Die veranschlagten eineinhalb Stunden waren dann doch nicht genug. Um 13 Uhr traf sich die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) am Dienstag im Landwirtschaftsministerium, um die 20-monatige Arbeit an der – aufgrund des verschwenderischen Umgangs mit fruchtbaren Böden – dringend benötigten Bodenstrategie zum Abschluss zu bringen.
Für 14.45 Uhr war bereits die Information über den Ausgang anberaumt, doch dieser Termin hielt nicht. Am Ende war es 15.35 Uhr, als Minister Norbert Totschnig (ÖVP) flankiert vom burgenländischen Raumordnungslandesrat Heinrich Dorner (SPÖ) und TU-Raumplanungsprofessor Arthur Kanonier mit schlechten Nachrichten das Zimmer betrat.
Denn: „Wir waren haarscharf am Abschluss, aber für den Koalitionspartner fehlt noch ein bisschen etwas“, sagte Totschnig.
Konkret hatten die grünen Ressorts – in der ÖROK sind neben Ländern, Städte- und Gemeindebund auch alle Ministerien vertreten und es herrscht das Einstimmigkeitsprinzip – die Aufnahme des Höchstwerts von 2,5 Hektar täglicher Flächeninanspruchnahme in das Papier gefordert.
Zielwert seit 20 Jahren
Diese 2,5 Hektar sind seit 2002 der Zielwert, wurden jedoch 2022 erneut um knapp das Fünffache überschritten. Länder und Kommunen konnten der Aufnahme der Zahl dennoch nicht zustimmen, da zu viele konkrete Auswirkungen offen seien, wie es hieß – und so stand am Ende der Sitzung eine Vertagung.
Bis nach dem Sommer, „auf jeden Fall“ aber noch dieses Jahr (Totschnig) soll eine Arbeitsgruppe die Verhandlungen zu einem Abschluss bringen.
Grüne blieben hart
Während der Minister Verständnis zeigte und dem Koalitionspartner nicht zu nahe treten wollte, war Dorner spürbar sauer auf Kogler und die Seinen. Der blieb jedoch bei seinem Standpunkt: „Ohne verbindliche, klar definierte Ziele bleibt diese Strategie an entscheidender Stelle unvollständig – und genau deshalb wird hier jetzt weitergearbeitet“, ließ Kogler verbreiten.
Ganz überraschend kam das nicht, hatte er doch bereits am Montag die Länder für deren vermeintliche Blockadehaltung kritisiert, die Angelegenheit kurzfristig zur Chefsache erklärt und eine Reise abgekürzt, um selbst an der Sitzung teilzunehmen.
Differenzierter sah die ganze Angelegenheit Raumplaner Kanonier. Quantitative Ziele wären zwar sehr wichtig, aber so weit wäre man inhaltlich einfach noch nicht gewesen. Er hätte „mit dem vorliegenden Papier gut leben können“ und „bedaure sehr, dass es jetzt nicht beschlossen wurde“.
Die Flächenkontingente hätte man Kanoniers Meinung nach auch in weiterer Folge spezifizieren können, sei die Strategie doch ohnehin kein Gesetz. Was stimmt: Das Papier wäre eine Selbstverpflichtung aller Verwaltungsebenen, die Ziele in ihrem jeweiligen Hoheitsbereich umzusetzen.
Die Strategie enthält vier generelle Ziele: Schutz von Frei- und Grünland, Unterbindung der Zersiedelung, effiziente Innenentwicklung, um Baulandbestände im Siedlungsgebiet bestmöglich zu nutzen, sowie Intensivierung der Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Erreicht werden sollen sie über einen Aktionsplan und begleitendes Monitoring.
NGOs erfreut über grüne Position
Die Reaktionen auf die Vertagung fielen unterschiedlich aus. Umweltschutzorganisationen hatten bereits seit Monaten auf Basis von durchgesickerten Entwürfen fehlende Verbindlichkeit im Papier kritisiert und stärkten am Dienstag den Grünen den Rücken.
Greenpeace begrüßt etwa „die klare Positionierung" Koglers für echten Bodenschutz und klare Zielvorgaben" und sieht „eine neue Chance für den Stopp der Bodenzerstörung in Österreich", wurde Biodiversitätsexpertin Olivia Herzog in einer Aussendung zitiert. „Wir können uns in der Bodenfrage keine leeren Versprechen mehr leisten - viel zu lange wurde die zerstörerische Betonpolitik vorangetrieben."
Der WWF forderte nach dem Bekanntwerden der Vertagung „einen glaubwürdigen Neustart in der Bodenpolitik". Die bisher durchgesickerten Entwürfe seien „allesamt ambitionslos und hätten den Flächenfraß nicht gestoppt. Daher müssen vor allem die Bundesländer ihre Blockadehaltung gegenüber echtem Bodenschutz überdenken. Alles andere wäre zukunftsvergessen und verantwortungslos“, sagt Bodenschutzsprecher Simon Pories.
Ganz anders bewertet Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger die Angelegenheit und sprach von einer vergebenen Chance. Verbindliche quantitative Zielwerte seien „immer eine klare Forderung der österreichischen Landwirtschaft gewesen". Diese wären vorerst in der politischen Gemengelage nicht zu erzielen gewesen, dennoch wäre man „so weit wie noch nie zuvor". Daher sei es „vollkommen unverständlich", dass die Grünen nach 1,5 Jahren intensivster Diskussion „in letzter Minute jegliches Ergebnis aufs Spiel setzen und einen Beschluss blockieren".
Ähnlich auch die Opposition: Neos-Umweltsprecher Michael Bernhard sprach von einer „bodenlosen Frechheit", gab die Schuld der grünen Umwelt- und Klimaministerin Leonore Gewessler und sah ein Scheitern der Bundesregierung. „Wir brauchen ein vernünftiges Bundesrahmengesetz für Raumordnung, mit einer Einschränkung der Gemeindekompetenz und einer transparenten, überregionalen Infrastrukturplanung."
„Seit drei Jahren fällt die Bundesregierung mit Untätigkeit beim Schutz unserer wertvollen Böden auf. Jetzt wurde die lang versprochene Bodenschutzstrategie wieder vertagt", kritisierten unisono SPÖ-Klubchefin Julia Herr und Landwirtschaftssprecherin Cornelia Ecker.
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