Ich hör' auf zu rauchen: Ex-Raucherin ärger dich nicht

Ich hör' auf zu rauchen: Ex-Raucherin ärger dich nicht
Ich komme nach 10 Wochen Rauchstopp darauf, dass ich nicht so solide bin, wie ich dachte. Ein unnötiger Streit, eine wütende Ex-Raucherin und der Rückfall könnte perfekt sein.
Diana Dauer

Diana Dauer

In mir herrscht Wut, Unverständnis und ein Stechen in der Brust. Würde ich nicht wissen, dass das Stechen in der Herzgegend von einer konkreten mir engverbundenen Person ausgelöst wurde - viel mehr von dem Verhalten der Person - würde die hypochondrisch, neurotische Seite in mir längst nach Symptomen beginnender Angina Pectoris (Symptome: anfallsartiges starkes Stechen in der Herzgegend Anm.) googeln, 1450 anrufen und Apotheken suchen. 

Aber die Ursache steht vor mir, attackiert mich - meiner Einschätzung nach - völlig grundlos. (Offenlegung: Angesprochene Person ist kein problematischer Partner oder Ex-Partner, sondern eine mit mir eng verbundene Person, mit der ich oft und viel geschwisterlich streite)

Die feindseligen Stöße gegen mich lassen meine zum Schein erbaute Unberührbarkeit -  an die sogar ich schon geglaubt habe - bröckeln. Mist. Ich registriere: Meine Schutzwand ist instabil, meine Gleichgültigkeit fingiert. 

Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren, sucht nach geeigneten Reaktionen, entscheidet sich für Wut statt ehrlicher Verletzung und sucht weiter nach Coping-Mechanismen für den Umgang mit dem Konflikt. Und plötzlich ist es wieder da. Ein Gefühl, das, obwohl durch die Wut ausgelöst, diese kurzfristig völlig überdeckt: "Ich will sie. Nein, ich brauche sie. Nur sie kann mich trösten. Irgendwer muss mir eine Zigarette geben!" 

Meine innere Süchtige meldet sich aus dem Kerker

Das verbale Hinhauen gegen mich, menschgewordenen Box-Sack, aber vor allem mein wütendes Erstaunen darüber, dass mich das Verhalten der mir Person überhaupt berührt, stoßen die Risse in meinem mentalen Mauerwerk immer weiter auf. Dahinter sitzt die schon fast vergessene kleine süchtige Raucherinnen-Diana, deren Hände in festen Schlingen hängen, damit sie nicht nach Zigaretten und Feuerzeug greifen kann. Die emotionale Rettungskette in meinem Kopf läuft sofort an. Ein Uhrwerk, das nach längerem wieder aufgezogen wurde. Einmal in Gang gesetzt, ist es nicht zu stoppen. Zahnrad greift in Zahnrad. Vom impulsiven Gedanken an eine Zigarette, zum dringlichen Verlangen, zur beginnenden Suche nach einer Rauch-Möglichkeit. 

"Warum auch nicht?", krächzt die Süchtige in Ketten in meinem Kopf. "Sie war immer für uns da, die Zigarette. In den dunkelsten Stunden, in tiefster Trauer, beim größten Stress und Verlust." Das stimmt leider. Im emotionalen Erste-Hilfekasten von Raucherinnen und Rauchern gibt es immer Tabak und den "Erstmal eine rauchen"-Heimlich-Griff. Wir oder die Noch-RaucherInnen haben in emotionalen Ausnahmesituationen eine Art Freifahrtschein, um kurz zum Rauchen zu entfliehen. Bei Schock, Ärger, Trauer, Nervosität, Adrenalinausschüttung, Konflikt und Stress. Quasi eine Zigarettenpause vom Trauma. Und so eine Pause inklusive Toxin-induzierter Beruhigung brauche ich jetzt auch, meine ich zumindest. Mein persönlicher Erste-Hilfekasten nämlich wurde noch nicht mit neuen Reaktionen bestückt. 

Mein Abnabelungsprozess von der Zigarette

Ich hör' auf zu rauchen: Aber wirklich?! Der Entschluss Ich hör' auf zu rauchen: Die erste Woche und das Ende meines Lebens Ich hör' auf zu rauchen: Woche zwei ist wie Schluss machen Ich hör' auf zu rauchen: Du gehörst zu uns Ich hör' auf zu rauchen: Wie Ostern, nur ohne Tschick

Aber jetzt stehe ich leer da. Sauer, gierig und ehrlich schockiert. Ich dachte, ich wäre endlich über sie hinweg, würde die Zigarette nicht mehr "brauchen" oder verlangen. 

Ich hatte für diesen fatalen Irrglauben gute Gründe. Wenn mich FreundInnen oder auch KollegInnen gefragt haben, wie es mit dem Nicht-Rauchen läuft, konnte ich ohne zu lügen "Sehr gut" sagen. Das Verlangen in den üblichen Trigger-Situationen wurde schwächer. Es blieb teilweise sogar aus. Es gab Nächte, da beobachtete ich meine rauchenden Abendgesellschaften durch das Lokalfenster beim genüsslichen Inhalieren und spürte NICHTS. Außer vielleicht Ungeduld, weil ich mich - alleine am Tisch zurückgelassen - langweilte.

Die Erkenntnis, dass ich nach all den entsagten Zigaretten; nach den Feiern, die ich ohne sie überstanden habe; nach den versuchten Verführungen durch Widersacher wieder dieses Verlangen spüre - und zwar stärker und dringlicher als bei der Begleiterscheinung zu Drinks - schockt mich. Ich bin (doch) nicht so stark. Die verdrängte Sehnsucht holt mich ein. Ausgerechnet wegen einer Auseinandersetzung. Oder gerade deshalb?

Wie Sex oder Essen

Das geräucherte gasförmige Gift, das ich in der Vergangenheit öfter unter Tränen in meine Lungen und meinen Blutkreislauf gesogen habe, hat die richtigen Zentren in meinem Hirn betäubt, wenn es nötig war und so vermeintlich Schmerz gelindert. 

Reflektiere ich jetzt also das Craving durch den Streit, ist es wenig überraschend. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz) gibt meinem alten Habitus recht, und erklärt, dass Zigarettenrauchen zur emotionalen Regulierung genutzt wird - besonders in emotionalen Stresssituationen. Konkret wird dem Tabakrauch ein "bivalentes Wirkungsspektrum mit einer einerseits anregenden und andererseits beruhigend-ausgleichenden Wirkung auf die Befindlichkeit" zugesprochen. Und das dkfz erklärt weiter: "Die empfundene Wirkung ist in ihrer Intensität vergleichbar mit dem Befriedigungsgefühl durch Essen oder Sexualität, kommt also der Befriedigung von Grundbedürfnissen gleich". So dringlich wie Hunger und Durst hat sich das Verlangen während meines Streits auch angefühlt. 

Aber ich bin geübt in Entsagung und schaffe es auch dieses Mal. Teils, weil ich es wirklich will, teils weil ich dem personifizierten Konfliktherd und Ankläger mir gegenüber nicht diese Macht über mich geben will. Ich gebe nicht nach. Ich zeige meinem Angreifer nicht, welch Sehnsucht er in mir auslöst, obwohl die Person natürlich merkt, dass ich wütend bin. 

"Deinetwegen werde ich nicht schwach. Du berührst mich nicht", denke ich. 

Das dkfz empfiehlt emotionalen AbstinenzlerInnen, wie mir,  sich Alternativen zur Stressregulierung anzueignen, etwa Atem- und Entspannungsübungen. Ergo: Meinen Erste-Hilfekasten neu zu füllen. Also noch mehr Atemübungen. 

Gut. Also wieder, stark bleiben. 

Weiteratmen... Und noch mehr Atmen. 

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