"Putin stach uns in den Rücken": In Serbien bahnt sich ein Kurswechsel an
"Die Ukraine hat Russland angegriffen!" Diese und ähnliche Schlagzeilen prangten noch zu Beginn des Konflikts in der Ukraine in den serbischen Boulevardblättern. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass der Boulevard die stärkste Waffe der Propaganda-Maschinerie Aleksandar Vučić ist. Der kürzlich wiedergewählte Präsident Serbiens ließ seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin auch so wissen, dass er ihn auch nicht in seinem Kampf gegen die (fast) ganze Welt im Stich lässt. Die beiden Länder pflegen eine innige Freundschaft.
Nun aber scheint sich das Blatt zu wenden. "Putin stach Serbien in den Rücken", ist am Donnerstag auf der Titelseite des Srpski Telegraf zu lesen. Darüber fragt man: "Was tut ihr, russischen Brüder, uns da an?", darunter stellt man fest: "Putin tauschte den Kosovo gegen den Donbass ein". "Haben wir als Volk dem russischen Präsidenten zu blind vertraut?", fragt sich am Donnerstag auch Blic. Putin habe "wegen dieses Krieges die Serben und den Kosovo vergessen". Doch was steckt eigentlich hinter diesem plötzlichen Sinneswandel der Medien, die noch vor zwei Monaten alles, was der Mann aus Kreml getan hat, gerechtfertigt haben?
Immer wieder Kosovo
Es geht, wie so oft in der Geschichte Serbiens, um den ewigen Zankapfel Kosovo. Putin zog bei dem Treffen mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine Parallele zwischen den selbsternannten Volksrepubliken DNR und LNR in der Ostukraine und der ehemaligen autonomen serbischen Region. Auf Donezk und Lugansk sei dasselbe Recht wie auf den Kosovo anzuwenden. Der Internationale Strafgerichtshof habe dessen Sezession für rechtlich zulässig erklärt, stellte Putin fest.
"Ich habe persönlich alle Dokumente des Internationalen Gerichtshofs zur Situation im Kosovo gelesen. Ich erinnere mich gut an die Entscheidung des Gerichtshofs, die besagt, dass dieses oder jenes Territorium eines Staates bei der Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung nicht dazu verpflichtet ist, sich an die zentralen Behörden des Landes zu wenden. Das wurde für den Kosovo gesagt, und alle haben diese Entscheidung unterstützt. In diesem Sinne haben Donezk und Luhansk das gleiche Recht", sagte der russische Präsident im Gespräch mit Guterres - und bohrte damit den Finger in eine serbische Wunde.
Eben diese Erwähnung Kosovos wird ihm nun in dem russophilen Serbien richtig übel genommen. Putin habe damit praktisch die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, deuten die Klatschblätter seine Worte.
"Der Weltkonflikt wird auf unserem Rücken ausgetragen"
Vom "nackten Interesse" und "offenen Karten" schrieb am Donnerstag auch der Kurir auf seiner Titelseite. Mit seinen Aussagen schütze Putin Russlands Interessen in Donezk und Lugansk, "ohne die Position Serbiens im Kosovo zu berücksichtigen". "Der Weltkonflikt wird auf unserem Rücken ausgetragen" urteilt Informer und wirft Putin vor, er würde "auf die Karte Kosovo spielen".
Alo! bringt auch die Nachbarländer ins Spiel. "Jubel in Prishtina, Zagreb und Sarajevo wegen Putins Aussage", schreibt das Klatschblatt, verpasst es aber, den Zusammenhang zwischen Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Putins Meinung zum Kosovo zu erklären.
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