Die 10er Jahre: Wenn Grenzen in der Politik purzeln
Daniela Kittner
29.12.19, 05:01Die beiden Männer saßen in einer Fensternische des Café Grien-steidl am Michaelerplatz. Es war später Abend, die Stimmung am Tisch war traut, aber gedrückt.
Dabei hätten Erich Foglar und Christoph Leitl, damals Präsidenten von ÖGB und Wirtschaftskammer, an diesem 26. Jänner 2017 allen Grund gehabt zu feiern. Sie hatten gerade ein paar Häuser weiter im Kanzleramt das Zerbrechen der Regierung verhindert. Der rote Kanzler Christian Kern war auf dem Absprung in Neuwahlen gewesen, aber Vize Reinhold Mitterlehner wollte noch einmal durchstarten mit Rot-Schwarz. Und so waren die Sozialpartner als Krisenfeuerwehr ausgerückt.
Dennoch wollte keine Feierstimmung aufkommen. Die beiden Präsidenten saßen dort und sinnierten über den Niedergang der Sozialpartnerschaft, über deren rapide schwindenden Einfluss und mangelnde Problemlösungskraft. Die Ursache dafür, da stimmten die beiden überein, war in der Europäisierung und Globalisierung zu finden.
Kaum ein Moment illustriert die Zeitenwende besser als diese Episode, der Ihre Autorin, damals zufällig ins Griensteidl geschneit, beiwohnen durfte. Wenige Monate später war die eben gerettete Regierung zerbrochen, und die Sozialpartner an einer Flexibilisierung der Arbeitszeit gescheitert.
Eine Sozialpartnerschaft, die Zinssätze, Löhne, Steuern, Sozial- leistungen und vieles mehr bestimmt, hat in dieser nahezu allmächtigen Ausprägung eine National-Ökonomie zur Voraussetzung.
Die Zehnerjahre waren hingegen gekennzeichnet vom Wegfallen von Grenzen und Schranken. Das gilt für die – politische – Kommunikation (siehe unten stehenden Artikel) ebenso wie für die Wirtschaft und die Politik.
Eine Krise nach der anderen brauste über Österreich hinweg, allesamt waren außerhalb der Landesgrenzen entstanden und in der Folge zum maßgeblichen Teil transnational bewältigt worden.
Zur Jahreswende 2009 / 2010 gestand die griechische Regierung erstmals ein, dass Griechenland pleite war. Im April 2010 suchte sie um das erste Hilfspaket an. Der acht Jahre junge Euro musste eine herbe Krise bestehen. Nicht wenige redeten sein Ende herbei, Rechtspopulisten witterten ihre Chance.
Parallel dazu stieg in Europa infolge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise die Arbeitslosigkeit. 2016 erreichte sie in Österreich ihren Höhepunkt mit 357.000 Arbeitslosen oder neun Prozent der unselbstständig Beschäftigten.
Das Jahr davor, 2015, hatte Österreich mit der höchsten Staatsverschuldung in der Zweiten Republik bilanziert. Fast 85 Prozent der Wirtschaftsleistung machten die Schulden aus, eine Folge höherer Krisenausgaben. 2020, so rechnet die EU, werden Österreichs Staatsschulden bereits wieder auf Vorkrisenniveau sinken: 2007 betrug der Schuldenstand 65 Prozent, 2020 sind 67 Prozent zu erwarten.
Auch die Arbeitslosigkeit sank in den vergangenen Jahren, die Anzahl der Beschäftigten steigt ständig.
Im Guten wie im Schlechten
Bewältigt hat die Eurokrise im wesentlichen die Europäische Zentralbank mit Nullzinspolitik und dem Aufkaufen von Staatsanleihen. Maßgebliche Konjunktureffekte kamen, im Schlechten wie im Guten, von jenseits der Staatsgrenzen. Soeben publizierte das WIFO eine Studie, wonach Österreich vom EU-Beitritt mehr profitiert hat als die gleichzeitig beigetretenen Länder Finnland und Schweden. Der Grund ist die EU-Osterweiterung 2004, und dass Österreich seine wirtschaftlichen Chancen in Ost- und Südosteuropa zu nutzen verstand.
Politischer Krisengewinner des vergangenen Jahrzehnts war der Rechtspopulismus. Er scheint inzwischen seinen Höhepunkt europaweit überschritten zu haben, in Österreich ist das definitiv der Fall. Die FPÖ ist in manchen Umfragen an die vierte Stelle abgerutscht – hinter die Grünen.
Womit wir beim Ausblick angelangt wären. Die Grünen sind zwar eine Partei der sozialen Gerechtigkeit, aber in der Sozialpartnerschaft sind sie nicht verankert. Anders als Neos oder die FPÖ bekämpfen sie sie aber auch nicht. Sebastian Kurz hat, obwohl ÖVP-Chef, mit dem Kammerstaat nicht viel am Hut. In seiner Sozialpolitik mäandert er zwischen Einführung des 12-Stunden-Tags und beinahe sozialdemokratischen Positionen, etwa bei den Pensionen.
Wie Türkis-Grün Verteilungskonflikte lösen wird, wird eine der spannenden Fragen des neuen Regierungsprojekts sein.
Synchron mit Europa
Verteilungsgerechtigkeit wird unweigerlich eine zentrale Aufgabe bleiben, aber zum Materiellen wird sich zunehmend das Ziel gleicher Lebensqualität gesellen. Die Sozialpartner werden hoffentlich weiter ihren wichtigen Beitrag leisten, etwa in der Aus- und Fortbildung. Aber an den großen Schrauben dreht in Zukunft wohl die Politik – und zwar synchron mit Europa.
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