. Insgesamt verzeichnen die USA aktuell 1,2 Millionen Infizierte und bereits mehr als 70.000 Tote. Das ging am Dienstag (Ortszeit) aus den Daten der Universität Johns Hopkins in Baltimore hervor.

Horrorprognose in US-Wahlkampf: Bis zu 3.000 Corona-Tote pro Tag

In New York diente ein Militärschiff als mobiles Krankenhaus

Für das Weiße Haus, das die Aufhebung von Restriktionen in den 50 Bundesstaaten propagiert, um die eingebrochene Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, sind die neuen Prognosen pures Gift und setzen Fragezeichen hinter das Erwartungsmanagement des Präsidenten.

„Die Rückkehr zur Normalität kann nicht funktionieren, wenn die Menschen das Gefühl gewinnen, das Virus ist nicht unter Kontrolle zu bringen“, sagten Analysten im US-Fernsehen.

Die Prognosen spiegelten nicht den Erkenntnisstand der Regierung wider, sagte Judd Deere namens des Weißen Hauses. Das ihr zuarbeitende Institut für Gesundheitsmessgrößen der Universität Washington (IHME) sagt bis Anfang August 135.000 Tote voraus. Mitte April hatten die Forscher bis zu dem Zeitpunkt „bloß“ 60.300 Opfer prognostiziert.

Als Grund für die Korrektur nach oben gibt IHME-Direktor Christopher Murray zwei Faktoren an, die Trump Sorgen bereiten müssen: Steigende Mobilität und die Aufgabe der Prinzipien der „sozialen Distanzierung“ (Schutzmasken, Zurückhaltungen beim Ausgehen, Abstand halten etc.) beförderten die Verbreitung des Virus. Zumal dann, wenn auf Drängen des Weißen Hauses inzwischen 31 von 50 Bundesstaaten Ausgehverbote ganz oder teilweise aufgehoben haben.

Gefahr im Mittleren Westen und im Süden

Hier birgt ein Detail Brisanz: Die wenigsten Gouverneure erfüllen die von Trumps Experten empfohlene Grundvoraussetzung: Bevor Restriktionen gelockert werden, müssen die Zahlen bei Infektionen und Toten über 14 Tage konstant zurückgegangen sein.

Besonders verschlimmern könnte sich die Situation im Mittleren Westen und im Süden der USA. Bereits heute herrscht hier große Unruhe. In einigen Regionen haben sich Fleischfabriken, Großgefängnisse und Altersheime zu den gefährlichsten „Petri-Schalen“ für die Verbreitung des Virus entwickelt.

Wie die Seuchenschützer der CDC mitteilen, sind 5.000 Mitarbeiter in rund 120 Fleischfabriken infiziert. Fast 20 Betriebe mussten geschlossen werden. Engpässe bei der Versorgung in Supermärkten sind die Folge.

Landkreise in Indiana, Nebraska oder Ohio haben pro Kopf längst mehr Corona-Fälle als New York City. Sollte sich das Virus in „rural America“ ausbreiten, so hatte Trumps Chefberater Anthony Fauci vor Wochen gesagt, drohe dem Gesundheitswesen eine Katastrophe. Hintergrund: Da, wo es ländlich ist, hat medizinische Infrastruktur immer schon gefehlt – oder ist weggespart worden. In finanzschwächeren Bundesstaaten ist zudem der Anteil von Menschen ohne Krankenversicherung höher. Sie gehen erfahrungsgemäß aus Angst vor hohen Einzelfallkosten seltener zum Arzt.

Zahlen-Glaubensstreit

Offen ist die Frage, ob der Zahlen-Wirrwarr Trump bei der Wahl am 3. November schadet. Die aktuelle Faktenlage ist folgende: Laut einer Erhebungen des Nachrichten-Portals Axios hält nur ein Drittel den täglich kommunizierten Stand von Infizierten und Toten für glaubwürdig.

Zwei Drittel der demokratischen Wähler vermuten, dass die echten Zahlen höher seien. Umgekehrt glauben 40 Prozent der republikanischen Wähler, die wahren Zahlen seien viel niedriger.

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