Von „völlig neuen Maßstäben für das nachhaltige und leistbare Wohnen der Zukunft“ spricht SPÖ-Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál, von einem „Meilenstein für die klimafitte Stadtentwicklung“ Neos-Wohnbausprecherin Selma Arapović. Die Rede ist vom am Donnerstag vorgestellten Entwurf für die nächste große Novelle der Wiener Bauordnung.
Die zwei großen Überpunkte des im Lauf des vergangenen halben Jahres ausgearbeiteten Papiers: Klimaschutz und Klimawandelanpassung sowie leistbares und qualitätsvolles Wohnen.
In diesem Artikel lesen Sie:
- die wichtigsten Eckpunkte der Novelle,
- die Kritik an dem Entwurf und
- den Fahrplan bis zum Beschluss.
Entsiegelung, Begrünung
Künftig wird bereits ab Bauklasse I ein Konzept für die gärtnerische Ausgestaltung vorgeschrieben, wobei hier auch eine einfache Skizze reicht, wie Arapović betont. Das betrifft bei Zu- und Umbauten sowie Sanierungen von mehr als 25 Prozent der Gebäudehülle auch den Bestand.
Zudem müssen zwei Drittel der betroffenen Fläche unversiegelt bleiben sowie eine „bodengebundene Begrünung und Bepflanzung aufweisen". 40 Prozent der Projektfläche dürfen zudem nicht unterirdisch bebaut werden. Das soll unter anderem Versickerungsflächen sichern. Grundsätzlich wird vorgeschrieben, dass Niederschlag vollständig am eigenen Grundstück versickern oder einer Nutzung zugeführt werden muss.
Erleichtert werden auch Dach- und Fassadenbegrünungen: So dürfen dafür nötige Systeme etwa bis zu 20 Zentimeter in Abstandsflächen ragen, genauso wie Rankhilfen über die Baulinie. Für die ersten drei Obergeschosse werden diese zusätzlich bewilligungsfrei.
Verstärkt wird schließlich auch der Baumschutz: Dieser wird zum Ziel bei der Festsetzung und Abänderung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen.
Photovoltaik
Alle Neu- und Zubauten bis hin zum Schrebergartenhäuschen müssen künftig mit PV-Anlagen versehen werden, und zwar mit einer Leistung von 1 Kilowatt Maximalleistung (kWp) pro 150 m2 Geschossfläche - eine Verdopplung der bisherigen Vorschrift.
Solarkraftwerke bis zu 15 kWp werden bewilligungsfrei. Erleichterungen gibt es auch für Anlagen, die über einer Höhe von elf Metern sowie auf Flugdächern über Parkplätzen angebracht werden.
Parkplätze
Apropos: Die umstrittene Stellplatzverpflichtung wird nicht gestrichen, aber je nach Öffi-Anbindung auf 70 (Zone 1) bzw. 80 Prozent (Zone 2) gesenkt. In Zone 3, wo es keine schienengebundene Öffi-Versorgung gibt, ändert sich nichts. Durch E-Ladepunkte und Carsharing-Parkplätze kann um weitere – maximal – zehn Prozent reduziert werden.
Viele Stimmen sprechen sich überhaupt für eine Streichung der Verpflichtung aus (siehe auch weiter unten), das war aber in den Verhandlungen mit der SPÖ wohl nicht drinnen. Arapović freut sich dennoch über einen „Schritt in die richtige Richtung".
Zudem muss pro fünf Parkplätze ein großkroniger Baum gepflanzt werden, ab zehn Stellplätzen müssen diese versickerungsfähig gestaltet werden.
Erstmals kommen auch Qualitätskriterien für Radabstellplätze. Je 30 m2 Wohnfläche muss ein Abstellplatz errichtet werden, jeder zehnte muss dabei für Spezialfahrräder wie Lastenräder geeignet sein. Die Ausgestaltung muss barrierefrei und witterungsgeschützt ausfallen.
Dekarbonisierung
Das Verordnen von Energieraumplänen für den Bestand wird rechtlich vorbereitet; Erdwärme-Sonden außerhalb von Schutzgebieten und Gebieten mit Bausperre werden bewilligungs- und anzeigefrei. Nach Fertigstellung muss lediglich eine Meldung über die Lage der Sonden an die Behörde erfolgen.
Eine Erleichterung gibt es auch beim Einbau von Flächenwärmeabgabesystemen wie Infrarot-Paneelen: Hier ist künftig eine verbleibende Raumhöhe von 2,40 Meter ausreichend, um zehn Zentimeter weniger als bisher.
Generell werden bestimmte Abweichungen vom Bebauungsplan nach Paragraf 69 der Bauordnung nun auch möglich, wenn sie dem dauerhaft dem Klimaschutz oder der Klimawandelanpassung dienen.
Gründerzeitschutz
Ein zentraler Punkt der Novelle. Wer ein Gebäude absichtlich verkommen lässt, kann künftig nicht mehr mit der bisher häufig missbrauchten „wirtschaftlichen Abbruchreife“ argumentieren. Dadurch entstandene Aufwendungen werden bei der Beurteilung „außer Betracht bleiben".
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Andererseits müssen mögliche öffentliche Förderungen sowie Ertragspotenziale durch Aufkategorisierung nach einer Sanierung miteinberechnet werden. In Dachgeschoßausbauten dürfen künftig auch Büroflächen hergestellt werden.
Bauwerksbücher werden schrittweise auch für Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden, zur Pflicht. Rechtswidrige Abbrüche werden zur Grundlage für behördliche Baueinstellungen.
Kurzzeitvermietung
Airbnb & Co. wird in der ganzen Stadt eingeschränkt. Selbst außerhalb von Wohnzonen wird auf 90 Tage pro Jahr und maximal 30 Tage am Stück beschränkt.
Die Wohnzonen wollte man nicht erweitern, ginge das doch auf Kosten der 15-Minuten-Stadt, die sich Wien als Ziel verordnet hat, sagt Arapović - dürften sich doch in Wohnzonen auch Handel oder Ärztinnen nicht ansiedeln.
Städtebauliche Verträge
„Wesentliche Inhalte“ der Verträge sollen künftig online veröffentlicht werden. Das war eine wesentliche Forderung von ÖVP und FPÖ und nicht zuletzt auch für die Neos ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen.
Kritik
Die Grünen freuen sich zwar über die Erfüllung einiger langjähriger Forderungen, wie es in einer Aussendung hieß, sehen aber alles in allem eine „mutlose“ Reform. Sie hätten sich vor allem Vorgaben für thermische Sanierungen und den Erneuerbaren-Ausbau im Bestand gewünscht. „Mit diesen Maßnahmen erreichen wir das Wiener Klimaziel nicht", so Parteichef Peter Kraus.
Wohnbausprecher Georg Prack ist vor allem enttäuscht, dass die „wirtschaftliche Abbruchreife" nicht gleich komplett abgeschafft wird.
Baukultur-Experte Robert Temel erkennt auf KURIER-Nachfrage „viele gute kleine Schritte“, betont aber gleichzeitig, „die nächste Bauordnungsnovelle, die ’völlig neue Maßstäbe’ setzt, muss schon in den Startlöchern stehen“. Er wünscht sich vor allem mehr Entsiegelung im Bestand, eine Streichung der Stellplatzverpflichtung und noch mehr Schutz des Bestands, um graue Energie zu sparen.
Weiterer Ablauf
Nach der Prüfung durch den magistratischen Rechtsdienst soll die Novelle Anfang des Sommers in eine sechswöchige Begutachtung gehen – und die soll auch „ernst genommen“ werden, betont Arapović. Der Beschluss ist bis Jahresende avisiert.
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