Ich hör' auf zu rauchen: Trockene Süchtige und Waffenstillstand

Ich hör' auf zu rauchen: Trockene Süchtige und Waffenstillstand
Abstinenz-Monat 3 nähert sich. Ich gehe mit anderen Ex-Rauchern und einer Suchtexpertin der Frage nach, ob ich für immer eine trockene Süchtige sein werde? Und ab wann darf ich mich Nicht-Raucherin nennen?
Diana Dauer

Diana Dauer

"Hey, du Nicht-Raucherin!". Diese Begrüßung ist in meinem Leben das neue "Hey, wie geht's?". Scheinbar ist das Nicht-Rauchen mein neuer USP (Unique Selling Point zu Deutsch: Alleinstellungsmerkmal Anm.) Das Nicht-Rauchen ist das Attribut geworden, das mich auszeichnet? Die Dauer-Suderantin (Sudern wienerisch für Jammern) in mir ist unzufrieden, ein Horror-Szenario spielt sich in meinem Kopf ab:

Innen. Nacht. Zwei Menschen unterhalten sich: 

A.: "Wer ist Diana? Wen meinst du?"

B.: "Na, die Nicht-Raucherin?" 

A.: "Ah, die."

Ende der Szene.

Gibt es ein langweiligeres Merkmal? Mir fällt wenig ein. Aber andererseits macht es mich ein bisschen stolz. Es sind bald drei Monate seit meinem Rauch-Stopp. 11 Wochen voller entsagter Verführungen, Beinahe-Rückfällen, sozialer Verunsicherungen und echter Ungläubigkeit meines Umfeldes, dass ich es geschafft habe. 

Aber hab ich es schon geschafft? Ich habe zwar seit meiner Entscheidung, mit dem Rauchen aufzuhören, nicht mehr geraucht. Doch der Gedanke an und die Lust auf eine Zigarette -  manchmal, aber, zu oft - ist immer noch da. Ehrlich, was sind 11 Wochen Nicht-Rauchen im Vergleich zu rund 800 Wochen Rauchen? 

Bin ich eine Nicht-Raucherin? 

Ich suche Rat bei erfahrenen Ex-Rauchern, also bei Menschen, die den Kampf gegen ihren eigenen inneren Süchtigen bereits lange vor mir begonnen haben. (Komischerweise sind das in meinem Umfeld nur Männer, weswegen ich die männliche Form nutze. Anm.)

"Wie war die Entwöhnung und wie lange hat sie gedauert?", will ich von ihnen wissen. Sie lehnen sich im Sessel zurück, die Arme werden an den Seiten herunter weg vom Körper gestreckt, als ob sie die Erinnerungen damit herbei wedeln wollten. Sie ziehen tief Luft ein - manche durch sie Zähne, es zischt förmlich. Der Blick hebt sich und blickt über meinen Kopf oder an ihm vorbei in eine Vergangenheit, die sie offenbar schon versucht haben zu verdrängen.

Jede und jeder Nicht-Raucher reagiert körperlich ähnlich auf die Frage nach ihrem verlassenem RaucherInnen-Ich. Es erinnert mich an Yoga-Posen: Der herabschauende Hund, die Kriegerin, der Ex-Raucher?

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Was sie antworten, ernüchtert mich, demotiviert mich und macht mich weniger kampfbereit. Denn das Ergebnis ihrer Kämpfe gleicht mehr einem Waffenstillstand als einem Sieg über die Zigarette  - und es wurde bei dem einen oder anderen richtig dreckig. 

Ex-Raucher 1:  Hat 20 Jahre lang geraucht, und zwar "alles Legale, was man rauchen konnte". Hat vor 25 Jahren von einem Tag auf den anderen aufgehört. Auf einer transkontinentalen Reise konnte er über viele Stunden nicht rauchen und dann hat ihm die Zigarette plötzlich nicht mehr geschmeckt. Sowas soll's ja geben, denke ich mir.  

Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie wegen des Geschmackes geraucht, sondern immer wegen des Gefühls und der Wirkung. 

Gelitten hat er die ersten drei Monate, dann wurde das Verlangen leichter. Und heute? "Wenn ich einen Ausflug mache und dann entspannt in der Sonne sitze, vielleicht noch mit einem kühlen Getränke, dann kommt der Gedanke an die Zigarette, dann kommt der Impuls zurück." Und die vor langer Zeit entstandenen Synapsen erwachen wieder zum Leben und schicken Signale des Wunsches nach einer Zigarette durch die eingestaubten Verbindungen. Er bezeichnet sich als Nicht-Raucher. 

Ex-Raucher 2: Hat mit 17 Jahren mit dem Rauchen begonnen und rund drei Jahrzehnte geraucht. 2013 dann der radikale Rauch-Stopp. Und wie war seine Entwöhnung? "Die ersten fünf Jahre waren die Hölle!". "Stopp!", unterbreche ich ihn. "Fünf Jahre??? Es hat fünf Jahre gedauert, bis du nicht mehr gelitten hast?", frage ich ihn ungläubig. "Ja, und wie ich gelitten habe!" Das Verlangen (Craving) kam regelmäßig. Sein Bauch habe sich zusammengezogen, er wurde angespannt, konnte an nichts denken, als an die Zigarette...,berichtet er. Ich kenne das Gefühl. Auch er bezeichnet sich heute als Nicht-Raucher - "Aber es hat lange gedauert". 

Ex-Raucher 3: Seit 16 Jahren hat er nicht mehr geraucht. Sein Rauch-Stopp war nach 25 Jahren fast spontan - und das, obwohl er ungezählte Male zuvor beim Versuch gescheitert ist. Aber dann kam jene Feier.  Nach einer langen Nacht mit vielen Zigaretten, hat "es ihm einfach gegraust". Er hat sich am Heimweg von der Feier noch eine Schachtel Zigarette gekauft, noch zwei Zigaretten daraus geraucht und es dann nie wieder angerührt.  Diese letzte Schachtel liege noch immer bei ihm zu Hause.  Und heute, nach 16 Jahren des Nicht-Rauchens: "Würde ich jetzt an einer Zigarette ziehen, ich wäre sofort wieder drinnen. " Er bezeichnet sich dennoch heute als Nicht-Raucher. 

Werde ich für immer eine trockene Raucherin sein?

25 Jahre keine mehr geraucht, 16 Jahre keine mehr geraucht, 11 Jahre keine mehr geraucht. Ist man jemals ganz gelöst? Kann ich jemals wirklich sagen, dass ich Nicht-Raucherin bin und es auch so meinen oder werde ich immer mit der Lust kämpfen, in jenen Situationen, in denen ich immer so gern und so viel geraucht habe? Wird mir bei Drinks, beim Ausgehen, bei Stress und Müdigkeit immer meine selbstgedrehte Zigarette in den Sinn kommen? Werde ich immer trockene Raucherin sein? Nur einen Lungenzug entfernt vom Rückfall?

Meine nahende drei Monats-Abstinenz markiert einen wichtigen Moment in meiner Entwöhnung, bestätigt mir Maria Kofler, Allgemeinmedizinerin und stellvertretende ärztliche Leitung des Dialog – Individuelle Suchthilfe am Standort Modecenterstraße bzw. ärztliche Leitung des Dialog Standorts „Sucht und Beschäftigung“.

Es steckt also Wahrheit in der Entzugsfloskel 3-Stunden-3-Tage-3-Monate. Studien, die das erste Jahr nach dem Rauch-Stopp untersucht haben, hätten gezeigt, dass die Rückfallquote nach den ersten drei Monaten deutlich geringer wird. "Es geht aber sehr stark, um die Frage, warum man überhaupt geraucht hat", sagt Kofler. "Was steckt dahinter?"

Also zurück zur Sinnsuche? "Nikotin kann schon was", sagt Kofler. "Es kann antidepressiv wirken und hat eine aktivierende Wirkung, wenn man erschöpft ist. Es entspannt, wenn man angespannt oder nervös ist". Das Tabak-Rauchen sei durchaus auch psychoaktiv. "Wenn man es zu Selbstmedikation eingesetzt hat, ist es mehr als Gewohnheit. Dann ist der Rauch-Stopp deutlich schwieriger", so die Suchtexpertin. 

Raucherinnen und Raucher, die sich quasi mit ihrer Zigarette selbst behandelt haben und, die eine starke Assoziation mit dem Rauchen haben (bei Stress, Müdigkeit, Feiern, etc) haben es schwerer von der Zigarette loszukommen. Nicht nur, weil die Entwöhnung schwieriger ist, sondern auch, weil unsere (ja, ich gehöre wohl zu der Gruppe, die Zigaretten zur Stress- und Stimmungsregulierung eingesetzt haben) Rückfallgefahr größer ist, erklärt Kofler. 

"Es gibt Menschen, die nach 20 Jahren des Nicht-Rauchens mal wieder eine Zigarette probieren und rückfällig werden. Sie haben vielleicht keine starke Lust, aber eine Zigarette kann reichen", sagt sie und nimmt mir damit weiter Hoffnung, dass ich wirklich jemals komplett von ihr loskomme. Insbesondere jene Raucherinnen und Raucher, wie es war, sollten auch nach langer Zeit nicht das Risiko eingehen. Eine Zigarette kann reichen. 

In dieser, meiner Gruppe ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich für immer eine trockene Raucherin bleibe, dass ich mich immer aktiv dagegen entscheiden muss. 

Aber ab wann bin ich dennoch eine Nicht-Raucherin? Ab drei Monaten? Sechs Monaten? Einem Jahr?

"Das ist individuell", sagt Kofler. Aber: "Wenn man in einer bestimmten Situation, in der man als Raucherin immer geraucht hätte, nicht nur aktiv Nein sagt, sondern auch tatsächlich keine Lust hat, dann könnte man wohl sagen, ist man Nicht-Raucherin", erklärt Kofler. 

Und wo stehe ich? 

Am selben Abend des Gesprächs werde ich wieder auf die Probe gestellt. Es ist ein lauer Abend, der Sommer kommt - das liegt in der Luft, auch wenn die Nächte noch kühl sind. Ich sitze mit einem Begleiter auf einer Bank, wir unterhalten uns prächtig, trinken ein kaltes Getränk. Wie das in dieser beginnenden Jahreszeit nun mal so ist, wenn man die Abende so herrlich versitzen kann. Er ist einer jener, der von meinem Rauch-Stopp noch nichts mitbekommen hat. Und so packt er sein Ledertäschchen aus, befüllt mit Zigarettenpapier, Filter, Feuerzeug und meinem Tabak. Er dreht sich eine Zigarette, raucht sie sich an und bietet mir das Täschchen an. 

"Nein, danke", sage ich. Und ich kann entsagen. Aber meine Brust zieht sich zusammen, das Verlangen wächst. Ja, ich kann Nein sagen. Aber ich will die Zigarette noch immer. 

Ich bin also noch keine Nicht-Raucherin, nur eine aktuell trockene Süchtige

Stark bleiben. 

Weiteratmen.

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