Der zweite Durchgang

Der zweite Durchgang
Live aus dem Wohnzimmer. Im Fernsehen flitzen die Skifahrer, davor fliegen die Worte.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Sie

Kennen Sie das? Sie bekommen eines Morgens, – weil’s jemand im Nachbarauto laut gehört hat – , "Atemlos" von Helene Fischer ins Gehirn gespült und ab dann sind Sie "Atemlos". Während also das Duschwasser auf den Rücken prasselt, die Kaffeemaschine gluckert oder der Hund scheißt, trällert die Kopf-Helene Atemlos durch die Nacht. Bis ein neuer Tag erwacht. Ein Albtraum.

Sorry, aber ...

Meine Helene heißt "Mann nebenan" und quält mich mit dem Lied Sorry, aber ich möchte mir noch den zweiten Durchgang anschauen. Es handelt sich dabei um seinen Antwort-Reflex auf meine ihm nicht genehme Fragen. Etwa: "Magst mit mir in die Stadt fahren und Schuhe kaufen?" oder "Gehen wir ins Kaffeehaus und philosophieren?" Daraufhin höre ich stets Sorry, aber ich möchte mir noch den zweiten Durchgang anschauen. Und wissen Sie, was passiert? Irgendwann wird man selbst zum zweiten Durchgang. Ich wache auf und will sofort wieder einschlafen, weil: Sorry, zweiter Durchgang. Abends, im Lokal: Na danke – ich warte ja auf den zweiten Durchgang. Wer weiß, vielleicht ist unsere Beziehung oder das ganze Leben ein einziger zweiter Durchgang?

Ich beschloss, den Mann nebenan mit diesen beigen Gedanken zu konfrontieren und bat zur Aussprache. Der reagierte perplex: Kann’s sein, dass du zu viel Selbstfindungs-Prosa zu dir genommen oder zu lang Best-of-Selbstmitleid-Musik gelauscht hast? Zwei Tage später erlaubte ich mir eine Anfrage in Richtung Waldspaziergang mit anschließender Mehlspeislabung. Und jö, er sprach: Ok. Aber lass mich noch schnell den ersten Durchgang fertig schauen. Dass ich beim Mehlspeis-Wettschlingen wegen rechtzeitiger Rückkehr zum zweiten Durchgang fast erstickt wäre, ist eine andere Geschichte.

gabriele.kuhn@kurier.at

Twitter: @GabrieleKuhn

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Er

Bei näherer Betrachtung ist der zweite Durchgang ein schönes Sinnbild für das Leben mit einer Frau, deren Faible für Fernsehsport etwa so ausgeprägt ist wie jenes von Donald Trump für spitzfindigen Journalismus. Denn früher einmal habe ich Skirennen als Gesamtereignis gesehen, bestehend aus einem ersten und einem zweiten Durchgang. Im Laufe der Jahre aber wurde ich zu einem Repräsentanten der Kompromisswirtschaft und halbierte den Konsum. Ihr zu Liebe, nach dem Motto: Wienerwaldspaziergang statt Stangenwaldglotzen.

Verlangen

Gnä Kuhn wäre aber nie gnä Kuhn, gäbe sie sich mit dieser Verzichtserklärung zufrieden. Allerdings ist sie viel zu klug, das anzusprechen. Wissend, dass wir einander daraufhin Vorwurfgeschoße um die Ohren fliegen lassen würden. Also wählt sie den subtilen Weg und entdeckt ihre Sehnsucht nach liebevoller Zweisamkeit vorzugsweise dann, wenn ich ins Sofa plumpse, um in die Sportwelt abzutauchen.

Die Kunst ist es, dieses Treffen von ihrem Wunsch und meiner Wirklichkeit wie einen Zufall aussehen zu lassen. Dabei äußert sie nicht nur ihr (gespielt beiläufiges) Verlangen nach einem Stadtbummel genau dann, wenn die letzten Läufer am Start stehen. Nein, ihr fallen auch garantiert plötzlichallerlei überlebensnotwendige Soforterledigungen (wie Zündhölzerkaufen) ein, wenn es in meinem Zuseherleben am spannendsten wird – idealerweise hauchzart seufzend, während sie als fleißige Prioritätenbiene demonstrativ den Teppich vor dem Bildschirm saugt. Ihre Botschaft: Gewissen ist Macht. Und meine: Die Liebe ist immer ein Riesentorlauf.

Paaradox-Auftritte: 24. 2. in Guntramsdorf, 25. 2. und 18. 3. im Rabenhof.

michael.hufnagl@kurier.at

Twitter: @MHufnagl

www.michael-hufnagl.com

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