Bevor Donald Trump heute, Dienstag, bei der Firma Honeywell in Phoenix, Arizona, aufschlägt, wo statt Luftfahrt-Equipment neuerdings auch Spezialschutzmasken gegen das Coronavirus gefertigt werden, kommt er an ein paar für den US-Präsidenten unerquicklichen Zahlen nicht vorbei.
In sechs Monaten (am 3. November) wird in Amerika gewählt, in dem umkämpften Südstaat, den er gewinnen muss, liegt der Amtsinhaber in Umfragen mit 44 Prozent rund vier Prozentpunkte hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden zurück. Landesweit beträgt der Abstand im Mittelwert sogar 5,3 Prozent.
Weil das Virus bei Weitem nicht unter Kontrolle ist, gilt in Arizona bis mindestens Mitte Mai eine strenge "Leute-bleibt-zu-Hause-Regel". Gouverneur Doug Ducey, wie Trump Republikaner, kann darum eigentlich gar keinen Besuch von auswärts gebrauchen. Aber wer wäre er, den ersten Wahlkampf-Auftritt des Präsidenten zu vermiesen?
Was Arizona ins Haus steht, ist ein wohl dünnhäutiger Commander-in-Chief, dem schleichend die Felle davonzuschwimmen drohen. Der Grund: Corona und sein Krisen-Management, von dem selbst Trump sagt, dass es am 3. November einzig und allein über Sieg oder Niederlage entscheiden werde.
70.000 Tote
In dieser Woche wird die Zahl der Todesopfer in den USA die 70.000er-Grenze erreichen. Die Zahl der Infizierten liegt jetzt schon bei rund 1,1 Millionen. 30 Millionen Arbeitslose stehen zu Buche. Weil die Behörden personell und technisch überfordert sind, hängen nach Angaben von Regierungsinsidern Hunderttausende in der Warteschleife.
Im Sommer, so erwartet es Trumps Wirtschaftsberater Kevin Hassett, wird die Arbeitslosenquote die 20-Prozent-Hürde genommen haben. Dass Amerika in die tiefste Rezession seit 2008 rutscht, gilt für ihn als ausgemacht.
Die gute Konjunktur, die Trump von Vorgänger Obama geerbt und erheblich ausgebaut hat, ist damit binnen weniger Monate atomisiert worden. Der staatliche Akut-Reparaturbetrieb – bisher wurden rund 3.000 Milliarden Dollar Soforthilfe für Unternehmen und Otto Normalverbraucher genehmigt – stottert, weil die Hilfen noch nicht oder zum Teil an die Falschen ausgezahlt worden sind. Konsequenz: 37 Prozent der Amerikaner sehen ihr Land auf dem falschen Kurs.
Schwindender Rückhalt
"Gelingt Trump keine Schubumkehr", wobei ein Impfstoff der entscheidende Faktor sein wird, "schwinden seine Chancen auf Wiederwahl", sagen Analysten. Und stützten sich dabei auf Versatzstücke aus den Tiefen diverser Umfragen. Danach ist Trumps Rückhalt in den sogenannten "Battleground"-States, wo die Wahl vermutlich entschieden wird, seit März um 15 Prozent zurückgegangen.
Bei weißen Wählern mit schwachem Bildungshintergrund, 2016 eine seiner Bastionen, hat Trump sogar 20 Prozent eingebüßt. Ältere Wähler (65 und aufwärts), die vor vier Jahren zu seinen stärksten Unterstützern gehörten, landen bei minus 14 Prozent.
Warum? Was Trump konsequent als bösartige Attacken der "Fake-News"-Medien bezeichnet, sickert bei vielen Wählern allmählich als Realität ins Bewusstsein ein: Nachdem die Regierung in Washington Anfang Jänner über den Ausbruch der Seuche in China im Bilde war, geschah wochenlang nichts, obwohl die eigenen Geheimdienste und Seuchenschutzexperten nachweisbar warnten.
Erst Mitte März verhängte der Präsident den Notstand und nötigte seine Landsleute zum Abstand halten (Social Distancing).
"Sündenregister"
Bemühungen seiner Experten, das Land auf ein Vorgehen aus einem Guss zu verpflichten, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, konterkarierte Trump mit widersprüchlichen Ratschlägen. Trotz nachgewiesener Versäumnisse der Zentralregierung stempelte er die Gouverneure diverser Bundesstaaten zu Sündenböcken.
Vorläufiger Höhepunkt der Extravaganzen war Trumps lautes Nachdenken darüber, ob man Corona-Infizierten giftiges Desinfektionsmittel spritzen könne. "Das Sündenregister des Weißen Hauses schlägt sich jetzt erst richtig nieder", sagte ein republikanischer Parteifunktionär in Washington zum KURIER.
Was Trumps Strategen am meisten ängstigt: Wenn bis zum Herbst keine substanzielle Genesung der Wirtschaft erkennbar sein sollte, könnten Wähler ihre Entscheidung am Faktor Empathie ausrichten. Wer hat mehr Verständnis, mehr Einfühlungsvermögen für die Notlagen von Familien, die Corona-Tote zu beklagen haben und wirtschaftlich vor dem Ruin stehen?
Die Umfragen für den persönlich leidgeprüften Biden – er verlor 1972 seine erste Frau und seine Tochter bei einem Autounfall, 2015 starb sein Sohn Beau an einem Gehirntumor – weisen in dieser Kategorie Vorteile im zweistelligen Prozentbereich aus.
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