Not-Unterricht vor halbleeren Klassen: So viele Kinder waren in der Schule
Tag eins im Lockdown stellte die Schulen vor eine besondere Herausforderung. Berufstätige Eltern oder auch solche, die sich den Unterricht zu Hause nicht zutrauen, brachten ihre Kinder zur sogenannten Betreuung an die Schulen.
Ein Großteil (85 Prozent) der Schüler blieb daheim, nur 15 Prozent nützten bundesweit die Betreuung im Schulgebäude. Dabei gab es regional starke Unterschiede.
Konkret wurde vermeldet:
- Wien: 15 Prozent
- Niederösterreich: 25 Prozent
- Oberösterreich: 25 Prozent
- Kärnten: 16 Prozent
- Salzburg: 14 Prozent
- Tirol: 15 Prozent
- Vorarlberg: 13 Prozent.
- Burgenland: acht Prozent
- Steiermark: acht Prozent
Der KURIER hat sich in den Bundesländern an unterschiedlichen Schulen umgehört, wie viele Kinder in die Schule gekommen sind.
Manche Klassen blieben jedenfalls leer, in anderen saßen vereinzelt Schüler. Besonders in Letzteren mussten die Lehrer zwei Aufgaben auf einmal bewältigen: mit den anwesenden Kindern den Unterrichtsstoff durchgehen und via Telefon oder online mit den zu Hause Gebliebenen dasselbe abarbeiten.
"Denn Betreuung heißt ja nicht, dass die Lehrerin in der Tür steht und den Kindern beim Nichtstun zuschaut", erklärt Horst Pinterich, Direktor der Volksschule in der Favoritner Quellenstraße. De facto fand also Unterricht vor weniger Schülern statt.
Wien: Rund 15 Prozent an Schulen
Wien-weit kamen an Volksschulen rund 22 Prozent der Schüler, an Neuen Mittelschulen 6,1 Prozent und in der AHS-Unterstufe 3,5 Prozent. In Summe macht das rund 15 Prozent.
An Pinterichs Schule sind Dienstagfrüh etwa zehn Prozent der insgesamt 530 Schüler zur Betreuung erschienen. "Als sie gekommen sind, waren sie alle noch fröhlich", schildert der Direktor. "Wenn sie aber fast allein in der Klasse sitzen, könnte ihnen aber bald langweilig werden. Da werden wir mit gemeinsamen Aktivitäten innerhalb der einzelnen Jahrgänge gegensteuern."
Zurzeit arbeiten die Schüler - die in den Klassen sitzen und die, die daheim geblieben sind - die Arbeitspakete ab, die die Lehrer vorab zusammengestellt haben. "Der einzige Unterschied zum Regelunterricht ist, dass jetzt weniger Schüler da sind", sagt Pinterich. Verpflichten dürfe man die Kinder freilich nicht, man werde sie im Lockdown aber einladen, zumindest ein Mal pro Woche in kleine Lerngruppen in die Schule zu kommen.
Im Lehrerzimmer sei die Stimmung jedenfalls angespannt, berichtet der Direktor. Zum einen, weil niemand wisse, was auf Pädagogen und Schüler nun tatsächlich zukomme. Zum anderen, weil es die Doppelgleisigkeit von Unterricht in der Schule und Unterricht am Handy erst einmal zu bewältigen gelte.
Besonders schwierig sei die Situation für die Kinder in den Deutschförderklassen, so Pinterich. "Das sind die Schüler, um die wir uns zurzeit die größten Sorgen machen. Insbesondere in der ersten Klasse, wo es primär ums Sprechen geht." Zwar arbeite die Sprachförderlehrerin mit kleinsten WhatsApp-Gruppen und Videocalls - "das hat aber natürlich nicht dieselbe Qualität wie im normalen Unterricht", sagt Pinterich.
Seitens der Eltern habe sich die Möglichkeit der Betreuung in der Schule trotz aller Informationen noch nicht ganz herumgesprochen, erklärt der Volksschuldirektor. Bis kommende Woche rechnet er bei der Zahl der Kinder, die in die Schule kommen, mit einem Anstieg von 10 auf etwa 20 Prozent. Die Hauptmotive der Eltern seien eben Berufstätigkeit oder auch, dass sich manche mit dem Unterricht zu Hause überfordert fühlen.
Wieder andere lehnen die Betreuung außerhalb der eigenen vier Wände dagegen ab, weil sie sie zu riskant finden. Zu dieser Gruppe gehören etwa Bozider und Susanna Cekic aus Favoriten. Der U-Bahn-Fahrer und die Pflegekraft müssen zwar mit ihren Schichtdiensten jonglieren und auf die Unterstützung der Großeltern zurückgreifen, um das Distance Learning ihrer beiden Kinder, Mihajlo (6) und Emilia (9) managen zu können. In die Schule bringen wollen sie sie aber trotzdem nicht.
"Wenn es wegen Corona so gefährlich ist, dass kein Unterricht mehr möglich ist, bringen wir sie doch nicht ausgerechnet in die Schule", meint Herr Cekic.
"Nicht das Gelbe vom Ei"
Extrem deutlich fiel die Differenz zwischen in die Schule gekommenen und daheim gebliebenen Schülern am Goethe-Gymnasium in der Penzinger Astgasse aus: Von 900 Schülern erschienen Dienstagfrüh gerade einmal vier zur Betreuung. Die Eltern der vier Unterstufen-Schüler seien wegen Schichtbetriebs im Krankenhaus zum Teil nicht in der Lage, den Nachwuchs zu Hause zu unterstützen, sagt Direktor Hubert Kopetzky.
Was die Vermittlung des Unterrichtsstoff via Internet betrifft, sei man zwar ein privilegierter Standort - "jedes Kind hat Internetzugang und einen Laptop. Und wer selbst keinen hat, bekommt von der Schule einen zur Verfügung gestellt", so der Schulleiter. "Das Gelbe vom Ei" sei diese Art der Wissensvermittlung aber nicht. "Pädagogisch ist das eine Krücke."
Tirol: Rund ein Viertel der Schüler einer Schule erschienen
In Tirol sei der Andrang laut VP-Bildungslandesrätin Beate Palfrader in den Volksschulen am größten gewesen, dort seien heute etwas über 20 Prozent der Schüler in die Schule gekommen. Insgesamt seien in den Pflichtschulen etwa 15 Prozent zur Betreuung gekommen.
In einer Volksschule in Innsbruck ist am Dienstag etwa ein Viertel der rund 250 Schüler erschienen. "Das ist deutlich mehr als im Frühjahr. Da waren es etwa zehn Prozent", sagt der stellvertretende Direktor der Schule, der aus Gesprächen mit den Eltern weiß: "Tendenziell werden es noch mehr."
Burgenland: Knapp 10 Prozent in einer Mittelschule
Knapp zehn Prozent, also 30 der insgesamt 330 Schüler der Mittelschule (MS) Mattersburg sind am Dienstag zur Betreuung gekommen. "Ich rechne aber damit, dass es in den kommenden Tagen noch mehr werden", sagt Schulleiterin Ursula Piller.
Die Kinder werden in Kleinstgruppen von insgesamt sechs Lehrern und am Nachmittag von vier Freizeitpädagogen betreut. Unterricht findet keiner statt, aber die Schüler werden bei der Umsetzung der ihnen gestellten Aufgaben bei Bedarf unterstützt.
"Es ist schon eine massive Herausforderung für uns", sagt die Direktorin. Denn neben der Betreuung der Mädchen und Burschen zwischen 8 und 15.45 Uhr müssten ihre Kolleginnen mit den zu Hause gebliebenen Schülern mittels Distance Learning den Stoff durcharbeiten.
Kämen künftig noch mehr Schüler zur Betreuung in die Einrichtung, würde es mit den Kapazitäten eng, befürchtet Piller. "Das digitale Lernen ist natürlich für die Kollegen ein größerer Aufwand. Parallel dazu müssen Schüler vor Ort in kleinen Gruppen betreut werden – das erfordert viel Aufwand."
Organisiert habe man alles am vergangenen Wochenende. "Dass ein zweiter Lockdown für die Schulen kommt, damit haben wir bis Ende der Vorwoche wirklich nicht gerechnet." Bis jetzt funktioniere alles ganz gut, doch die Schulleiterin ist auch verärgert: "Uns wurden vor Wochen FFP2 Masken für die Lehrer vom Ministerium versprochen. Bekommen haben wir bisher keine."
Salzburg: Angebot wird laut Direktorin dankend angenommen
Bildungsdirektor Rudolf Mair rechnet mit 15 bis 18 Prozent der Schüler, die das Betreuungsangebot in Volksschulen und der Sekundarstufe I angenommen haben.
Tendenziell sei der Betreuungsbedarf bei Volksschulkindern höher gewesen als in NMS und AHS. „Die Zahl wird sich Richtung Wochenende wahrscheinlich noch etwas verringern“, sagt Mair. Der nunmehrige Bedarf sei aktuell etwa das Dreifache des Betreuungsbedarfs im ersten Lockdown, so Mair.
Eine Volksschuldirektorin aus Salzburg, die anonym bleiben möchte, erzählt: "Das Betreuungsangebot wird von den Eltern dankbar angenommen. Viele Eltern probieren es jetzt auch mit dem Home Schooling. In den nächsten zwei Wochen werden aber wieder mehr Kinder dazukommen."
Niederösterreich: 32 Prozent an einer Volksschule
"Ich habe damit gerechnet. Im Frühjahr haben die Eltern gesehen, was Homeoffice neben Homeschooling bedeutet und gerlernt, wo ihre Schmerzgrenzen liegen. Außerdem sind viele bei ihren Urlaubstagen schon ans Limit gegangen", kommentiert Claudia Sax, Direktorin der Volksschule Bad Vöslau (Bezirk Baden), die starke Nachfrage bei der schulischen Betreuung.
252 Kinder besuchen in "normalen" Zeiten die Volksschule, 32 Prozent kamen am Dienstag trotz Lockdowns. "33 Kinder, die besondere Förderung brauchen, haben wir angeschrieben, weil es bei ihnen sonst zu einem zu großen Lernrückstand kommen würde", sagt Sax.
Etwas weniger los ist am Nachmittag. Dass man dank der Flexibilität des Vereins Kidspoint, der die Nachmittagsbetreuung durchführt, trotz der schwierigen Umstände auch warmes Mittagessen anbieten kann, beruhige viele Eltern.
Ganz anders habe sich die Situation noch beim ersten Lockdwon im März präsentiert: "Da waren es acht bis neun Kinder." Sax betont, dass es sich bei der derzeitigen Betreuung um keinen regulären Unterricht handelt: "Das wäre auch gar nicht möglich, weil die Betreuungsgruppen ja nicht den Klassen entsprechen. Aber die Kinder arbeiten hier an ihren Lernpaketen, die alle bekommen haben, so wie die übrigen Schüler zu Hause."
Wegen der großen Nachfrage ist auch ein großer Teil der Lehrer in der Schule im Einsatz, zusätzlich zur Betreuung der Homeschooling-Kinder, zu denen per Mail Kontakt gehalten wird. Was die Direktorin freut: "Es gab etliche Rückmeldungen, dass die Eltern sehen, welchen Knochenjob wir machen und dass das auch geschätzt wird". Und was alle hoffen: "Dass wir in drei Wochen wieder halbwegs normalen Unterricht haben".
"Die Motivation fehlt"
Eine Mutter, die zwei ihrer drei Kinder auch im Lockdown in die Schule schickt, ist Doris Mechtler aus NÖ. Der Grund ist derselbe wie bei vielen anderen Familien: „Mein Mann und ich sind in Berufen tätig, wo kein Homeoffice möglich ist.“
Da Frau Mechtlers älteste Tochter die Oberstufe besucht und quasi seit einem Jahr daheim ist, kennt die Mutter die Tücken des Systems: „Zu Hause fehlt einfach die Motivation. Wenn die Kinder in die Schule gehen, haben sie einen geregelten Tagesablauf. Im Homeschooling fragen sie beim Wecken schon des öfteren, warum sie so früh aufstehen sollen.“
Kärnten: 16,1 Prozent an den Schulen
In Kärnten sind 16,1 Prozent (6.632) der schulpflichtigen Schüler am ersten Tag des Lockdowns in die Schule gekommen. (4,3 Prozent AHS Unterstufe - 10,8 Prozent Mittelschulen - 23,5 Prozent Volksschulen). "Es sind mehr Schüler, als im ersten Lockdown. Darauf waren wir allerdings auch vorbereitet und haben damit gerechnet," so Bildungsdirektor Robert Klinglmair.
"Heute hatten wir 31 von 660 Schülern in der Unterstufe. Zehn davon nahmen die Nachmittagsbetreuung in Anspruch. Wir waren eigentlich auf mehr Schüler vorbereitet. Die Rückmeldungen der Eltern am Montag, ließen aber erahnen, dass dieses Angebot bei uns nicht im hohen Ausmaß benötigt wird. Vielleicht ist das auch nicht so schlecht, da das auch der Sinn und Zweck dieses Lockdowns war. Wenn man die Möglichkeit hat, ist es empfehlenswert die Kinder im Distance Learning zu belassen. Und sonst sind wir zur Stelle", sagt Karl Heinz Rosenkranz Direktor des Klagenfurter Lerchenfeldgymnasiums.
"Wir sind aktiv auf Schüler und Eltern zugegangen, wo wir wussten, dass eine Betreuung förderlich ist. Heute kamen von 208 Schülern 51 in Schule. Wir sind derzeit nicht an einer Kapazitätsgrenze, haben Platz für Schüler, denen Zuhause die Decke auf den Kopf fällt. Bei uns wird der Online-Unterricht mit Begeisterung verfolgt", sagt Arnulf Lexe, Direktor der Mittelschule Annabichl.
Steiermark: 12,9 Prozent der Volksschüler anwesend
In der Steiermark wurde die schulische Betreuung erwartungsgemäß im städtischen Bereich merklich stärker angenommen als in den ländlichen Regionen der Steiermark.
Am ersten Tag waren in der Steiermark 5.733 bzw. 12,9% der Volksschulkinder, 1.303 bzw. 4,6% der Schülerinnen und Schüler an Mittelschulen sowie 359 bzw. 2,3% der Schülerinnen und Schüler von AHS-Unterstufen in den Schulen anwesend und wurden dort betreut bzw. erhielten Lernbegleitung.
An einer Grazer Schule sind üblicherweise rund 500 Schüler in der Unterstufe – am Dienstag waren zwölf in Betreuung – für den Rest der Woche sind jeweils 12 bis 15 täglich angemeldet, berichtet eine Direktorin aus Graz.
Der Schultag lief für diese Kinder wie für jene, die daheim waren: Sie mussten sich zur ersten Stunde in der Gruppe virtuell melden – also anders als im ersten Lockdown gibt es hier mehr Struktur.
An der Schule gibt es ein Voranmeldesystem für die Betreuung, die Eltern können sich aber tageweise entscheiden, so die Direktorin: "Das läuft realtiv unkompliziert bei uns. Ich bin ganz überrascht, dass es so wenige Kinder sind, die hier sind. Aber viele Eltern haben mir gesagt, sie wollen diese Woche einmal schauen, wie es zu Hause geht und ob das mit der Arbeit vereinbar ist. Das kann sich natürlich nächste Woche wieder ändern."
Besser als im ersten Lockdown
Für die Schüler laufe aktuell vieles besser als im ersten Lockdown, meint Bundesschulsprecherin Alex Bosek. Vor allem, weil es nun einheitliche Plattformen gebe, über die Arbeitsaufträge und Informationen kommen.
Acht bis neun Stunden Unterricht vor dem Computer seien aber insbesondere für Oberstufenschüler sehr anstrengend. Zudem gebe es noch immer Lehrer, die sich mit den digitalen Plattformen nicht auskennen und deshalb Arbeitsabläufe unnötig verlangsamen.
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