Nestbeschmutzer, Blender oder Genie?

Nestbeschmutzer, Blender oder Genie?
Der Dichter wird 25 Jahre nach seinem Tod ganz anders gesehen als zu seinen Lebzeiten.

Was war er nicht alles: Vaterlandsverräter, Nestbeschmutzer, Skandalautor. Einer, der wie kein anderer gehasst und angefeindet wurde. Und was ist Thomas Bernhard heute? Ein wortgewaltiger Nationaldichter, ein Stück Theater- und Literaturgeschichte, ein Genie. „Wahrscheinlich ist es bei Nestroy nicht anders gewesen“, zieht der Regisseur Hans Neuenfels einen gewagten und doch nahe liegenden Vergleich.

Gerichtssaalreporter

Thomas Bernhard wurde in einem Heim für ledige Mütter in den Niederlanden geboren, wohin seine Mutter geflüchtet war, um der „Schande“ in Österreich zu entgehen. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, er wuchs vor allem bei den Großeltern auf, arbeitete als Gerichtssaalreporter und veröffentlichte im Alter von 26 Jahren seinen ersten Gedichtband und mit 34 den ersten Roman.

Minister auf der Flucht

Für einen Skandal war Thomas Bernhard immer schon gut, auch als er noch wenig bekannt war: Als ihm Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic 1968 den Kleinen Österreichischen Staatspreis überreichte, erklärte der 36-jährige Dichter in seiner „Dankesrede“, die Österreicher seien „Geschöpfe der Agonie“ und das Volk „zur Infamie und Geistesschwäche verurteilt“. Der Minister verließ fluchtartig den Festsaal, und die Verleihungszeremonie des Bernhard ebenfalls zugesprochenen Anton-Wildgans-Preises wurde abgesagt, die Auszeichnung per Post zugestellt.

1972 löste er mit dem „Notlicht-Skandal“ bei den Salzburger Festspielen den nächsten Wirbel aus: Claus Peymann, der Bernhards Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ inszenierte, bestand darauf, dass die Aufführung in absoluter Finsternis – auch ohne das gesetzlich vorgeschriebene Notlicht – enden sollte. Als das von der Feuerpolizei nicht genehmigt wurde, ließ Thomas Bernhard alle Vorstellungen absagen, weil „eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, auch ohne mein Schauspiel auskommt“.

Nicht minder skandalträchtig war Bernhards 1984 verfasster Roman „Holzfällen“, der zur Abrechnung mit seinem Freund und Förderer, dem Komponisten Gerhard Lampersberg, ausartete. Als heruntergekommener Alkoholiker dargestellt, klagte Lampersberg Thomas Bernhard, worauf der Roman polizeilich beschlagnahmt wurde. Bernhard untersagte nun die Auslieferung sämtlicher seiner Bücher in Österreich.

Das alles war aber nur das Vorspiel zu dem Wirbel, den der Inhalt des Dramas „Heldenplatz“ im Bedenkjahr 1988 im Wiener Burgtheater auslöste: 50 Jahre nach dem „Anschluss“ begeht der jüdische Professor Josef Schuster Selbstmord, indem er aus dem Fenster seiner Wohnung am Wiener Heldenplatz springt. Nach dem Begräbnis erklärt der Bruder des Verstorbenen, dass in Österreich „alles noch schlimmer ist als 1938“ (ein Satz, den ich als arge Verharmlosung des Nationalsozialismus empfinde, Anm.).

Heldenplatz-Kampagne

In den Wochen vor der von Bernhards Lieblingsregisseur Claus Peymann inszenierten Uraufführung wurden gezielt Textteile an die Öffentlichkeit gespielt und eine nie da gewesene Kampagne gesteuert. Jörg Haider und andere Politiker wollten das Stück verbieten lassen, Aktivisten luden vor dem Burgtheater Jauche ab. Doch dann wird’s wieder österreichisch: Die Uraufführung war ein großer Erfolg bei Publikum und Presse, das Stück wurde von 120.000 Besuchern gesehen.

Denunziant

Und doch gibt es im Fall Bernhard nach wie vor auch intellektuelle Skeptiker. Werner Schneyder etwa bezeichnet ihn als „großen Blender“ und „gefährlich totalitär urteilenden Denunzianten“.

Das Urteil hätte Thomas Bernhard vielleicht sogar gefallen, denn er liebte die Provokation. Und machte damit selbst vor Bruno Kreisky nicht Halt. Als die Republik 1981 dessen 70. Geburtstag feierte, bezeichnete ihn Bernhard in einem Rundumschlag als „Höhensonnenkönig“, „Halbseidensozialist“, „schlechten Bundeskanzler“, „rosaroten Beschwichtigungsonkel“ und als „renitent gewordenen Spießbürger“. Kreiskys Reaktion fiel vergleichsweise milde aus: „Wann’s ihm g‘sundheitlich nützt, dann soll er halt“, brummte der Kanzler.

Die Lungenkrankheit

Tatsächlich war es um Thomas Bernhards Gesundheit schlecht bestellt, seit er als 18-Jähriger von einer unheilbaren Lungenkrankheit befallen wurde. Der Dichter verbrachte mehrere Jahre in Spitälern und Lungenheilstätten, an die er sich in autobiografischen Werken mit großer Bitternis erinnerte. Das Sterben beschäftigte ihn ein Leben lang, war immer sein Thema: „Es ist vieles lächerlich, es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“

Auch wenn er heute weit milder gesehen wird und eine Wiederaufführung des einstigen Skandalstücks „Heldenplatz“ vor drei Jahren im Theater in der Josefstadt ohne jeden Protest auskam, polarisiert Thomas Bernhard immer noch: Vor kurzem erst wurde gemeldet, dass unbekannte Täter sein Grab am Grinzinger Friedhof in Wien geschändet und die Gedenktafel mit seinem Namen abmontiert hatten.

3,5 Millionen Bücher

Und doch: Das Positive überwiegt – auch für seine Erben. Bernhards Bücher wurden, in 40 Sprachen übersetzt, bislang 3,5 Millionen Mal verkauft, womit er zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache zählt. Von seinen Stücken laufen pro Spielzeit 20 bis 30 Produktionen. Und das weltweit, inklusive Österreich – obwohl gerade hier jede Aufführung durch eine testamentarische Verfügung des Autors untersagt wurde. Mit Gründung der „Thomas-Bernhard-Stiftung“ konnte diese Bestimmung von seinen Erben und Verlegern umgangen werden.

Thomas Bernhard lebt

Aber vielleicht ist Thomas Bernhard gar nicht tot. Der österreichische Autor Alexander Schimmelbusch schreibt in seinem jüngst erschienenen Roman „Die Murau Identität“, dass Bernhard 1989 nicht gestorben, sondern nach New York gereist sei, um sich einer Antikörperbehandlung zu unterziehen. Wieder genesen, lebt er unter dem Namen Franz-Josef Murau auf Mallorca und schreibt dort, heute 83 Jahre alt, an seiner Autobiografie.

Eine Satire, gewiss. Thomas Bernhard freilich wäre so etwas durchaus zuzutrauen.

Thomas Bernhard Geboren am 9. Februar 1931 in Heerlen in den Niederlanden. Aufgewachsen in Wien, Seekirchen am Wallersee und Salzburg. Er litt seit 1949 an einer schweren Lungenkrankheit. Lebte seit 1965 in einem Bauern- hof in Ohlsdorf bei Gmunden. Neben dem Schwerpunkt Tod, Krankheit und Schmerz stand die Kritik an Österreich im Zentrum seiner Romane, Erzählungen, Theaterstücke und seiner autobio- grafischenWerke.In„Heldenplatz“, dem größten Skandal und größten Erfolg, thematisierte er 1988 den Antisemitismus, und er wurde zum „negativen Staatsdichter“.

Weitere Erfolge „Der Theater macher“, „Einfach kompliziert“, „Vor dem Ruhestand“ (derzeit im Theater in der Josefstadt) sowie „Die Macht der Gewohnheit“.

Der Tod Thomas Bernhard starb am 12. Februar 1989 im Alter von 58 Jahren in Gmunden.

Thomas-Bernhard-Satire Alexander Schimmelbusch präsentiert seine Thomas-Bernhard-Satire „Die Murau Identität“ (Metrolit Verlag) am 11. Februar um 20 Uhr im Café Phil, 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 10-12.

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