Kulturaufreger überall: Das wird man ja wohl nicht sagen dürfen

Kulturaufreger überall: Das wird man ja wohl nicht sagen dürfen
Gabalier! Nitsch! Böhmermann! Warum die Kultur wieder so stark im Kreuzfeuer von Politik und Gesellschaft steht.

Könnte man sich gegen Unfälle in der Kulturdiskussion versichern, es würde nach der vergangenen Woche Schadensmeldungen hageln: Wer nämlich bei den zwei größten Aufregern mithüpfte, lief Gefahr, sich auf Grund einer abrupten Argumentationsrichtungsänderung ein ordentliches Peitschenschlagsyndrom einzufangen.

Denn wer sich Montagmorgen noch mitempörte, dass sich die SPÖ Graz gegen die landesweit gefühlte Gabalier-Anhörpflicht verwehrte und eine Coverband anhielt, kein Lied des Mountain Man zu spielen, wer hierbei vielleicht gar Gabaliers Faschismus-Sager abnickte, der geriet Montagabend rasch in die Bredouille.

Denn im ORF-Kulturmontag fuhr Deutschlands Spätabend-Satiriker Jan Böhmermann verbal mal wieder den gestreckten Fuß gegen Österreich aus, der ORF distanzierte sich. Und gar nicht wenige, die im Falle Gabaliers beim Morgenkipferl die Kunstfreiheit für sich entdeckt hatten, forderten nun beim Abend-Spritzer, dass das Böhmermannsche Hulapalu im ORF nicht hätte gespielt werden dürfen.

Dasselbe funktioniert natürlich auch umgekehrt: Wer Montagmorgen heimlich schadenfroh über die parteiische Gegenwehr gegen die Gabalierisierung war und hier die gesellschaftspolitische Komponente als Grund herbeizitierte – das wird man ja wohl nicht hören dürfen! –, der war am Abend dann wieder vielleicht froh, dass die Politik nicht landesweit bestimmt, welche Kunst gezeigt, gespielt, verbreitet werden darf.

Und wer vielleicht beide Reibefiguren gleichermaßen nicht braucht, sah erstaunt auf die mit Heftigkeit unterfütterte Scheinheiligkeit der Debatten.

Was ist hier passiert?

Diese österreichische Kurvendiskussion ist durchaus Teil einer größeren Entwicklung: In der so allgemeinen wie grundlosen Aufgeregtheit, in die wir uns auf den Social-Media-Plattformen hineingesteigert haben, ist die Kultur zunehmend Turnierschauplatz für gesellschaftspolitische Ersatzkriege. Wieder, muss man ergänzen, das war mehrfach so, hierzulande etwa in den 1980ern (die Böhmermann ja in seinem „Debilen“-Sager herbeizitiert hat).

Damals wie heute gilt: Die Kultur wird dann, wenn sich die Gesellschaft verändert, als Crash-Test-Dummy für neue Tabus und neue Grenzziehungen ge- und auch missbraucht. An der Kultur wird verhandelt, was noch oder nicht mehr oder neuerdings (wieder) gesagt werden darf.

Denn hier gibt es kurze Wege zu den aufgerauten gesellschaftlichen Emotionen: Zu Gabalier, Böhmermann, Conchita, Wurst und Tom Neuwirth, zu Thomas Bernhard oder Hermann Nitsch, insbesondere auch zur Meinungsfreiheit im ORF hat jede Seite eine angestaute Impulsmeinung.

Die kann man schnell aktivieren – und so fast gratis zu einem gesellschaftspolitischen Signal kommen. Und zwar in jede Richtung, sowohl durch Polemiken („Staatskünstler“) als auch durch Immunisierung gegen Kritik, die ausnahmslos und reflexartig als unzulässig eingebucht wird.

Mittel zum Zweck

So wettert also der italienische Kulturminister gegen eine Nitsch-Ausstellung in Mantua; so wird das Ende des Life Balls von allerlei „Endlich“–Geraune in den Onlineforen begleitet; so schwingt die Politik Appelle an die Kunst- oder Medienfreiheit dann, wenn sie sich an die jeweils richtige Klientel richten, und winkt diese Angelegenheiten durch, wenn es „die Anderen“ betrifft.

Dass dort, wo die Politik ihr Geschäft an der Kultur verhandelt, Nuancen verloren gehen, ist keine Überraschung. Und dass Kultur aufregt, eigentlich gut: Gesellschaftliche Veränderungen in jede Richtung brauchen immer auch den Widerstand – als Korrektiv, als Kompromiss-Einmahnung. Wer bei Gegenwind gleich ins Wehklagen verfällt, ist in ruhigeren Zeiten gratismutig.

Aber ein Missverständnis zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur ist bedenklich: Ist letztere noch so pointiert, gibt sie doch keine Handlungsanweisung im politischen Sinn. Kultur ist uneigentliches Sprechen – hier werden Möglichkeiten aufgefächert und durchgelebt, hier werden Extreme angeschaut, hier wird Konsens auf seine Brüchigkeit abgeklopft. Die Politik und die Social-Media-geprägte Öffentlichkeit antworten aber auf diese Möglichkeiten mit Überzeugungen, sie reagieren so, als spreche hier ein Gegner über die Realität.

Und das ist der Krampf.

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