Im Zentrum der Stadt, nahe an der Grenze zum 1. Bezirk, kultiviert ein kleiner Kreis an Eingeweihten – bestehend aus Politik, Investoren, Architekten und kritischen Bürgerinitiativen – seit Jahren eine Debatte, die eigentlich längst in der großen Öffentlichkeit geführt werden sollte.
Rund um den (per se nicht übertrieben attraktiven) Heumarkt wird – der KURIER hat vielfach berichtet – über die Errichtung eines Hochhauses diskutiert. Oder, genauer gesagt: über die Folgen des Baus. Das Projekt hat das historische Zentrum der Stadt, eine UNESCO-Weltkulturerbestätte, auf die sogenannte Rote Liste der Welterbehüter gebracht. Seither wird diskutiert, umgeplant – und freilich auch prozessiert.
Die Geschichte, die sich seither um das umstrittene Heumarkt-Projekt entsponnen hat, ist mittlerweile so facettenreich, dass sie sich ohne Fußnoten, Exkurse und Verschnaufpausen fast nicht mehr erzählen lässt. Nicht nur Außenstehende, sondern auch Insider haben irgendwann den Überblick verloren. Das ist bedenklich – und gut zugleich.
Das Thema wird anhand folgender Projekte beleuchtet:
Heumarkt
Fernbusterminal
Naschmarkt
Event Arena
Krankenhaus Nord
Denn der Heumarkt bietet auf diese Weise ein gelungen Anschauungsbeispiel dafür, wie Stadtentwicklung und Stadtplanung in Wien derzeit laufen. Nämlich schlecht. Und das in gleich mehrerlei Hinsicht.
Unentschlossenheit
Zu den größten Übeln zählt wohl die Unentschlossenheit. Denn die Aufregung rund um den Heumarkt besteht nur deshalb, weil die Stadtregierung sich seit Jahren nicht traut, eine längst fällige Entscheidung zu treffen: Wohin wollen wir uns als Stadt städtebaulich entwickeln? Profitiert eine moderne Metropole vom Prädikat des Weltkulturerbes noch – oder stellt es die Stadt unter einen Glassturz, der Innovation blockiert?
Die Antworten sind vielfältig. (Touristiker etwa haben dem Weltkulturerbe längst den Wert abgesprochen. Befürworter schätzen den UNESCO-Titel hingegen, weil er mit seinen strengen Regeln – so man sich an sie hält – zum Stadtbildschutz beiträgt.) Und alle Antworten können richtig sein. Wenn man sie nur gibt.
Die Stadt hingegen versucht, halbherzig am Weltkulturerbe und am Bauprojekt festzuhalten. Im schlechtesten Fall geht beides daneben. Mit großen Infrastrukturprojekten tut sich die Stadt – da ist der Heumarkt kein Einzelfall – seit jeher schwer. Um das zu belegen, muss man nicht erst das KH Nord samt Energie-Ring bemühen, an dem sich schon zu viele Oppositionspolitiker abgearbeitet haben.
Zeitliche und budgetäre Probleme
Auch aktuell gibt es in der Stadt Beispiele genug: Die Event-Arena etwa, die die zunehmend marode Stadthalle ersetzen soll, ist zeitlich und budgetär in Verzug. Ob die Stadt einen passablen privaten Betreiber findet, der sich mit ihr auf das Mega-Projekt einlässt, wird immer unsicherer.
Wie bedeutsam eine Halle für Großveranstaltungen für eine Metropole ist, hat nicht zuletzt das jüngste Economist-Ranking gezeigt, in dem Wien das Fehlen von Sportgroßereignissen leichten Punkteabzug brachte. (Klar, auf Platz 1 lag man trotzdem, das bietet Grund zur Freude.)
Auch die Jury des Magazins Monocle, das Wien ebenfalls den 1. Platz als lebenswerteste Stadt verlieh, hielt fest: „Beeindruckende Architektur und wertvolle Kulturdenkmäler alleine sind nicht genug für eine gute Lebensqualität, die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung müssen immer im Vordergrund stehen.“
Missglückt
Womit wir zurück bei den missglückten Bauprojekten wären – etwa dem geplanten Fernbusterminal im 2. Bezirk, dessen Realisierung derzeit in der Luft hängt, weil der Investor die finanzielle Mehrbelastung nicht mehr stemmen kann (oder will).
Der bestehende Terminal entspricht längst nicht mehr den Anforderungen der Zeit. Ein Neuer hätte schon seit Jahren notgetan, alleine mit dem Blick auf die Zahlen und das geänderte Mobilitätsverhalten der Menschen: Alljährlich steuern fünf Millionen Menschen Wien mit dem Bus an oder fahren von hier ab.
Verzögerungen gibt es – ein drittes Beispiel – nicht zuletzt auch bei der neuen Markthalle, die die Stadt errichten will. Nachdem man alte, traditionsreiche Hallen in der Vergangenheit aufgelassen hat, wollte man diese Tradition am Naschmarkt wiederbeleben, verhedderte sich aber in Debatten mit renitenten Anrainern – und bot eine Lösung, die auf den ersten Blick niemandem wehtat.
Unehrlich
Die Stadt will zwar eine Halle errichten, hat aber das Wort aus ihrem Vokabular gestrichen. Vielleicht fällt es ja keinem auf. (Ja, das hat System: Am Heumarkt hat man das Wort „Hochhaus“ durch „Wohnscheibe“ ersetzt, versteckt aber bis heute die dazugehörigen Baupläne vor der Öffentlichkeit.) Auch am Naschmarkt ist man mit der Umsetzung mittlerweile in Verzug.
Dass eine wachsende Stadt nicht nur Infrastruktur, sondern auch neuen Wohnraum benötigt, das weiß man – wo und wie man ihn schaffen will, da ist man sich aber (erneut) unsicher. Bis heute zeichnet sich keine klare Strategie darüber ab, ob Wien künftig in die Fläche oder doch lieber in die Höhe wachsen will.
Zubetoniert und verbaut
Dass immer neuer Grünraum am Stadtrand versiegelt – sprich: zubetoniert und verbaut – wird, ist jedenfalls nicht nur vielen Bewohnern der Außenbezirke, die das Grün vor der Haustür lieben, ein Dorn im Auge.
Die hohe Bodenversiegelung wird in Österreich insgesamt zum Problem. Vom EU-weiten Ziel, täglich nur 2,5 Hektar Land zu verbauen, ist Österreich meilenweit entfernt. Derzeit hält man bei rund 11 Hektar pro Tag. (Oder auch nicht. Wirklich brauchbare Zahlen gibt es nicht. Auch das ist Teil der österreichischen Unehrlichkeit.) Die Verhandlungen zu einer verbindlichen Bodenschutzstrategie sind zuletzt jedenfalls gescheitert, das lässt nicht das Beste hoffen.
Wer nicht in die Fläche wachsen will, muss in die Höhe bauen. Auch hier tut sich – und schon sind wir zurück am Heumarkt – die Stadt schwer. In boomenden Metropolen rund um den Globus gelten Hochhäuser als probates Mittel, um die kostbare Ressource Boden zu schonen und steigenden Grundstückspreisen entgegenzuwirken.
Hochhaus als Schreckgespenst
In Wien ist das Hochhaus an sich immer noch ein Schreckgespenst, das man – wenn überhaupt – an den Stadtrand verbannen will, statt es klug ins Ensemble einzubinden. (Reine Bürokomplexe etwa sind problematisch, weil sie am Abend zu Geistertürmen verkommen. Und auch die Umgebung – vom Grünraum über Kinderbetreuungs- und Einkaufsmöglichkeiten bis zur Verkehrsanbindung – muss achtsam mitgeplant werden.)
Nachholbedarf gibt es ganz generell beim Thema Leerstand und Nachverdichtung: So zeigt eine Studie der Arbeiterkammer, dass in den Jahren 2018 bis 2021 in Wien nur zwei Prozent der neu geschaffenen Wohneinheiten durch Auf-, Aus- oder Zubau entstanden.
Auch der Klimawandel wird – nicht zuletzt – die Art, wie wir bauen und leben, beeinflussen: Müssen Wohnungen (wie in südlichen Ländern üblich) nach Norden, und nicht (wie bisher) nach Süden ausgerichtet werden? Wie können Straßenbeläge (mancherorts spielt man mit der Idee, Straßen weiß zu streichen), kluge Beschattung und Pflanzen dazu beitragen, dass sich der urbane Raum nicht weiter aufheizt? Dazu kommt die Frage des Verkehrs in der Stadt.
Die Stadtregierung will in Kürze eine Novelle der Bauordnung – der KURIER hat berichtet – verabschieden. Unter anderem mit dabei: Die Verpflichtung, auf Neubauten eine PV-Anlage zu errichten, Erleichterungen für Dach- und Fassadenbegrünungen und ein verstärkter Baumschutz – aber auch mehr Schutz für historische Gebäude.
Was die Novelle letztlich leisten kann, wird sich in den kommenden Jahren in der Praxis zeigen.
Beim Heumarkt wird es deutlich raschere Ergebnisse geben: Im September entscheiden die internationalen Welterbehüter bei einer Sitzung, ob Wien den Welterbestatus verliert.
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