"Wir bekommen keine Antworten": Russlands Soldatenmütter suchen nach ihren Kindern

"Ich rufe jeden Tag bei der Hotline an. Jeden Tag um 10 Uhr vormittags “, sagt Tamara Grudinina.
Ihr Sohn Sergej war einer der 500 Matrosen, die auf der „Moskwa“ Dienst leisteten, gut 9000 Kilometer entfernt von seiner Heimat im fernöstlichen Blagowschtschensk. Seit Putins Vorzeigeschiff vor knapp zwei Wochen gesunken ist, wartet sie auf Antworten: 27 Soldaten seien dabei ums Leben gekommen, sagt das Verteidigungsministerium, der Rest sei gerettet worden. Nur: Von Sergej und den anderen gibt es kein Lebenszeichen.
Zehn Familien sind deshalb jetzt an die Öffentlichkeit gegangen; Tamara Grudinina ist eine der Mütter, die endlich Gewissheit will. Das klingt nicht nach viel, ist aber in Russland in Zeiten des Krieges ungewöhnlich: Kritik an der Armeeführung ist nicht geduldet, wer etwas Negatives zum Verlauf der „Spezialoperation in der Ukraine“ postet, wird bestraft.
Viel zu junge Rekruten
Dennoch findet man in den sozialen Netzwerken Suchanzeigen, Eltern der meist jungen Soldaten vernetzten sich. Ihre Kinder, oft Rekruten von gerade mal 19 oder 20 Jahren, hätten eigentlich nicht auf dem Schiff sein dürfen. Wehrpflichtigen ist es per Gesetz untersagt, in Kriegsgebieten zu kämpfen. Sergej war trotzdem auf der „Moskwa“, sagt seine Mutter der Plattform Nowoe Wremja – obwohl er den dafür nötigen Freiwilligen-Vertrag sicher nicht unterzeichnet habe.
Das war die Moskwa
Und da ist noch etwas. Der Kreml behauptet bis heute, auf der „Moskwa“ sei ein Feuer ausgebrochen, das das Munitionsdepot in Brand gesetzt habe. Später sei das Schiff in einen Sturm geraten und gesunken. Schilderungen von Soldaten, die ihre Eltern kurz vor dem Untergang anriefen, klingen aber ganz anders: „Mama, verstehst Du, was passiert ist? Wir wurden von Raketen getroffen“, habe ihr Sohn gesagt, erzählt die Mutter eines Soldaten in Radio Swoboda. Genau das behauptet auch die Ukraine: Sie habe die „Moskwa“, Putins Stolz, versenkt.
Wie bei der Kursk
Für Putin ist all das höchst unangenehm. Bei den Russen weckt die „Moskwa“ Erinnerungen an den Untergang der Kursk im Jahr 2000, einem der Tiefpunkte seiner Karriere. Damals war das angeblich unsinkbare Marine-U-Boot mit 118 Soldaten untergegangen, doch Putin war nicht willens, dafür seinen Urlaub dafür zu unterbrechen. Eine Woche lang sagte er gar nichts zu dem Vorfall; eine Soldatenmutter, die ihn in einer Versammlung damit konfrontierte, wurde vor laufender Kamera per Spritze ruhiggestellt.
Jetzt versucht der Kreml darum, Kritik schon im Vorfeld abzuwürgen. Die Komitees der Soldatenmütter, die bei der Kursk oder in den Tschetschenienkriegen medial sehr präsent waren, wurden schon vor einiger Zeit vorsorglich als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt. Das diskreditiert sie in der Öffentlichkeit massiv, dazu kommen kafkaeske bürokratische Auflagen.
Auch Putins Sprecher Dmitrij Peskow, sonst ein Meister scharfer Worte, gibt sich in puncto „Moskwa“ sehr distanziert. "Wir sind hier nicht befugt, irgendetwas mitzuteilen“, sagt er, verantwortlich sei das Verteidigungsministerium. Dort heißt es, 396 Crewmitglieder seien evakuiert und nach Sewastopol gebracht worden. Eltern, die dort nach ihren Kindern suchen, finden sie jedoch nicht. Und bei der Hotline weiß man nichts.
„Wir bekommen keine Antworten“, sagt Ksenia Bergerskaja, die Schwester eines Matrosen, in Radio Swoboda. „Gestern las ich auf Instagram, dass mein Bruder Witalij tot sein soll. Aber solange es nicht offiziell ist, glauben wir es nicht.“
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