30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als Parabel über Manipulation

30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als  Parabel über Manipulation
Am 4. November 1988 wurde „Heldenplatz“ uraufgeführt. Die Erregung, bewusst provoziert, war groß gewesen. Sie gab Thomas Bernhard mit seinem Befund recht.

Sigrid Löffler irrte. Sie irrte sogar gewaltig. Am 19. September 1988 prophezeite die Theater- und Literaturkritikerin im Magazin profil: „Aus dem von Claus Peymann so liebevoll geplanten Skandal wird wohl nichts werden.“

Bereits am 1. August hatte sie kundgetan, dass der „Heldenplatz“-Text von Thomas Bernhard, den Peymann uraufzuführen gedachte, „keinerlei Sensationen, sondern nur wohlbekannte und oft gehörte Echos früherer bernhardischer Schimpftiraden gegen Nazis, Sozis und ,die geist- und kulturlose Kloake‘ namens Österreich“ enthalte. Wie Sigrid Löffler das wissen konnte, wo doch der Text „aus Publicity- oder anderen Gründen“ geheimgehalten werde, verschwieg sie.

30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als  Parabel über Manipulation

Aber sie irrte nicht nur. Sie vermochte nichts, rein gar nichts auszulösen. Obwohl sie am 19. September, sich selbst zitierend, nachsetzte – und eine Spalte mit Sätzen aus „Heldenplatz“ brachte, darunter viele Passagen, die erst am 7. Oktober detonierten, als die Kronen Zeitung und die Wochenpresse aus den damals angeblich „bestgehüteten Papieren der Nation“ zitierten. Darunter: „Der Judenhass ist die reinste, die absolut / unverfälschte Natur des Österreichers.“ Oder: „Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreißig / jetzt kommen sie wieder / aus allen Löchern heraus /die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind.“ Oder: „Der Bundespräsident ist ein Lügner / der Kanzler ein pfiffiger Börsenspekulant.“ Der eine hieß bekanntlich Kurt Waldheim, der andere Franz Vranitzky.

Franz Vranitzky im Video-Interview über "Heldenplatz"

"Warum eigentlich, Herr Vranitzky?"

Falsche Schlüsse

Und plötzlich stand die Kulturnation in Flammen. Beinahe jeder Politiker fühlte sich bemüßigt, Stellung zu beziehen. Manche wurden von Medien gedrängt, andere fütterten die Meute geradezu mit Ansagen. Der „Heldenplatz“-Skandal ist eigentlich nichts anderes als ein Lehrstück in Manipulation. Parabelhaft wird gezeigt, wie Menschen falsche Schlüsse ziehen – nur weil sie nicht vollständig informiert wurden oder werden wollten.

Denn die meisten Zitate, über die man sich erregte, legte Bernhard einem jüdischen Professor namens Robert Schuster in den Mund, der auch 50 Jahre nach der Flucht nach England traumatisiert ist. Kann man ihm nach allem, was passiert ist, verdenken, in jedem Österreicher einen Nazi zu sehen? Zumal Schuster alt und auch altersstarrsinnig ist?

Zunächst tobten vor allem die Politiker der ÖVP. Vizekanzler Alois Mock fand es „unakzeptabel, diese Aufführung mit Steuergeld zu finanzieren“, Robert Graf, Kurt Waldheim, Erhard Busek und so weiter karteten nach. Die Freiheit der Kunst hätte ihr Ende erreicht. Und man sah plötzlich eine Möglichkeit, den Theaterdirektor loszuwerden, der zwei Jahre zuvor die Burg im Sturm erobert, aber im Ensemble Zwietracht ohne Ende gesät hatte. Der Rechtspopulist Jörg Haider bediente sich schelmisch grinsend bei Karl Kraus – und rief „Hinaus mit dem Schuft“.

30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als  Parabel über Manipulation

Die Fronten waren noch klar: Der SPÖ fiel die Aufgabe zu, Bernhard und Peymann zu verteidigen. Kulturministerin Hilde Hawlicek stand sehr tapfer ihre Frau. Und die Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk warnte, brillant formuliert, vor der Blamage im  Ausland: „Alles, was Österreich in diesem Jahr an Gedenk- und Bedenkveranstaltungen zur Aufarbeitung seiner Vergangenheit unternommen hat, könnte durch die Affäre um das Stück ,Heldenplatz‘ entwertet werden.“

Der „Skandal“ aber war geradezu ein Fest – für  Journalisten und Kolumnisten wie Richard Nimmerrichter, den  „Staberl“ der Krone.

Der KURIER brachte feine Karikaturen von Dieter Zehentmayr, schoss weit übers Ziel („Peymann zensiert jetzt das Premierenpublikum“) und prahlte: „So  jagten wir Thomas Bernhard.“ Denn Conny Bischofberger hatte erfolgreich dem Autor aufgelauert. Wolfgang Fellners Basta veröffentlichte am 26. Oktober sogar ein „Extra zum Skandal“ – samt Peymann-Interview. Der Direktor wollte die  bereits verglimmende Debatte wohl noch einmal anheizen.  Die Premiere war ja erst am 4. November.

„Im ,Stürmer‘-Stil“

Auch Gerfried Sperl, Chefredakteur des erst wenige Tage alten Standard, hatte sich mit einem klugen Kommentar eingebracht. Er riet den Politikern, schweigen zu lernen. Doch am Tag der Uraufführung erklärte Kulturressortleiter Peter Sichrovsky, dass er dem Theater fernbleiben werde: „Es ist ein erschreckend schlechtes Stück! Banal, polemisch, einfältig, verfälschend, dumm und gefährlich.“ Er forderte die Leserschaft indirekt auf, die Vorstellung zu verunmöglichen. Der Titel lautete: „Stürmt den Heldenplatz!“

Gerald Grassl, der in der Volksstimme der KPÖ die wohl profundesten Analysen zur Causa veröffentlicht hatte, befand, dass der Standard den Anspruch, ein seriöses, liberales Blatt sein zu wollen, „bereits verspielt habe“. Immerhin zitierte der Standard Peymann, der ihm vorwarf, sich an einer Kampagne „im Stürmer-Stil“ beteiligt zu haben. Bekanntlich trat Sichrovsky wenige Jahre später der FPÖ bei und wurde u.a. deren Generalsekretär.

Fasziniert vom Dreck

Anzumerken wäre noch, dass Bernhard kurz vor der Premiere ein paar Worte abänderte. Aus dem „Börsenspekulanten“ machte er einen „Staatsverschacherer“. Anzumerken wäre zudem, dass die Buh-Rufe von HC Strache im Jubel untergingen.

Und die Geschichte gibt Bernhard in mancherlei Hinsicht Recht. Dass die Medien damals ziemlich viel „Dreck“ schrieben: Davon zeugt eine 300 Seiten starke „Heldenplatz“-Dokumentation des Burgtheaters. Und es ist auch nicht ganz falsch, wenn Professor Schuster meint, wir würden den „Dreck“ doch tagtäglich in uns hineinlesen: „Weil er uns interessiert / und weil wir von ihm fasziniert sind“. Der Unterschied zu damals ist nur, dass wir den Schrott, die Hasspostings, im Internet lesen.

Erinnerungen: Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann

Dass Österreich einen überraschen kann, das erlebte ich, als ich 1986 mein Engagement als Pressesprecherin von Claus Peymann am Burgtheater antrat, recht schnell. War doch in jenem Jahr die Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten ein Schock für uns „Piefke“.

Was aber alles wirklich möglich war, das erfuhr ich dann, ungeschminkt und ohne Genierer, im Herbst 1988 im Zuge der „Heldenplatz“-Uraufführung. Eine ganze Republik schien Kopf zu stehen wegen einiger aus dem Zusammenhang gerissener Satzfragmente aus einem Theaterstück – Zitate, die u.a. der Kronen Zeitung zugespielt worden waren. Thomas Bernhard, renommierter Autor und großartiger Übertreibungskünstler, hatte Österreich, das er liebte und an dem er sich permanent abarbeitete, in seinem Stück über die Verdrängung der NS-Zeit offenbar ins Mark getroffen. Aber noch konnte die manipulierte und erregte Öffentlichkeit das eigentlich gar nicht wissen. Noch blamierten sich in überschlagender Eile der Bundespräsident, der Vizekanzler, ein Bundesparteiobmann und zahllose Sekundanten, die die Absetzung des Stücks, am besten gleich die Absetzung des Burgtheaterdirektors forderten. Während draußen eine völlig hysterisierte Öffentlichkeit sich gegenseitig aufschaukelte, versuchten im Theater der Regisseur und seine Schauspieltruppe für die Uraufführung zu proben.

30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als  Parabel über Manipulation

Das Pressebüro war ein ununterbrochener Krisenschauplatz. Beschimpfungen und Drohungen, Schmeicheleien und Bestechungsversuche waren das Repertoire, das mir entgegenkam, und immer ging es um Pressekarten für die Premiere. Denn auch wenn die Aufführung unbedingt verhindert gehörte, wollte man natürlich auf jeden Fall bei dem Skandal dabei sein, wenn die Öffentlichkeit endlich Gericht halten konnte über diese blasphemische Unternehmung. 126 Pressekarten-Besitzer aus 13 Ländern waren dann, nachdem sie es ins Theater geschafft hatten, unter Polizeischutz, vorbei an Misthaufen und dem Höllenlärm der Demonstranten und Gegendemonstranten, Zeugen, wie die Schauspielkunst über das Krakeelertum triumphierte. Der „Heldenplatz-Skandal“ ist heute Schulstoff.

Karin Bergmann, 1953 geboren, kehrte 2014 nach längerer Absenz ans Burgtheater zurück – als Direktorin bis zum Sommer 2019.

Erinnerungen: Dramaturg Hermann Beil

Österreich steht Kopf. Ganz Österreich tobt. Ein ohrenbetäubendes Geschrei von Wien bis Bregenz erhebt sich wochenlang gegen ein Theaterstück, das keiner kennt, gegen einen Schriftsteller, den man endlich als den Nestbeschmutzer der Nation denunzieren kann, gegen den Burgtheaterdirektor, der zum Abschuss freigegeben wird. Eine allumfassende Gemeinde von Bundespräsident und Politikern aller Couleur (außer der Unterrichtsministerin und der Kulturstadträtin von Wien!), von Journalisten, Tugendwächtern und Theaterbesserwissern mobilisiert lautstark – angefeuert durch Leserbriefkanonaden und anonymen Beschimpfungsorgien – gegen Thomas Bernhards Schauspiel „Heldenplatz“. Die Uraufführung an der Burg sollte um jeden Preis verhindert werden.

Was aber geschah am 4. November 1988? Die Premiere wurde zum Triumph des Dichters. Die wütenden Störaktionen – auch des Herrn Strache samt seines brüllenden Anhangs auf der Galerie – zerschellten am 45-minütigen Jubel des Publikums.

30 Jahre „Heldenplatz“: Ein Skandal als  Parabel über Manipulation

„Heldenplatz“ wurde nach der Premiere nicht nur über 120 Mal gespielt, das Stück erwies sich als eine genau zutreffende politische Tragikomödie, als ein scharfes Psychogramm Österreichs, als ein großes Klagelied auf Österreich.

Nach 30 Jahren ist aber leider längst ein neuer „Heldenplatz“ nötig! Auch als ein erneuter Lackmustest für Österreichs Demokratie und Kunstfreiheit. Wer schreibt das Stück? Wer schreibt einen neuen „Heldenplatz“, der direkt und ungeschminkt die Wahrheit ausspricht und uns zwingt, Farbe zu bekennen?

Hermann Beil, 1941 in Wien geboren, war von 1986 bis 1999 Co-Direktor und Chefdramaturg des Burgtheaters.Er lebt in Berlin.

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